Fjorgaar - Der rote Vogel. Dorothea Bruszies

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ruckartigen Kopfbewegung über die Schulter. »Du weißt doch noch gar nicht, wie er schmeckt«, grollte sie. »Außerdem will ich jetzt lieber in den Park gehen. Das Wetter ist viel zu schade, um den ganzen Tag drinnen herumzusitzen.«

      »Ich sitze aber gerne drinnen rum«, beeilte Ben sich, klarzustellen »Außerdem …« Aber noch bevor er auf seine Sonderrechte als Geburtstagskind pochen konnte, unterbrach ihn Liz, wie sie es so häufig tat.

      »Interessiert keinen. Wir gehen raus und du kommst mit. Arne?«

      Der Angesprochene nahm einen letzten Schluck aus seiner Kaffeetasse und enttarnte sich als hinterhältiger Verräter, indem er mit den Schultern zuckte.

      Dann sprach er mit andächtiger Stimme:

      Die Sonne lacht

      Zu dir hinunter.

      Auf dich herab.

      Gib Acht, mein Kind. Gib Acht.

      Es war ein Vers, der ihm vermutlich soeben erst in den Sinn gekommen war.

      Ben räusperte sich. »Arne?«

      »Hm?«

      »Muss man das verstehen?«

      »Du musst gar nichts im Leben.«

      ****

      Ben kniff die Augen zusammen und blickte einem unangenehm großen Schäferhund hinterher, der, wie es schien, unbeaufsichtigt umhertollte. Bis zum Glück doch ein scharfer Ruf ertönte und das Tier mit beeindruckender Geschwindigkeit in der Ferne hinter einer Ansammlung von Bäumen verschwand.

      Wie es zumeist der Fall war, hatte Liz ihren Willen durchgesetzt, und nun schlenderten die drei Freunde durch einen kleinen, aber liebevoll angelegten Stadtpark.

      Die Sonne war unerwartet warm auf Bens Haut. Er hatte die Ärmel seines Hemdes bis zu den Oberarmen hinaufgeschoben. Hin und wieder glaubte er sogar, er könne bald ins Schwitzen kommen, doch dann trugen kühle Böen die Hitze wieder mit sich fort. An- und abschwellend rauschte der Wind in den Ästen kahler Bäume, beinahe so, als trügen sie schon ein dichtes Blätterkleid. Oder vielleicht würde dies auch gänzlich anders klingen? Ben ließ seine Gedanken nicht bei jener Frage verweilen. Für einen winzigen Moment nur dachte er an die Geräusche des Waldes in seinem Traum. Dann atmete er tief durch.

      Die Luft war frisch. Frühlingshaft, wie man es erwarten mochte und realer, als Bens Vorstellungskraft es sich hätte ausmalen können. Jedes Jahr stellte er aufs Neue fest, wie sehr er den Frühling tatsächlich schätzte. Nur, um es in der darauffolgenden Zeit wieder zu vergessen.

      Und um es wieder neu entdecken zu können, hob Ben in Gedanken hervor und lächelte, als eine stärkere Windböe über ihn hinwegfegte. Sie griff nach seiner Kleidung und seinem Haar. Es fühlte sich beinahe neckisch an, spielerisch.

      Noch größere Freude schien der Wind mit Liz’ dunkler Mähne zu haben. Er hob sie an, zerzauste sie und blies sie wieder und wieder ins Gesicht der jungen Frau. Liz schien sich nicht weiter daran zu stören. Sie ging neben Ben dahin, summte leise vor sich hin. Und zwischen wilden Strähnen hindurch lächelte sie ihm zu. Er erwiderte diesen Ausdruck fast automatisch.

      Liz zwinkerte schelmisch, als wolle sie hervorheben, wie gut ihre Idee, ins Freie zu gehen, gewesen war. Daraufhin warf Ben ihr einen bösen Blick zu, jedoch lag keine Ernsthaftigkeit dahinter. Genauso gut hätte er mit einem Grinsen antworten können.

      Eine besonders starke Windböe kam heran und trug das leise Fluchen von Arne mit sich. Dieser hatte wie immer einen kleinen Zeichenblock bei sich, in dem er alle möglichen Situationen und Dinge – existent oder auch nicht – skizzierte und Gedankenfetzen notierte, die später zu Gedichten werden sollten. Jener Gewohnheit folgend, war er schon zu Anfang des Spaziergangs hinter Ben und Liz zurückgefallen. Die beiden kannten seinen Wunsch, beim kreativen Schaffen nicht gestört zu werden und gingen langsamen Schrittes voraus.

      Erneut atmete Ben tief durch und schloss mit einem zufriedenen Seufzen die Augen. Nur für einen Moment. Doch lange genug, um prompt über etwas zu stolpern, das vor ihm auf dem Boden gelegen haben musste. Statt sich nach dem Übeltäter umzusehen, versuchte Ben, seine Würde zu bewahren und weiterzugehen, als sei nichts geschehen. Wie zu erwarten, hörte er Liz neben sich kichern und verdrehte schicksalsergeben die Augen.

      Liz war nun schon seit Jahren eine seiner besten Freunde, von denen er nicht viele hatte. Genau genommen zählte er nur sie und Arne dazu. Eine Tatsache, die Ben keineswegs störte. Denn er tendierte nun einmal nicht dazu, fremden Leuten unverdient Vertrauen zu schenken, und brauchte umso länger, enge Beziehungen aufzubauen. Arne kannte er schon seit der fünften Klasse im Gymnasium und hatte ihn anfangs als zurückgezogenen Sonderling betrachtet, der wenig sprach und in seiner eigenen fernen Welt lebte.

      Eine Erinnerung, die Ben immer wieder zu einem stillen Lächeln verleitete, da ihm sehr wohl klar war, dass ihn selber seine Mitschüler damals mit ähnlichen Augen gesehen hatten. Auch die Bezeichnung arrogant war schon gefallen, doch damit konnte er sich nicht identifizieren. War es denn so überheblich, seine Zeit nicht mit jedem dahergelaufenen Idioten verschwenden zu wollen?

      Nachdem Arne und er damals unfreiwillig für eine Schulaufgabe Zeit miteinander hatten verbringen müssen, stellten sie überrascht fest, wie gut sie miteinander auskamen und waren von dem Tag an nicht mehr zu trennen gewesen. Zwei Jahre später hatte sich eine vorlaute und doch liebenswerte Fünftklässlerin in ihre verschworene Gemeinschaft geschlichen, indem sie sich einfach zu ihnen setzte und feststellte: »Ich bin Liz. Eigentlich Eliza, aber wenn ihr mich so nennt, werfe ich euch aus dem nächsten Fenster.«

      Während Ben in der Vergangenheit schwelgte, setzte er weiterhin einen Schritt vor den anderen, hörte das Knirschen des Kiesweges unter seinen Schuhen. Erst unbewusst, dann immer klarer, als seine Wahrnehmung in die Gegenwart zurückkehrte. Er spürte die Bewegung seiner Beine, das regelmäßige An- und Entspannen seiner Muskeln, und in ihm breitete sich eine kuriose Mischung aus Wachheit und Erschöpfung aus. Zumindest aber fühlte er sich nicht mehr, als sei er gerade eben erst aus dem Schlaf gerissen worden. Als läge der Moment, in dem er schweißgebadet aufgeschreckt war, nicht bereits in der Vergangenheit. Aufgeschreckt aus …

      »Ben?«, unterbrach Liz unvermittelt die Stille.

      Erleichtert ließ er sich von ihrer Stimme aus seinen Gedanken reißen. »Hm?«, brummte er, denn seine wahren Empfindungen mussten nicht allzu offensichtlich sein.

      »Weißt du schon, was du diese Semesterferien machen willst?«

      »Keine Ahnung. Nichts Bestimmtes. Warum?«

      »Kann ich mich nicht dafür interessieren, was mein bester Freund in seinen Ferien geplant hat?«

      »Nicht, wenn du so fragst. Du willst auf irgendetwas hinaus.«

      Und Liz warf ihm einen bösen Blick von der Seite zu, woraufhin Ben nicht widerstehen konnte, ihr verschwörerisch zuzuzwinkern. Oder schelmisch. Oder – irgendwie. Der Akt des Zwinkerns fühlte sich aus unerfindlichen Gründen seltsam an, doch Ben tat sein Bestes, diese Wahrnehmung zu überspielen. Er griff nach einem herabhängenden Ast eines nahen Baumes, riss ein Blatt, welches den Winter überdauert hatte, vom Zweig und reichte es Liz mit einer leichten Verbeugung. »Entschuldige bitte mein unsensibles Verhalten. Nimmst du dies als ein Zeichen meiner Demut an?«

      Liz riss ihm das Blatt aus der Hand und steckte es sich ins Haar. »Demut? Ha!«

      Nachdem sie etwa eine Minute wieder schweigend nebeneinander hergegangen waren, stupste Ben Liz in die Seite. »Was wolltest du mich denn nun fragen?«

      »Ach, auf einmal?« Liz strich sich mit der linken Hand durch ihr langes dunkles Haar und korrigierte den Sitz des Blattes. »Du kennst doch noch meine Tante Susan?«

      »Die Tante, die nach Frankreich ausgewandert ist, weil ihr die deutschen Männer ausgegangen sind?«

      Liz verdrehte die Augen »Ja, genau die. Sie will mit ihrem aktuellen Lebensgefährten nach Italien fahren und hat mir angeboten, solange auf ihr Haus aufzupassen. Ich könnte für den Zeitraum Urlaub nehmen.«

      Anders


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