Dr. Norden Staffel 7 – Arztroman. Patricia Vandenberg
sie unvermittelt.
Schon immer hatte Rebecca ihren Freund um seine glückliche Kindheit, seine gute Beziehung zu seinen Eltern beneidet, die sie nie gehabt hatte. Damals hatte das Ehepaar Schaller auch Rebecca bereitwillig in ihr Herz geschlossen. Doch sie hatte ihre Zuneigung mit Füßen getreten. Die Frage nach ihnen war ein Signal, das der Anwalt sofort verstand.
»Kannst du Gedanken lesen?«, fragte er gerührt. »Ich denke schon die ganze Zeit drüber nach, wie ich dir beibringen soll, dass sie dich gern besuchen würden.«
»Wie bitte?« Becky schnappte nach Luft. »Eigentlich dachte ich, dass sie mich am liebsten zur Hölle schicken würden.«
»Das war tatsächlich einmal so.« Bernd zwinkerte ihr zu. »Aber ich hab ihnen von deiner wundersamen Läuterung erzählt. Und jetzt können sie es kaum erwarten, dich endlich wiederzusehen.«
Entrüstet boxte Rebecca ihn in die Seite.
»Du bist Anwalt! Anwälte dürfen nicht lügen.«
Unvermittelt wurde Bernd ernst.
»Ich lüge nicht«, erklärte er mit einer großen Wärme in der Stimme, die Rebecca verwirrte. Er blieb stehen und griff nach ihren Händen. »Wann wirst du jemals begreifen, dass du eine wundervolle, liebenswerte Frau bist?«, fragte er ernst.
Wie immer, wenn sie nicht weiter wusste, malträtierte Becky ihre Unterlippe. Einen Moment lang spürte sie wieder den altbekannten Fluchtinstinkt. Doch diesmal wusste sie genau, was auf dem Spiel stand. Tapfer widerstand sie der Versuchung, irgendwas Dummes zu sagen.
»Wenn du weiter so nett zu mir bist, muss ich es wohl glauben«, murmelte sie. »Zumindest zweifle ich nicht mehr daran, dass ich mehr Glück als Verstand habe. Sonst würde es dich in meinem Leben nämlich nicht geben.«
Mit allem hatte Bernd gerechnet. Mit einer Flucht. Damit, ausgelacht oder verspottet zu werden. Aber nicht mit dieser für Beckys Verhältnisse einmaligen Liebeserklärung.
»Weißt du eigentlich, dass du mich gerade zum glücklichsten Mann der Welt machst?«, fragte er rau.
»Du lügst schon wieder!« Rebeccas graue Augen blitzten vor Freude und Stolz, gemischt mit einem Hauch Wehmut.
»Wieso?«
»Der glücklichste Mann der Welt bist du, wenn du erst deine Tochter in den Armen hältst«, sagte sie ihm auf den Kopf zu.
»Also schön«, räumte er bereitwillig ein. »Wenn ich erst euch beide in den Armen halten kann, dann bin ich der glücklichste Mann des Universums. Es muss ja noch eine Steigerung möglich sein«, gab er zurück, und ehe sie noch etwas sagen konnte, beugte er sich über sie und küsste sie, dass ihr Hören und Sehen verging und zumindest für den Moment keine Fragen offen blieben.
Beide waren so vertieft, dass sie den Arzt am Fenster nicht bemerkten. Schon seit einer ganzen Weile lehnte Dr. Danny Norden am Fenster und blickte hinunter auf das glückliche Paar. Die dunklen Schatten um seine Augen zeugten von der schlaflosen Nacht, die er verbracht hatte. Bei seiner Recherche war er auf Unglaubliches gestoßen. Doch so sensationell die Nachricht war, so sehr musste er sich noch in Geduld üben. Als er hörte, wie sich die Tür hinter ihm öffnete, drehte er sich zur Klinikchefin Jenny Behnisch um.
»Danny, was machst du denn schon so früh hier?«, erkundigte sich die langjährige Kollegin und Freundin der Familie.
»Es geht um die Patientin Rebecca Salomon«, verriet er und kehrte dem Fenster den Rücken. »Vielleicht weiß ich, was ihr fehlt. Aber das müssen die Kollegen erst abchecken.« Er streckte die Hand aus und reichte Jenny Behnisch einen Packen Papier, den er in der vergangenen Nacht ausgedruckt hatte.
Sie warf einen Blick darauf.
»Morbus Fabry?«, fragte sie und sah ihn ungläubig an. »Wie bist du denn darauf gekommen?«
Danny lächelte schmal und unterdrückte ein Gähnen.
»Das ist eine lange und ziemlich unglaubliche Geschichte. Die erzählte ich aber erst, wenn wir die Diagnose Schwarz auf Weiß haben.« Mehr wollte er für den Moment nicht verraten.
Bevor er sich von Jenny Behnisch verabschiedete, um in die Praxis zu fahren, drehte er sich noch einmal zum Fenster um. Doch das Paar im Garten war schon verschwunden.
*
Obwohl er mit seiner Bekannten Felicitas Norden viel Spaß gehabt hatte, fühlte sich Jakob gar nicht wohl, nachdem er an Bord zurückgekehrt war. Ihm war schwindlig und schlecht und er legte sich aufs Bett seiner Innenkabine, um sich ein wenig auszuruhen. Das erwies sich als schlechte Idee. Die Decke drehte sich vor seinen Augen und sein Magen gab furchterregende Geräusche von sich. Mit letzter Kraft rappelte sich der Schreinermeister hoch und schleppte sich zum Aufzug. Die Ambulanz der ›Carribean Pearl‹ erschien ihm wie das sprichwörtliche rettende Ufer. Um es zu erreichen, mobilisierte er seine letzten Kräfte.
Anders als Dr. Norden hatte Valerie die Ambulanz noch nicht verlassen. An diesem Tag hatte ihr die Arbeit nicht recht von der Hand gehen wollen und sie hatte noch einige Akten abarbeiten müssen, ehe sie den Schreibtisch abräumte und die Lampe ausknipste. Sie schlüpfte gerade in ihre dünne Jacke, als sie die Tür hörte. Neugierig, wer um diese ungewöhnliche Zeit noch ins Hospital kam, drehte sie sich um. Sie erkannte Jakob sofort.
»Nein!« Ihre Stimme war hart, und ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, bückte sie sich nach ihrer Tasche. »Nein und nochmals nein. Du kannst mir erzählen, was du willst. Ich werde dir nicht zuhören.« Noch bevor er den Mund öffnen konnte, rauschte sie an ihm vorbei und zur Tür hinaus.
»Wahrscheinlich hab ich’s nicht anders verdient«, murmelte er, als sie doch noch einmal zurückkam.
»Die Sprechstunde ist vorbei«, informierte sie ihn schnippisch. »Wenn dir wirklich was fehlt – was ich übrigens bezweifle –, kannst du morgen zwischen acht und achtzehn Uhr wiederkommen. Meine Kollegin Nadja wird sich gern um dich kümmern. Ich habe nämlich frei.« Mit diesen Worten verschwand Valerie endgültig.
Doch Jakob hatte ohnehin nur die Hälfte verstanden. Er kämpfte gegen das sonderbare Schwindelgefühl an, das von seinem ganzen Körper Besitz ergreifen wollte.
Aus weiter Ferne hörte er eine andere Stimme.
»Hallo? Was machen Sie denn noch hier?« Sie gehörte einer Krankenschwester, die ihn auf dem Flur des Hospitals entdeckt hatte. Er fühlte, wie er mit festem Griff am Arm gepackt wurde.
»Ich … ich …« Hilflos brach Jakob ab. Er konnte nicht mehr.
»Haben Sie denn Valerie nicht Bescheid gesagt? Sie war doch eben noch hier.«
»Doch. Aber … aber …« Seine Zunge klebte am Gaumen und verweigerte ihm den Dienst. Aber das nahm er nur noch am Rande wahr, ehe der Schwindel siegte und ihn mit einem Rauschen fortriss.
Das nächste, was Jakob Hartung hörte, war eine männliche Stimme. Zuerst schien sie aus weiter Ferne zu kommen, wurde aber immer klarer.
»Sie waren also noch hier, als Herr Hartung in die Ambulanz gekommen ist?«, fragte Dr. Norden.
Er stand in einem der Krankenzimmer des Hospitals und betrachtete seine Assistentin mit strengem Blick.
Keiner der beiden bemerkte, dass der Patient aufgewacht war. Vollkommen ruhig lag Jakob da und beobachtete die Szene durch einen schmalen Schlitz seiner Augen.
»Ja, schon …«, gestand Valerie mit gesenktem Kopf und starrte auf ihre Schuhe, als sähe sie sie zum ersten Mal. »Aber ich hatte doch keine Ahnung, dass es sich wirklich um einen Notfall handelt«, versuchte sie, sich zu rechtfertigen.
»Wie lange arbeiten Sie schon als Arzthelferin?«, schnaubte der Arzt.
»Seit fünf Jahren.«
»Lange genug, um einen Simulanten von einem Notfall unterscheiden zu können, finden Sie nicht?«, fragte Dr. Norden scharf. Unter jedem seiner Worte zuckte Valerie zusammen wie unter einem Peitschenhieb. »Kommen Sie und sehen Sie ihn sich an.« Daniel