Dr. Norden Staffel 7 – Arztroman. Patricia Vandenberg
den Anblick nicht besser, und wenn möglich, erschrak Valerie noch mehr. Zu der Scham gesellte sich plötzlich noch die Angst um Jakob. Tränen stiegen ihr in die Augen.
»Was fehlt ihm überhaupt?«
»Eine Vergiftung«, antwortete Daniel Norden knapp. Als er von einem Kollegen aus dem Klettergarten ins Hospital geholt worden war, hatte es nicht gut ausgesehen. Es war nur Dr. Nordens Erfahrung und den rasch ergriffenen Maßnahmen zu verdanken, dass es gelungen war, den Patienten zu stabilisieren.
»Ich habe inzwischen mit meiner Frau gesprochen. Ihr ist eingefallen, dass er an Land eine Cola mit Eiswürfeln getrunken hat. Wahrscheinlich hat er sich mit dem unreinen Wasser infiziert.« In der Annahme, dass Jakob immer noch schlief, drehte sich Daniel zu Valerie um. »Noch so ein Tag wie heute, und ich muss eine Meldung über Sie machen. Das ist Ihnen hoffentlich klar?«
Valerie schluckte an ihren Tränen und nickte.
»Ich … ich weiß auch nicht, was heute mit mir los war. Dass Jakob hier an Bord ist … das macht ich ganz verrückt.«
Daniel hatte im Klettergarten die ganze Geschichte von seiner Frau gehört. Trotz seines Ärgers konnte er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
»Sie sollten sich vielleicht mal ernsthaft fragen, warum das so ist«, empfahl er seiner Assistentin. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen. Ich hatte ja die Hoffnung, dass ich dem Flying Fox entgehen kann. Aber meine Frau hat mir glaubhaft versichert, dass sie dort auf mich wartet und erst wieder geht, wenn ich diese Prüfung bestanden habe.« Er zwinkerte Valerie zu zum Zeichen, dass er nicht mehr böse war und verließ das Zimmer.
Valerie wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht und setzte sich auf die Bettkante von Jakobs Bett. Erst jetzt bemerkte sie, dass er sie anblinzelte. Sein Blick machte sie nervös, und ihre Kehle wurde trocken. Als sie nach seinem Handgelenk griff, um den Puls zu kontrollieren, durchzuckte sie ein Stromstoß.
Auch Jakob hatte es gespürt.
»Fühlt sich an, als würde ich noch leben.« Seine Stimme war matt, und Valeries Herz zog sich zusammen vor Sorge.
»Es tut mir so leid, dass ich dir nicht geholfen habe«, stammelte sie eine Entschuldigung.
»Ich könnte dich wegen unterlassener Hilfeleistung anzeigen«, machte er einen Vorschlag. »In mindestens zwei Fällen.«
»Wieso in zwei?«, begehrte Valerie auf. Sie bemerkte nicht, dass sie immer noch wie selbstverständlich seine Hand hielt.
Jakob blinzelte.
»Einmal vorhin und einmal, als du mein Herz in akute Gefahr gebracht hast.«
»Das ist ja wohl nicht richtig. Wenn hier einer ein Herz gebrochen hat, dann bist du das. Oder hast du das schon vergessen?«
Mit einem Mal war das Lächeln auf Jakobs Lippen wie ausradiert. Seine Augenlider flatterten. Das hier war die Chance, für die er so lange gekämpft hatte. Instinktiv wusste er, dass er sie nicht verpassen durfte, und sammelte seine restlichen Kräfte zusammen.
»Natürlich hab ich das nicht vergessen. Und es tut mir unendlich leid, dass das alles passiert ist. Dass mir einer meiner Kumpels beim Junggesellenabschied K.O.-Tropfen ins Bier geschüttet und mich in einen Zug nach Berlin verfrachtet hat …« Weiter kam er nicht, denn Valerie krallte unvermittelt ihre Fingernägel in seine Hand.
»Wie bitte? Sag das noch mal!«, verlangte sie.
Jakob stöhnte auf.
»Wenn du deine Nägel aus meinem Fleisch nimmst …«
»Entschuldigung.« Schnell lockerte sie ihren Griff. »K.O.-Tropfen? Berlin? Was ist das wieder für eine Geschichte?«, hakte sie nach und vergaß völlig, wie krank er eigentlich war. Doch Jakob nahm es ihr nicht übel. Nicht nach allem, was sie seinetwegen erlitten hatte. »Und was ist mit der Nachricht, die du mir auf das Handy geschickt hast?« Sie legte den Kopf schief. Eine Strähne ihrer dunklen Pagenfrisur fiel ihr ins Gesicht. Doch Jakob hatte nicht die Kraft, sie wegzuschieben. Auch wenn er sich noch so sehr danach sehnte, sie zu berühren.
»Die Nachricht hat mein Kumpel – oder sollte ich lieber Ex-Kumpel sagen? – an meiner Stelle geschrieben. Er hatte diesen amerikanischen Film gesehen und wollte so was unbedingt auch mal erleben. Leider hat er sich in der Wirkung der Tropfen verschätzt. Als ich in Berlin wieder aufgewacht bin, war die Hochzeit vorbei. Den Rest der Geschichte kennst du ja.«
Allmählich ging Valerie ein Licht auf.
»Hangover! Die Männer, die nach einem Junggesellenabschied in einem verwüsteten Hotelzimmer in einer fremden Stadt aufwachen und sich an nichts erinnern können«, stöhnte sie und fasste sich an den Kopf. »Das kann doch einfach nicht wahr sein. Werdet ihr Männer eigentlich irgendwann mal erwachsen?«
Jakob versuchte ein Lächeln.
»Wir werden sieben Jahre alt«, presste er mit letzter Kraft durch die Lippen. Er konnte kaum mehr die Augen offen halten. »Danach wachsen wir nur noch.« Mehr sagte er nicht und war im nächsten Augenblick eingeschlafen.
Valerie saß an seinem Bett und betrachtete den Mann, den sie immer noch und trotz allem, was passiert war, liebte. Als sie sich nicht länger mit seinem Anblick begnügen wollte, rutschte sie neben ihn ins Bett und legte den Arm um ihn, damit er vielleicht im Schlaf spüren konnte, dass sie ihm endlich verziehen hatte.
*
»Mir tut jeder einzelne Knochen im Leib weh«, beschwerte sich Dr. Daniel Norden, als er sich in der Dschungelbar vom Besuch des Klettergartens erholte. »Ich hätte doch auf Felix hören sollen.«
»Das ist die falsche Einstellung.« Fee versuchte erst gar nicht, ihren Mann zu trösten. »Natürlich war es gut, mit mir in den Klettergarten zu gehen. Schließlich musst du zusehen, dass du fit bleibst für deine junge Frau.« Mit unschuldigem Augenaufschlag trank sie einen Schluck von ihrer Pina Colada.
Die Bar unter echten Palmen war gut besucht, und kubanische Rhythmen heizten den Besuchern ein. Auf der kleinen Tanzfläche bewegten sich Paare zu der erotischen Musik, und Fee wippte mit dem Fuß dazu. Unwillkürlich musste sie an ihre Tanzeinlage mit Jakob denken und wünschte dem jungen Mann in Gedanken gute Besserung.
»Mit jedem Tag, den ich an Bord dieses wundervollen Schiffes bin, fühle ich mich jünger«, konzentrierte sie sich dann wieder auf den Moment.
»Dann sollten wir sehen, dass wir bald nach Hause kommen«, scherzte Daniel, als sein Blick auf einen Mann fiel, der die Bar eben in Begleitung zweier leicht bekleideter Damen betrat.
Den einen Arm trug er in Gips. Das hinderte ihn aber nicht daran, ihn um die Schulter einer der beiden Schönheiten zu legen. Lars Forberg war so vertieft in seinen Flirt, dass er das Ehepaar Norden nicht bemerkte und bald in der Menge verschwand.
»Habe ich schon Halluzinationen oder hast du gerade auch gesehen, was ich gesehen habe?«, erkundigte sich Daniel bei seiner Frau.
»Du meinst Forberg?« Nach dem Auftritt in der Ambulanz hatte sie allen Respekt vor Lars verloren und nannte ihn nur noch beim Nachnamen.
Daniel nickte düster.
»Er macht den Eindruck, als hätte er hier mächtig Spaß. Fragt sich nur, wo Nele steckt«, gehörte sein zweiter Gedanke der Arztfrau.
»Die wird froh sein, wenn sie ihn mal für ein paar Stunden los ist«, unkte Fee. »Von wegen tollpatschig.« Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, wenn sie an Nele dachte. »Der feine Dr. Forberg schlägt seine Frau. Da müssen wir uns ja spätestens seit heute nichts mehr vormachen.«
»Die Wunden stammen auf keinen Fall von einem Sturz«, bestätigte Daniel den Verdacht seiner Frau.
Fee nippte an ihrem Glas.
»Wenn ich nur wüsste, was wir jetzt tun können«, sinnierte sie. »Darüber denke ich schon länger nach. Aber solange sie ihm hörig ist …«
»Es kommt noch schlimmer.« Den ganzen Tag hatte Daniel auf eine Gelegenheit gewartet, um mit seiner