Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig
darüber klage ich Dich an. Wie! diese qualvolle Ausdauer, Dir meinen Kummer verborgen zu haben, wird mir nicht besser belohnt, teurer undankbarer Freund! Ausbrüche, die Dich unglücklich gemacht hätten und die ich für Deine Ruhe fürchtete… und von denen ich meinte, daß sie mich noch mehr von Dir entfernen müßten, all dies hast Du für Kälte gehalten! Ach! das ist zu schmerzlich, und das wollte man ausnützen, Dich von mir zu reißen! Ich wäre beinahe daran gestorben und vor Schweigen erstickt. Du hast nichts begriffen, Verblendung eines Herzens, aus dem ich so lange ausgelöscht zu sein glaubte. Du wirst es bereuen, nicht wahr? Du wirst mit mir über das weinen, was mich in diesem Augenblick Tränen vergießen läßt! Du siehst nicht klar über Dich und mich. Ich selber war auch sehr argwöhnisch. Was, Du liebtest mich, Prosper, liebtest mich, sag es mir hundertmal: dies hoffen zu dürfen, tut mir so not! All dies hat mich niedergeschlagen.
2. Dezember 1832.
Es kränkt mich heute, diese Gedichte, die Dein Herz bedrücken, geschrieben zu haben. Ich wiederhole Dir in Aufrichtigkeit, daß sie aus unserer Verbindung entstanden sind: es ist Musik, wie sie Dalayrac machte; es sind Eindrücke, die ich bei anderen Frauen beobachtet habe, die vor meinen Augen litten. Ich sagte: »Ich empfand dies oder jenes, in dieser Lage« und machte daraus, abseits für mich, Musik, Gott weiß es!
10. Dezember 1832.
Ich bin aufgewacht und hielt noch den Kopf des Kindes (Hippolyte) an mein Herz gedrückt. Ich hatte geträumt, daß er (aus dem Institut) davongelaufen war, um mich wiederzusehen, er weinte, und ich überschüttete ihn mit Liebkosungen.
An ihren Sohn
Rouen, den 23. April 1833.
Dein Brief hat uns sehr gefreut, mein kleiner Freund! Warum kann ich Dir hier nicht in Wirklichkeit den Kuß geben, als Dank dafür, daß Du bist, was Du sein sollst, daß Du die Mühen Deines Lehrers belohnst, den ich immer wieder segne! Dein Fleiß und Deine Bravheit trösten mich über die schmerzliche Trennung. Wie lieb habe ich Dich, mein guter Sohn, daß Du Dein Versprechen hältst und versuchst, Dich für alles, was Du Herrn Froussard schuldest, dankbar zu erzeigen. Eines Tages wirst Du verstehen, wie ungeheuer Du ihm verpflichtet bist. Wo könntest Du besser lernen, ein tüchtiger, ehrenhafter Mann zu werden und Dir die Unschuld des Herzens zu bewahren? Und mit wie viel Annehmlichkeiten er Dir die Pflicht versüßt! Wenn Du wüßtest, mein kleiner Liebling, welche Rührung mich bei dem Gedanken erfaßt! Danke ihm in meinem Namen durch Deinen Gehorsam und Deine Liebe zu ihm. Da das Schicksal Dir kein anderes Gut als die Rechtschaffenheit mitgeben kann, so muß dieses eine wenigstens beständig und unerschöpflich sein. Dein Vater und Dein Großvater haben den Keim dazu in Dein Herz gepflanzt; wer könnte ihn zu edlerer Entfaltung bringen als der beste der Menschen, der Dich zu seinem Zögling und »Emile« erwählt hat? Bevor Du einschläfst, wende Deine Gedanken zu Gott! Danke ihm, mein liebes Kind, für den Mentor, den er Dir gegeben hat. Verliere nie das Grauen vor der Lüge, der Lügner ist niemals ehrenhaft. Hüte Dich, jemals etwas zu versprechen, was Du nicht erfüllen kannst. Sei gern gefällig, hab gut acht auf das wenige, was Dein ist, und vor allem auf das Eigentum der andern; sei nicht zudringlich und rühre nicht daran. Leihe Dir nur, was Du bestimmt und pünktlich wiedergeben kannst, und möge die Reinlichkeit Dein ganzes Leben erhellen. Sie ist die harmlose Freude des Armen. Gott hat überall für Wasser gesorgt, mit dem man sich läutern kann. Ergib Dich niemals dem Spott. Die innigsten Freundschaften müssen darunter leiden. Man glaubt nicht mehr an die Zuneigung dessen, der sich über uns lustig gemacht hat. Es ist eine große Bitternis und ein kleiner Triumph!
An Valmore
Paris, 5. Juni 1833.
Beharre doch nicht bei dem Glauben, es sei Dein Lebensstern, der den meinen vertrübe; damit würdest Du mir Reue einflößen, indem Du mich daran gemahnst, daß das Gegenteil der Fall ist. Haben wir nicht auch ohne solche Einbildungen genug wirklichen Kummer!…
16. Jänner 1834 (abends).
… Wie, Du hast an mein Schuhwerk gedacht, mein guter Prosper! Ich versichere Dich, dieser Gedanke hat mich gerührt, um so mehr, als es sich mit unseren kleinen Arbeitsplänen für unsere so langen Abende begegnet hat. Line Line (Ondine), die Tochter. hat Dir Trikotärmel gemacht. Ich bin eigens ausgegangen, um dazu die Wolle zu kaufen. Wie wundervoll ist es für uns beide, uns um Dich zu kümmern.
An ihren Sohn
(Paris,) 8. Dezember 1833.
Mein lieber Hippolyte! Wieviel Küsse und Zärtlichkeit liegen in diesen drei Worten: mein lieber Hippolyte! Mein kleiner Freund, ist es nicht, als hätte ich Dir einen ganzen Brief geschrieben, indem ich Dir das schreibe?…
Ich habe keine Augenschmerzen mehr, aber ich bin recht matt. Die Arbeit übersteigt meine Kräfte. Vielleicht werden wir nicht mehr lange in Paris sein, trotz der Schritte, die wir für ein Bleiben unternehmen, im Interesse Deiner Zukunft und der Deiner Schwestern. Ein Hoffnungsfädchen ist uns noch geblieben, und auch Gott ist da. Du kennst mein Vertrauen in ihn und meine Unterwürfigkeit in seinen Willen, der weiser ist als unsere Wünsche.
Unser nächster Brief, mein guter Junge, wird Dir sagen, ob wir Mittel und Wege gefunden haben, uns in Paris festzusetzen. Der Vater möchte gern das Theater verlassen, und ich bitte Gott, daß er zustimmt. Bitte ihn auch, Lieber! Du hast uns so lieb, nicht wahr, daß Du es aus ganzem Herzen tun wirst?
Lausche auf die Schläge der Uhr, die wir Dir hier schicken, und denke an die Schläge meines Herzens für Dich, liebes Kind! Bestätige uns sogleich den Empfang des Kästchens.
An Valmore
Paris, 2. Februar 1834.
… Wenn Du einen festen und letzten Entschluß über das Engagement in Lyon gefaßt hast, unabhängig davon, ob Du eines an das Théâtre-Français angeboten bekommst, werde ich mich sogleich um meine Abreise kümmern: denn ich bekenne Dir, Deine Aversion läßt mich vor dieser Hilfsquelle in Paris zurückscheuen, und ich sehe keinen Vorteil für unsere Zukunft darin, wenn Du ein Opfer bringst, das Dich unglücklich macht; Du weißt, ich habe seinerzeit ebensowohl Dein Grauen vor einer Rückkehr nach Lyon begriffen. Du kennst noch immer nicht genug meine Selbstverleugnung Deinem Willen gegenüber, lieber Prosper. Wie in aller Welt könnte ich zufrieden sein, wenn Deine Position Dir falsch erscheint oder Deinen Neigungen nicht entspricht? Du beunruhigst Dich zu sehr um mich: ein ruhiger Winkel, meine Kinder, Tinte und Papier – und ich fühle mich hier so wohl wie da, vorausgesetzt, daß man mich Atem holen läßt…
Paris, den 25. April 1839.
Ich fühle Deine Ankunft dort. Ich erlebe in meiner tiefen Einsamkeit Dein Erwachen ohne mich. Ich weiß, wie traurig das ist, Du! Ich weiß alles. Du tust mir leid, ich weine, und ich liebe Dich über alles. Und so rufe ich Dir jetzt zu: Mut, Hoffnung!…
Lieber Gott! Wie die armen Kinder Dich bedauern und Sehnsucht nach Dir haben! Kannst Du ihnen nicht ins Herz sehen? Hast Du nicht zum mindesten den unendlichen Trost in dieser schweren Prüfungszeit, geliebt zu sein? Dieses Bewußtsein erhält bei Kräften. Ich habe nur eine Bitte an Dich: schone Dich für uns; sei glücklich, wenn Dir daran liegt, daß ich aufatmen und aushalten kann!
26. morgens.
Ich küsse Dich im Namen Molières, von dem ich soeben geträumt habe. Er hat in einem hübschen kleinen Haus, das Dein war, mit uns diniert. Du warst zufrieden, und ich – das kannst Du Dir denken! Er bat mich um einen meiner Ringe und küßte mich auf die Stirne, ehe er sich an die Arbeit begab – ich ersuchte ihn, sich mit Dumas zusammenzutun und ein Theater zu gründen; ich wußte ja, wie gern Du ihn hast und daß Du Dich darüber freuen würdest. Er lächelte uns zu und hatte nur einzuwenden, daß er zu viel zu arbeiten habe.