DSA 128: Der Pfad des Wolfes. Alex Spohr
sich Druan und Daragh dem Eingang des Palisadenwalls näherten, öffneten die Wächter das Tor und grüßten sie freundlich. Druan erblickte Gaschnig bren Barwad, den Sanftmütigen. Er war auch ein Durro-Dûn, folgte jedoch Arrardh, dem Großen Bären, und war fast so groß wie ein Trollkind. Zu jedem war er hilfsbereit und freundlich, vor allem zu den Kindern. Er kämpfte nicht gern, sondern war vor allem in der Heilkunst bewandert. Doch wenn es sein musste, so konnte er in einen Kampfrausch verfallen, der jeden Gegner das Fürchten lehrte. Druan betrachtete Gaschnig als einen seiner Freunde und begrüßte ihn besonders herzlich. Bärtig war er und besaß einen breiten Mund. Sein Lachen konnte man noch bis zur anderen Seite des Haerad vernehmen. Er besaß eine bekannte Axt, sie war Familienbesitz und hatte in der Vergangenheit schon so manchem Oger den Schädel gespalten.
»Mögen dein Odûn und Natûru-Gon mit dir sein, mein Freund«, rief Druan ihm zu.
»Schön, euch zu sehen. In letzter Zeit habe ich euch selten in Mortakh erblickt«, antwortete der Durro-Arradh-Dûn.
Daragh, der nur knapp hinter Druan stand, antwortete für diesen: »Wir waren in den Wäldern und im Moor. Druan hat seine Krallessa vollendet. Er ist nun ein wahrer Durro-Dûn!«
Gaschnig musterte Druan einen kurzen Augenblick und fuhr dann fort: »Seltsam, er sieht eigentlich noch genauso aus wie vorher, wie ein Hasenfuß.«
Bei dieser Bemerkung begannen er und die andere Wache laut und herzhaft zu lachen. Während Daragh empört wirkte, fiel Druan in das Gelächter mit ein. Er wusste, dass für Gaschnig jeder außer ihm selbst ein Hasenfuß war, und er war sich sicher, dass sich der Bärenkrieger in Wirklichkeit für ihn freute.
Vor einigen Monden hatte es eine große Schlacht gegen die Orks gegeben. Die Schwarzpelze hatten es gewagt, nicht nur in das Territorium des Haerad Mortakh einzudringen, sondern gar auch noch eines der heiligen Brenna-Gons – ein Mammut – zu töten. Die Mortakher hätten die Orks weiterziehen lassen, wären sie friedlich geblieben, aber nachdem sie Natûru-Gon selbst herausgefordert hatten, beschloss der Yalding mit den Brenchi-Dûn, dass man die Orks für ihre Untat bestrafen musste.
Gaschnig und Bartakh hatten den Angriff angeführt. Druan selbst war damals noch zu jung gewesen, noch nicht in der Zeit der Reife und mitten in der Vorbereitung auf seine Krallessa, doch er hatte aus den Geschichten der Stammeskrieger gehört, dass Natûru-Gons und Ifrunns Rache über die Orks gekommen war. Es war ein glorreicher Sieg gewesen. Alle Schwarzpelze waren erschlagen worden. Obwohl Bartakh dafür gestimmt hatte, auch die Orkfrauen und die Kinder zu töten, weil er deren Rache fürchtete, hatte Gaschnig darauf bestanden, sie gehen zu lassen.
Bartakh hatte ihm nicht verziehen, dass er seinen Willen gegen ihn durchgesetzt hatte. Die Entscheidung hatte die Stammeskrieger in zwei Lager gespalten, von denen die einen Gaschnig zustimmten und die anderen Bartakh folgten. Druan selbst hatte lange Zeit darüber nachgedacht, wem er zustimmen sollte. Er konnte Bartakh auf der einen Seite durchaus verstehen. Die Orkfrauen würden entweder auf ihrer Reise sterben oder zu Sklaven von anderen Orks werden und so weitere Orkkrieger gebären, die in spätestens zehn Jahren eine Gefahr für Mortakh darstellen würden und sich mit Freude an der Jagd auf die Brenna-Gons beteiligen würden. Auf der anderen Seite lag kein Mór – keine Ehre – darin, Wehrlose abzuschlachten. Die Götter höchstselbst konnten den Gjalskern so etwas übelnehmen. Druan glaubte, dass er so wie Gaschnig gehandelt hätte, allein schon deswegen, weil er ihn für einen großen Krieger hielt, dem Ehre viel bedeutete, genauso wie ihm.
Druan und Daragh verabschiedeten sich von Gaschnig und dem anderen Wächter und gingen schnellen Schrittes zu Daraghs moosbewachsenem Haus. Daragh schob das Fell zur Seite, das den Eingang verhüllte. Im Inneren war es warm und gemütlich. Es brannte ein Feuer, und Gedwed, der Schüler Daraghs, saß dort und schaute in die Flammen. Als er jedoch Daragh und Druan erblickte, erhob er sich hastig. Druan merkte ihm deutlich an, dass er aufgeregt und nervös war.
»Bei Sindarras Weisheit und Güte, ihr seid beide wieder da!«
»Aber natürlich sind wir das, Ged. Hast du je daran gezweifelt?«, merkte der Brenoch-Dûn neckend an.
Gedwed sah irritiert und beschämt aus. Druan musste schmunzeln, wusste er doch, dass Daragh seinen jungen Schüler hin und wieder auf den Arm nahm. Gedwed, der von allen nur Ged genannt wurde, war ein dünner Bursche von mittlerweile siebzehn Jahren und galt als tapsig und ungeschickt. Dass er eines Tages der Nachfolger des großen Daragh werden würde, konnten sich weder Druan noch die meisten anderen Mortakher vorstellen. Doch Daragh hielt viel von dem Jungen und sah in ihm offenbar etwas, das die anderen nicht erkennen konnten. Ged hatte auf jeden Fall einen wachen Verstand und begriff sehr schnell. Zudem kannte er sich sehr gut mit Kräutern aus. Vor einigen Monden hatte er eine Beinwunde Druans behandelt, und sie war sehr gut und außergewöhnlich schnell verheilt.
Druan vertraute Daraghs Urteil. In Ged steckte ein Brenoch-Dûn, doch er hatte noch viel zu lernen.
»Verzeiht mir bitte. Ich dachte, ich hätte im Feuer ein schlimmes Omen gesehen. Die Ahnen waren aufgeregt, vielleicht sogar erzürnt«, entschuldigte sich der junge Bursche.
»Aufgeregt warst nur du. Die Ahnen waren tatsächlich heute Nacht hier, aber im Moor. Druan wandelte auf dem Pfad des Wolfes, und der Madadh hat ihn erhört. Er ist nun ein Durro-Madadh-Dûn.«
»Ich beglückwünsche dich, Druan bren Anargh! Du hast es verdient.«
»Danke, Gedwed. Ich habe den Großen Wolf gesehen, doch ich verstehe nicht alles, was er mir gesagt hat. Die Geisterwelt ist ein Ort, wo deine Sinne dich trügen können. Ich hoffe, dass ich für Mortakh und den Madadh Ehre erlangen werde. Doch nun will ich schlafen, ich bin müde wie noch nie zuvor in meinem Leben. Eine Erschöpfung meines Geistes, nicht meines Körpers.«
Ged hatte bereits die Schlafstätten vorbereitet. Sowohl Druan als auch Daragh legten sich auf ihre Felle und waren kurze Zeit später eingeschlafen. Ged weilte noch länger am Feuer und starrte in die Flammen, denn was er dort gesehen hatte, beunruhigte ihn trotz Daraghs Worten noch immer.
***
Als sich Dharra am nächsten Tag wieder zeigte, fühlte sich Druan nicht mehr ganz so müde. Während der Brenoch-Dûn und sein Schüler noch schliefen, machte er sich auf den Weg zum Fluss.
Das Haerad war bereits erwacht, und die ersten Gjalsker kamen verschlafen aus ihren Häusern. Nur diejenigen, die sich um die Tiere kümmern mussten oder Wache gehalten hatten, waren schon oder immer noch auf den Beinen.
Druan erblickte Harun bren Meku, den stillen Jäger. Er war ein paar Jahre älter als Druan und galt als einer der besten Jäger Mortakhs. Gerade rüstete er sich zur täglichen Jagd, so wie er es immer machte. Meist kehrte er mit Beute zurück, bevor Sindarras Auge am Himmel verschwand. Druan sah ihn des Öfteren in den Wäldern, denn Harun unternahm manchmal weite Streifzüge. Wenn die Jagd die Mortakher in die Ferne führte, war er meist einer von jenen, die die Führung übernahmen. Manchmal zogen die Jäger sogar bis nach Rayyadh, einem weiter östlich gelegenen Haerad. Von dort stammte Haruns Frau Griwer brai Hasda. Sie war eine gemütliche Frau, die ihren Mann immer auf den Reisen nach Rayyadh begleitete, um ihre Familie zu besuchen und im Auftrag des Yaldings von Mortakh mit den Rayyadhern zu verhandeln.
»Guten Morgen, Harun. Gehst du auf die Jagd?«
Der stille Harun wirkte geistesabwesend, doch als er Druan ansah, lächelte er. »Ja.«
»Geht es nach Rayyadh mit den anderen, oder gehst du allein auf Jagd?«
»allein.«
Druan galt als jemand, der nur das sagte, was notwendig und wichtig war. In der Wildnis sprach er manchmal viele Tage mit keinem Menschen. Aber Harun wurde nicht umsonst der Stille genannt, neben ihm musste Druan als wortgewandt angesehen werden.
»Wann brichst du denn mit Griwer nach Rayyadh auf? Es müsste ja bald wieder so weit sein?«
»Griwer ist bei unserem letzten Besuch bei ihrer Familie geblieben. Ich hole sie bei der nächsten Reise wieder ab.«
Druan verstand. Harun war deshalb so wortkarg, weil er seine Frau vermisste. Vor drei Jahren hatte sie