Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig
An jene, die weinen
Vor allem ihr, nehmt hin mein Mitgefühl,
Ihr Ungeliebten, Schwestern ihr im Leide!
Nehmt sie: den Traum, der Tränen Liederspiel,
Dies bittersüße, traurige Geschmeide.
Im Buch hier, seht, liegt eine Seele fest;
Macht auf und lest und zählt die Leidenstage!
Ihr Weinenden auf Erden, kommt und preßt
Aus dieser Asche Glut, die mit euch klage.
Singt! Frauensang bringt vielen Schmerz zur Ruh.
Liebt! Mehr als Liebe bringt der Haß Verderben.
Gebt! dem Erbarmen fliegt die Hoffnung zu:
Solang man geben kann, will man nicht sterben.
Vermögt ihr eure Tränen nicht wie ich
Zu schreiben – oh, dann schenkt sie diesen Zeilen.
Verzeihn ist Beten! So entschuldigt mich,
Daß diese Blätter eng mein Schicksal teilen.
Ihr meint, wer sein Gefühl in Worten sagt,
Der sei verächtlich, der sei nicht bei Sinnen?
Der Vogel singt – wird er drum angeklagt?
Mehr sanft als rasend scheint mir sein Beginnen.
Die Gefängnisse und die Gebete
Weint! Zählt die Namen der Verbannten Frankreichs;
Den großen Herzen, die so hoffend brennen,
Fehlt Luft und Freiheit. Legt die Trauerpalme
Zu Füßen ihrer Leiden hin und kommt!
Der Kerkermeister nur darf sie erblicken.
Kommt weiter! Unsre frommen Arme haben
Nicht Kraft noch Waffen, und wir können nicht
Dem Brudermorde das Gelübde weihn,
Doch wir sind Frauen, unser sind die Tränen
Und das Gebet –und Gott, der Gott des Volkes,
Will dies von uns. Seht hin, zum Kerker gleiten
Die heiligen Seelen; seid gegrüßt, die ihr
Hienieden eure Schwingen still verbergt!
Ihr blassen Fraun in dünnen feuchten Mänteln,
Viel Schmutz und Staub erlahmte euren Schritt.
Gegrüßet seid! Lebendige Tränen röten
Den Blick, der in die dumpfe Welt sich stürzt
Und drin ertrinkt. Ihr irrt umher wie einst
Im Hain Gethsemane; denn Christus leidet
Und Judas triumphiert; ja Christus leidet,
Denn viel Verbrechen fühlt sein Herz voraus.
Er, der die Ketten brach, obgleich sein Arm
Ans Kreuz genagelt war, er sieht von neuem
In seinem Blute viele Opfer bluten.
Er möchte nochmals sterben, um die Hölle
Nochmals zu schließen! Eilt, ihr Waisenkinder,
Steigt in die Wage, betet für die Bösen,
Die ohne Reue leben, und erkauft
Verzeihung aller Missetat mit Tränen,
In bittrer Flut wascht unsre Toten rein!
Und wir, laßt uns nicht mehr mit unsern Fahnen
Die Söhne senden in ruchlosen Kampf.
Soll die Scharpie, die unsre Hand gerichtet,
In unsres Herzens eignes Blut sich tauchen?
Erbarmen! Keine Zeit bleibt uns zum Haß,
Der bös und niedrig ist; es tagt, es tagt!
O Frankreich, sieh, dein Gott kann Liebe brauchen,
So sei in Liebe ohne Unterlaß,
So sei in Liebe, liebend sei’s gewagt,
Geh hin, zerbrich die Ketten, daß es tagt!
Ein Neugeborener
An Hippolyte
Nun bist du da, mein Kind, mein junger Gast!
Seit einer Stunde da! Oh, wie erwartet,
Dein Leben wie erkauft! Kannst du dafür?
Nein, nein! Mein Schrei barg keinen Zorn zu dir.
Du, trugst du nicht schon Weh, bevor zum Tag
Du aufgewacht, und halfst du nicht dazu,
Daß wir uns endlich sehn? Mein Schatten du,
Du Kind aus meinem Sein geboren, das
In diesem Sein mich übermächtig hält,
Auch dir ward Schmerz in deiner engen Welt.
Des Tages trank mein Blick für dich die Sonne,
Ich ging des Nachts in deinen Kerker ein.
Aus meiner armen Seele suchte ich
Dir deinen Himmel aufzubaun und mied
Erinnerung an Böses wie ein Gift;
Ich wollte Gott erschaun, dich schön zu machen,
Dein Herz mit seiner Güte zu durchtränken,
Dem blinden Geist von seinem Licht zu schenken!
Vergiß das nicht: ich sprach zu dir von Gott;
Ich schuf dich aus Gebet, aus süßen Tränen,
Dein Ohr aus Echolaut der heiligen Stätte;
Vor unsrer Unrast barg ich dich lebendig,
Und trug mein Weinen hin zur Abendsonne,
Damit du rein und lieblich würdest, wie
Die Blumen sind, und schritt gedankenvoll
In grünes Schilf, um mit lebendigen Quellen
Dir Trank zu geben, die sich kühl ergossen
Und unser beider Fieberglut umschlossen.
Weißt du, wie oft, allein in hoher Kirche,
Wie lang die hellen Engel uns besahn?
Bedächtig schreitend trug ich dich dahin,
Dich Unsichtbaren, ihre schönen Züge
In deine unbestimmte Form zu meißeln.
Ich habe recht getan! Kein Kind hat je
Vom Himmel so viel Himmel mitgenommen
In seinem tiefen Blick, und keine Stirn
Erstrahlte je so lebensvoll und licht.
Was solch ein kleines Antlitz Bilder birgt!
Von allem, was ich liebte, zeigst du mir
Die lieben Züge, und entschwundne Engel
Wie viele lächeln mir nicht wieder zu
In deinem jungen Lächeln, Engel du!
Du warst das All! Ich