Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
Ausonius einen zu starken Schulgeschmack und ist allzubewusst als Specimen der betreffenden Gattung konstruiert, als dass es einen lebendigen Eindruck machen könnte. Ganz spät folgt dann noch der überaus begabte Improvisator Claudian mit seinen Panegyriken, Mythenerzählungen und Idyllen (das heisst schlechtweg: vermischten Gedichten); ein unwürdiger Schmeichler in einer ästhetisch verkommenen Zeit, und doch strahlend im Farbenglanz fast ovidischer Erfindung und Ausführung; zur ewigen Warnung an die Literaturgeschichte, die Schranken zwischen ihren Perioden nicht zu fest zu schliessen. Dem oben erwähnten Rutilius Numatianus (um 417) fehlt auch die edlere, gemütliche Seite nicht, allein sein Reisegedicht als Ganzes ist schon sehr formlos.
Was sich offiziell als Dichtung geltend machte und in der constantinischen Zeit bewundert wurde, war freilich gerade das Allerschlechteste, das grammatische Wort- und Versespiel. Eine grosse Rolle spielen die Centonen aus Virgil, das heisst stückweise Benützung von dessen Versen zum Aufbau neuer Gedichte ganz verschiedenen Inhalts. Wie sehr dabei der Sinn Gewalt leiden mag – es sind wenigstens die wohllautendsten römischen Verse, die es gibt. Andere Künsteleien sind noch widersinniger; so die Epanalepsis, welche die Anfangsworte des Hexameters am Ende des Pentameters wiederholt530; figurierte Gedichte, welche behutsam geschrieben zum Beispiel einen Altar, eine vielröhrige Hirtenflöte, eine Orgel vorstellen531; Vereinigung aller römischen Versmasse in einem Gedichte; Aufzählung von Tierlauten, anacyclische Verse, welche man vorwärts und rückwärts lesen kann u. dgl. m. Das Unerreichte hat in diesen zum Teil erstaunlich schwierigen Spielereien ein gewisser Publilius Optatianus Porphyrius532 geleistet. Er war aus irgendeinem Grunde in die Verbannung geschickt worden und legte es nun darauf an, durch ganz verzweifelte poetische Luftsprünge sich bei Constantin wieder zu Gnaden zu bringen, was ihm denn auch gelang. Es sind sechsundzwanzig Stück Gedichte, meistens in zwanzig bis vierzig Hexametern, jeder von gleichviel Buchstaben, so dass jedes Gedicht ungefähr wie ein Quadrat aussieht. Eine gewisse Anzahl von Buchstaben aber, welche (durch rote Farbe erkennbar) zusammen irgendeine Figur, einen Namenszug, ein X mit P, einen Zierat vorstellen, bilden, im Zusammenhang gelesen, wieder besondere Sprüche. Die Marter, die der Leser empfindet, lässt auf diejenige des Dichters schliessen, welcher den nichtigsten Inhalt – Komplimente an Constantin und Crispus – unter so peinlichen Formen ausdrücken wollte. Am Ende folgen vier Hexameter, deren Worte man auf achtzehn verschiedene Weisen durcheinander mischen kann, so dass immer wieder eine Art von Metrum und Sinn herauskömmt. Constantin in einem sehr gnädigen Schreiben an Optatianus nimmt die Überwindung solcher Schwierigkeiten als einen wahren Fortschritt der Kunst mit Gönnermienen auf: »Wer in meinem Jahrhundert schreibt und dichtet, dem folgt mein geneigtes Gehör wie ein sanfter Lufthauch.« Bereits war der Verskünstler aus dem Exil zurückgerufen533; vielleicht ist sogar ein Stadtpräfekt von Rom desselben Namens, der in den Jahren 329 und 333 vorkömmt, keine andere Person. Man könnte diese ganze Angelegenheit übergehen, wenn sie nicht den persönlichen Geschmack des Kaisers offenbarte.
Mit dem Eintritt des Christentums in die antike Poesie war nicht so viel für dieselbe gewonnen, als man denken möchte. Die biblische Geschichte stand zur poetischen Behandlung in einem ganz andern Verhältnis als der antike Mythus; dieser in seiner freien Vielgestaltigkeit war mit der Poesie und durch sie zu einer fortlaufenden Offenbarung des Schönen geworden; die Ereignisse der Bibel dagegen wurden auf einmal der Poesie als etwas Festes und Fertiges überliefert, dessen episch-plastische Ausschmückung in dogmatischer Beziehung gefährlich gewesen wäre. Daher die Trockenheit der Evangelienharmonien in Versen, von derjenigen des Hispaniers Iuvencus (329) an. Das deklamatorische Element bietet keinen Ersatz und verrät nur allzusehr den rhetorischen Bildungsgang der damaligen christlichen Dichter. Der bedeutendste unter ihnen, Prudentius (um 400), ebenfalls ein Hispanier, hat gute, beinahe lyrische Stellen dieser Art und bewegt sich in seinen Märtyrergeschichten (Peristephanon) mit einer viel grössern epischen Freiheit, als rein biblische Stoffe gestatten würden; allein im ganzen bleibt der Eindruck seiner Gedichte doch einseitig ein rhetorischer. Einzelne vortreffliche Hymnen von ihm und seinem Zeitgenossen Ambrosius gelten immerhin mit Recht als die Grundlage aller christlichen Lyrik. Das Vorwalten des Akzentes über die Quantität, das hier zum erstenmal ganz ohne Rückhalt zutage tritt, ist ein zwar nur äusserlicher, aber doch merkwürdiger Übergang zur Poesie des Mittelalters, welche später auch dem erstarrten Latein eine neue, mittelalterliche Seele einzuhauchen vermochte.
Einstweilen jedoch herrschte die Rhetorik. In ihren Händen lag noch immer die Erziehung534. Von den sogenannten sieben freien Künsten Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Musik, Geometrie und Astronomie, welche einst die »Kreisbildung« der jungen Leute von Stande ausgemacht hatten, waren die drei ersten in dieser Stellung verblieben, während die vier andern durch Anhäufung des Stoffes zu besondern Fächern der Gelehrsamkeit geworden waren. An jene schloss sich in der Kaiserzeit an, was noch von Philosophie lebendig war, und auch die Praktikanten des Rechtes erkannten in den Rhetorenschulen die wesentlichste Gelegenheit zu ihrer Bildung. Von der Ausdehnung und Wichtigkeit dieses ganzen Treibens können wir uns nur schwer einen Begriff machen. Der leichte und reiche Ausdruck im täglichen Leben galt als unentbehrlich, und das erfolgreiche öffentliche Reden als der höchste Triumph535. Jede bedeutende Stadt des Reiches bemühte sich um den Besitz eines oder mehrerer tüchtigen Rhetoren; in Rom stritten Griechen und Einheimische um den Vorrang; in Gallien gab es zu Marseille, Narbonne, Toulouse, Bordeaux, Autun, Trier und Reims, in Spanien zu Cordova, in Afrika zu Karthago, Sicca, Madaura u. a. a. O. eigene Anstalten für diese Disziplinen; in Griechenland und Vorderasien waren vollends die »Sophisten« oft die wichtigsten Personen der Stadt, indem sie ausser ihrer pädagogischen Aufgabe bei jeder Gelegenheit als Anhänger einer bestimmten Philosophensekte, als Advokaten, als Redner über städtische Angelegenheiten öffentlich auftraten536. Nicht selten widmeten sich sehr reiche, freigebige Männer diesen Beschäftigungen und machten dann eine so grosse Figur, als es unter einer Regierung wie die der Römer irgend möglich war. Endlich entschliesst sich auch der Staat, die bisher den Städten und den Privatleuten überlassene höhere Erziehung als eine öffentliche Angelegenheit wenigstens hie und da zu unterstützen und je nach dem Rang der Städte mehr oder weniger Sophisten von sich aus zu besolden; nur mögen die von Hadrian und Antoninus Pius abwärts vorkommenden Verfügungen dieser Art schwerlich lange in gleichmässiger Kraft geblieben sein. Noch Constantin bestätigt den vom Staat angestellten Professoren und den ebenfalls sehr privilegierten Ärzten samt ihren Familien wenigstens die Immunität von lästigen Ämtern und Leistungen, namentlich dem gefürchteten Dekurionat und vom Kriegsdienst537. Er selbst war, wie unten gezeigt werden wird, ein eifriger Liebhaber der Redekunst, was auch von einer ganzen Anzahl seiner Vorgänger bis auf Numerian herunter gerühmt wird. Sein Geschmack dürfte aber in diesem Punkte kaum besser gewesen sein als in poetischen Dingen. Was seit Diocletian aus dem kaiserlichen Kabinette kam, Briefe, Edikte und Gesetze, alles trägt einen schiefen, bombastischen Charakter; die Kaiser aber pflegten ihre Geheimschreiber und manche andere wichtige Hofbeamte aus dem Rhetorenstande zu wählen538 und müssen demnach seit einiger Zeit eher auf alle sonstigen Geschäftstalente als den Stil gesehen haben. Eumenius, der Sekretär des Chlorus, würde übrigens doch eine achtungswerte Ausnahme machen.
Hat nun das Altertum die Ausbildung der Rede und des Schreibens nicht überschätzt? Hätte es nicht besser getan, die Köpfe der Knaben und Jünglinge mit nützlichen Realien anzufüllen? Die Antwort ist, dass wir darüber gar nicht zu entscheiden berechtigt sind, solange uns selber im Reden und Schreiben die Formlosigkeit überall nachgeht, solange von hundert unserer Gebildeten vielleicht kaum einer von der wahren Kunst des Periodenbaues eine Ahnung besitzt. Die Rhetorik mit ihren Nebenwissenschaften war den Alten die unentbehrlichste Ergänzung ihres gesetzlich schönen