Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig

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– und meine Pflicht verwirrte mich.

       Doch tat ich sie?… Mein Vater konnt es sehn!

       Am andern Tag entführt ich eine Seele

       Dem trauten Nest der Heimat, und vorbei

       An unsrer Buchenhecke und den Tauben,

       Die zusahn, wie wir gingen, wußt ich nicht

       Die Türe hinter dir zu schließen; nein

       Wie eine, dreimal willig umzukehren,

       Im Glauben, irgend etwas sei vergessen –

       So war ich dreimal zögernd, fortzugehn.

       Der Wagenführer rief. Ich hört ihn ja,

       Indes ich immer noch nach rückwärts sah!

      Und du! Hell lachte deine Seele in die Welt

       Und überall, wo unser Wagen hielt,

       Du lieber Hüter meiner rauhen Pfade,

       Stiegst du herab, mir zart die Hand zu reichen.

       Man freute sich des so eilfertigen Pagen,

       Des so ergebnen, liebevollen Kindes,

       Und in mir sprach ein letzter Traum von Glück:

       »Nie machst du ohne ihn den Weg zurück!«

      Die wir auf Erden unsre Früchte tragen,

       – Der Männer zarte Schwestern, aber stark

       In Liebe – ach, wir Mütter, warum geben

       Wir ihnen Leben, da man sie uns raubt?

       Kaum sind sie unser, nimmt man sie uns wieder.

       O Mütter, wißt ihr denn, was man sie lehrt?

       Vor Herrenzorn erzittern und aus Pflicht

       Im Jahr nur einmal bitten, uns zu sehn,

       Und ihr Erinnern von uns abzuwenden.

       Was aber wissen sie? Von fremden Sprachen,

       Vom unterdrückten Aufstand armer Völker,

       Auf die nur stets die Geißel niedersaust;

       Und nur die Zeit wird sie das Rechte lehren.

       Du Reinheit meines Kindes wirst vernichtet!

       Und kehrt mein Sohn mir wieder, o, so ist

       Er gar gelehrt und wird Lateinisch reden.

       Mein armes Kind! Ich aber wage nicht

       Wie früher deinen blonden Kopf zu kämmen.

       Du wirst Lateinisch reden! Und du wirst

       Mit mir kein lang Gespräch mehr führen können

       Und wirst dir sagen, Mutter weiß ja nichts!

       Geh doch! die Liebe selber weiß nicht mehr;

       Sie leitet alles ohne Wort und Worte.

      So viel, als meine Füße mich nur trugen,

       Hab ich, um deine Tage zu bereichern,

       Herbeigesucht, was deine Phantasie

       Antreiben könnte; das ist unser Mühn

       Und unsre Poesie. Auch goß ich manche

       Recht ernste Lehre in dein weiches Herz,

       Das meine sanften Lieder sonst gewiegt.

       War’s nicht genug für dein so junges Alter?

       Noch hast du nicht zehn Jahre, kleine Seele!

       Und schade ist es und gefahrvoll auch,

       Schon deiner Jugend all die fremden Schrecken

       So vieler Heimlichkeiten aufzudecken…

      Palmsonntag

       Inhaltsverzeichnis

      Du Tag, der jedem Pilger Seligkeit verkündet,

       Der jedem Leidensweg ein Morgenrot entzündet,

       Du schöner Tag der Kinder, die mit grünen Zweigen

       Die Straßen auf und ab sich sehr geschäftig zeigen

       Und unterwegs den duftigen Reichtum gerne mehren,

       Um Armevoll von frischem Glück nach Haus zu kehren…

      An jenem Tage sucht auch ich den jungen Ast,

       Als Halt für meines Schicksals wintermüde Last.

       Ich ging, ich schritt voran, auf trauervollen Wegen

       Durch Sonne bald und bald durch grauen Regen,

       Von Kerzenglanz verlockt, der unsre Andacht weiht

       Und unserm Gottesdienst so holde Anmut leiht.

       Die Chöre waren voll von hellem Kindersingen,

       Das durch die Kirche zog auf unschuldsfrohen Schwingen;

       Und Gott allein vernahm durch diesen lauten Sang

       Ein Beten und ein Lied, das weinend aufwärts rang:

      »Von einer Verbannung zur anderen ruhlos vertrieben,

       Wahrhaftig, ich weiß keine Heimat, die je mir geblieben!

       Die Bäume zumindest, sie haben doch Zeit, um zu blühn,

       Um Früchte zu tragen, zu wachsen, zu Tode zu glühn,

       Mir, mir ward nicht Zeit! Meine Pflicht will nicht warten und weilen,

       Gott! Zwing mich nicht immer, aus Frieden in Fremde zu eilen;

       Gott! Gönn mir im Schatten am Wegrand ein wenig Bestand,

       Meine Kinder im Arm, meine Stirne gestützt in die Hand!

      Ich kann nicht mehr gehn. Ich komme… ich sah… und ich falle,

       Ich holte dort droben vom Berg eine Blume; ich walle

       An rosenkranztragenden Gräbern vorbei wie gehetzt,

       Die Füße vom steinigen Bergpfad erlahmt und verletzt.

       Gott! bin ich der Vogel mit ewig gebreiteten Schwingen,

       So laß mich noch einmal das Haupt meines Sohnes umschlingen;

       Des blondfrohen Knaben, der ohne mich wandert und strebt,

       Die ich sein Gemüt doch mit Seele und Sehnsucht durchwebt!

       Du Gott der Bedrückten, – Gott! bist du wirklich mein Vater,

       So sei du den Meinen ein Retter, sei mir ein Berater,

       Laß nicht meine Sorgen die Boten des Kommenden sein,

       Nein, zeig uns den Hafen und führ uns in Frieden hinein;

       In Nacht, in verfrühte, laß endlich ein Morgenrot dringen,

       Verbiete den Wegen, mich weiter und weiter zu zwingen,

       Bezeichne für uns einen Ort, eine Heimat, die Ruh,

       Und führe den knieenden Kindern den Vater zu!« –

      Die Orgel schwieg; der Glanz erlosch, mein heißes Sinnen

       Ward still, um tief im Herzen heimlich fortzuspinnen;

       Im Herzen, das nun doch die neue Hoffnung trank,

       Die aus dem Lied der vielen in mich niedersank.

       Ein Greis beglückte mich mit einem schlanken Zweige,

       Weihwasser tropfte durch das Grün in meinen Händen,

       Und froh betrat ich meine winterkalten Steige,

       Mit festem Schritt den Erdenweg zu enden…

      Entsagung

       Inhaltsverzeichnis


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