Schlittenfahrt ins Glück. Barbara Cartland
kann man das nicht überprüfen.“
„Das kann Sie in die größten Schwierigkeiten bringen, Miss Nerita, wirklich!“
Nerita zuckte mit den Schultern. „Es wird schon gut gehen“, sagte sie zuversichtlich.
„Ganz abgesehen davon“, fuhr Emily fort, als habe sie Neritas Bemerkung nicht gehört, „nimmt Ihnen niemand ab, daß Sie schon angestellt gewesen sind. Dafür sehen Sie viel zu jung aus.“
„Da müssen wir aufpassen“, sagte Nerita. „Ich muß älter wirken, viel älter.“
„Das geht nicht. Und außerdem sind Sie zu hübsch.“
„Da haben Sie vielleicht recht“, sagte Nerita nachdenklich. „Ich erinnere mich noch gut daran, wie sich meine Eltern einmal über einen Vorfall bei irgendwelchen Freunden unterhalten haben. Ich weiß nicht mehr, worum es genau ging, aber Papa und Mama waren geteilter Meinung. Auf alle Fälle hat Papa im Verlauf des Gesprächs gesagt, daß sie, also irgendeine Frau, außerdem viel zu hübsch wäre für eine Gouvernante. Ich habe den Satz noch genau in den Ohren.“
„Sehen Sie!“ rief Emily. „Genau das sage ich ja auch. Sie sind viel zu hübsch für eine Gouvernante, Miss Nerita. Das glaubt Ihnen niemand und deshalb müssen Sie sich etwas anderes einfallen lassen.
„Es gibt keine andere Möglichkeit“, sagte Nerita. „Es sei denn, Sie wollen, daß ich Revuegirl werde. Die müssen ja hübsch sein.“
„Nur über meine Leiche, Miss Nerita“, entgegnete Emily prompt. „Aber wirklich!“ Sie schüttelte entsetzt den Kopf. „Noch ein Wort über eine Stellung bei der Bühne, und ich spreche mit Ihrem Onkel.“
„Das wäre gemein, Emily“, sagte Nerita lachend. „Aber ich glaube, die Bühne ist ohnehin nicht das Richtige für mich.“
Sie setzte sich vor den Frisiertisch und stellte die beiden Seitenspiegel so, daß sie sich von allen Winkeln sehen konnte.
„Wenn Sie mich nicht kennen würden, Emily, für wie alt würden Sie mich halten?“
„Für achtzehn“, antwortete Emily prompt.
„Das stimmt nicht“, sagte Nerita. „Achtzehnjährige Mädchen, die nicht so viel herumgekommen sind wie ich, sehen viel jünger aus. Denken Sie bloß an Lady Chelmfords Tochter, die über Weihnachten in Rom gewesen ist. Sie hat wie ein Kind ausgesehen.“
„Weil sie so klein ist und ein Babygesicht hat“, sagte Emily. „Sie sehen total anders aus, das stimmt, aber man schätzt Sie nicht älter als achtzehn. Seien Sie doch froh! Vor Ihnen liegt noch ein langes Leben.“
„Aber was für eines?“ fragte Nerita und zum ersten Mal hörte man Bitterkeit in ihrer Stimme.
Emily überging die Frage und Nerita konzentrierte sich wieder auf ihr Äußeres.
Sie zog sich die Haare glatt aus der Stirn und strich sie hinter die Ohren.
„Erinnern Sie sich noch an die englische Gouvernante in Paris?“ fragte sie. „Ich meine die abgehärmte Frau, die wir beim Herzog von Walwis getroffen haben? Sie hatte einen Knoten, der wie ein Nadelkissen ausgesehen hat.“ Nerita drehte sich um und lächelte. „Machen Sie mir bitte einen solchen Knoten, Emily. Ich möchte wissen, wie ich dann aussehe.“
„Ich denke nicht daran“, sagte Emily. „Geben Sie diese verrückte Idee endlich auf.“
„Das ist keine verrückte Idee“, protestierte Nerita. „Überlegen Sie doch bloß, wie phantastisch es wäre, wenn wir eine Stellung finden würden, bei der wir zusammenbleiben können. Wir wären unser eigener Herr und hätten Möglichkeiten, die wir hier nie haben.“
Emily sagte zwar nichts, aber Nerita sah ihr an, daß sie derselben Meinung war.
„Ich kämme mir die Haare streng nach hinten“, fuhr Nerita fort, „und setze eine Brille auf.“
„Eine Brille?“ wiederholte Emily. „Sie haben doch ausgezeichnete Augen.“
„Natürlich habe ich ausgezeichnete Augen, aber sie sehen nicht gouvernantenhaft aus. Sie sind viel zu auffällig. Wie wir damals mit Papa in Ägypten waren, da hatte ich doch eine Brille mit getönten Gläsern. Wegen der starken Sonne, erinnern Sie sich?“
„Ja, aber ich habe keine Ahnung, wo diese Brille ist, Miss Nerita.“
„Wenn Sie vermeiden wollen, daß ich unnötig Geld ausgebe, Emily, dann suchen Sie die Brille lieber.“
Mit einem Stöhnen, das ihre ganze Hilflosigkeit verriet, verschwand Emily wieder im Nebenzimmer.
Daß sie schon nach kurzer Zeit wieder zurückkam - mit der Brille -, war für Nerita der Beweis, daß sie genau gewußt hatte, wo sie hatte suchen müssen.
Nerita hatte inzwischen ihr Haar gelöst, hatte es zurückgebürstet und schlang es gerade zu einem strengen Nackenknoten.
Wenn ich erst einmal eine Stellung habe, dachte sie, dann kann ich ja mit der Zeit eine etwas weniger spröde Frisur machen.
Sie schnitt sich im Spiegel Grimassen zu und versuchte zu lachen, doch sie war den Tränen nahe, denn sie hatte plötzlich das Gefühl, dem allen nicht gewachsen zu sein.
Doch schon nach einer Sekunde hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Sie mußte allein zurechtkommen, das war sie ihrem Vater schuldig, der alles getan hatte, um einen selbständigen Menschen aus ihr zu machen.
„Ich habe die Brille, Miss Nerita“, sagte Emily in ihre Gedanken hinein. „Aber nützen wird sie Ihnen nichts. Wenn Sie glauben, daß jemand eine Gouvernante anstellt, die schlecht sieht, dann irren Sie sich.“
Damit drückte sie Nerita die Brille in die Hand.
Neritas Vater hatte sie in Ägypten gekauft, und sie war weiß Gott kein Aushängeschild für ihren Hersteller: runde, in einem häßlichen Gelb getönte Gläser in einem einfachen Metallgestell.
Nerita setzte sie auf und sah sofort total verändert aus.
Wäre das Oval ihres Gesichts nicht so perfekt gewesen, ihre Nase nicht so gerade und der Schwung ihrer Lippen nicht so lieblich, sie hätte grotesk und wie ein Clown gewirkt.
„Wir behaupten einfach, daß es sich um eine momentane Entzündung handelt, die wieder vergeht“, sagte sie lächelnd. „Und jetzt bringen Sie mir bitte das schlichteste Hütchen, das ich besitze. Oder meinetwegen machen Sie von dem, das ich gestern aufhatte, die Federn ab, und wenn ich für das Vermittlungsbüro nicht die passende Jacke habe, müssen Sie mir bitte eine von Ihren leihen.“
„Das Ganze ist heller Wahnsinn!“ jammerte Emily.
„Vielleicht“, entgegnete Nerita. „Aber wir können nicht einfach hier sitzen und mit dem Schicksal hadern. Wir müssen etwas unternehmen. Und - wer nicht wagt, der nicht gewinnt - würde Papa sagen.“
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