Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte. Louise Otto
Locomotive in meiner Heimath, ward auch – nicht lange vorher – das erste Dampfschiff auf der Elbe begrüßt. Als es da zuerst fröhlich läutend und grün und weiß bewimpelt daher gefahren kam, wo der Strom unweit unsres Weinberges vorüberfloß, da hatten auch wir dort die Flagge aufgezogen und wir Schwestern standen weißgekleidet am Ufer, wehten mit unsern Tüchern, und warfen Blumen hinüber – es war dies eine von uns improvifirte, nicht etwa irgend eine officielle Huldigung, und als wir ein paar Tage darauf selbst mit der »Saxonia« fuhren, so ward dies wieder zu einem außerordentlichen Genuß. Freilich – wenn auch ein Schiff, das nicht, wie an der Elbe damals üblich, von Menschen gezogen zu werden brauchte, mit den plätschernden Radwellen und der funkensprühenden und eine Rauchsäule entsendenden Esse und nun überhaupt in so zierlicher Bauart und Ausstattung ein sehr holder Anblick ist, daran ich mich heute noch gern erfreue: die weißen Segel – in deutscher oder römischer Weise gespannt – waren doch eine romantischere Erscheinung, die nun immer seltener wird, seit auch die Güterschiffe durch Kettendampfer befördert werden. Aber auch damit ist ein gutes Theil weiße Sklaverei und Rohheit aus der Welt gekommen! Wie es entwürdigend war, Menschen – wie anderwärts die Pferde – so zum Ziehen zu verwenden, so waren auch diese erniedrigten Menschen die gemeinsten und von allen Frauen gefürchtetsten. Es war in meiner Kindheit und Jugend bedenklich, an den Elbufern – die damals sehr vernachlässigt waren – auf den sogenannten »Leinenpfaden« zu wandern, welche die Schiffszieher, an die Leine gespannt und mit großen Stöcken, die sie vorwärts einstämmten und dazu oft im Takt das Schiffs »Hoi-ho« sangen, beschritten. Man suchte da immer eine Stelle zu erreichen, wo der Weg breiter ward oder sonst eine Gelegenheit zum Ausweichen sich bot. Allein, merkten sie diese Absicht, so machten sie rohe Bemerkungen, sperrten den Weg und suchten ihre Knüttel neckend zu gebrauchen. Ohne Schimpfworte und lautgerufene Zoten ließen sie selten Jemanden vorüber. Auch diese Zunft hat bald ihre Endschaft erreicht, auch diese Beleidiger der Frauenwürde werden bald nur noch der Culturgeschichte angehören. Die Fortschritte der Gesittung und damit das Aufhören der Verletzung der Sitte und speciell weiblichen Anstandsgefühls bemerkt man am Meisten, wenn man sich dessen erinnert, was in diesen Beziehungen noch vor dreißig Jahren ungestraft hingehen durfte und gleichsam als das Privilegium dieser Menschenclasse betrachtet ward. Man bekam von ihnen Worte zu hören, die seitdem selbst aus der gemeinen Volkssprache fast ganz verschwunden sind.
Je mehr die Menschen aufhören niedrige Dienste zu verrichten und erniedrigende Behandlung zu erfahren, je mehr schreitet auch ihre Bildung und Gesittung vorwärts, Seit der Dampf einen großen Theil der Menschenarbeit übernommen hat, geschieht dies täglich mehr und mehr – die Menschen können sich ihrer Menschenwürde bewußt werden – und dabei darf und kann denn auch auf die Länge daß Bewußtsein der Frauenwürde nicht ausbleiben – und zwar von beiden Seiten. Jeder Mensch hat einen Selbstzweck, auch die Frau hat den ihrigen und beginnt ihm zu erkennen.
Es ist wahrlich anders geworden in der Welt und wie das Licht das Streichhölzchen in die Wirthschaft, in das Haus neuen, ungeahnten Segen trug, so trägt ihn der Dampf in die Volkswirthschaft in das ganze öffentliche Leben und die erste Locomotive ward der Bahnbrecher einer neuen Aera für Alle.
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