Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
mittelbar die Form, Haltung und Bewegung des Leibes selber ungestört bemerken lassen. Constantin erhielt von fremden Gesandten »mit Gold und Blumen gewirkte barbarische Gewänder« geschenkt486; bald hernach erscheint dergleichen als übliches Prachtkleid in den Mosaikbildern der Kirchen, und es dauert nicht lange, so werden in Priestergewänder und Altardecken ganze Geschichten eingestickt. Es hat aber das Fremde, Barbarische überhaupt in der spätrömischen Mode ein offenkundiges Vorrecht, schon weil es teuer und schwer zu haben ist. Muss sich doch unter Theodosius dem Grossen der berühmte Symmachus eine prächtige ausländische Staatskutsche verbitten, wodurch der Kaiser die Ausfahrten des Stadtpräfekten zu verherrlichen glaubte487.
Diese Barbarisierung dehnte sich indes viel weiter als nur auf die Kleidung aus. Das Aufkommen germanischer, besonders gotischer und fränkischer Offiziere im Heer und bei Hofe, der Einfluss orientalischer Etikette und Sitten musste der ganzen äussern Form des Lebens allmählich ein unrömisches Gepräge verleihen. Ganz unantik ist vor allem jene Zerteilung der Gesellschaft nach Stand und Rang, welche durch Verleihung von Titeln bewerkstelligt wurde; nichts widersprach stärker dem Begriff des Bürgertums, mit welchem die klassische Welt sich aufgenährt hatte. Auch das Christentum, welches mit seiner gewaltigen Flamme so viele Elemente der antiken Bildung aufzehrte, trug einstweilen mittelbar zur Barbarisierung488 bei, wie dies bei einem Blick auf Kunst und Literatur dieser Zeit deutlich zu machen sein wird.
Die Kunst im höchsten Sinne des Wortes war einst der Lebensatem des griechischen Volkes gewesen. Keine andere Nation hätte es wagen dürfen, ihre Zeitrechnung nach der Entwicklung des Schönen durch Dichter und Künstler zu datieren, wie dies zum Beispiel in der Marmorchronik von Paros geschehen ist. Mit den siegreichen Waffen Alexanders und seiner Diadochen zog in der Folge die griechische Kunst durch den Orient und verdrängte nach Kräften die alten nationalen Formen, mit einziger Ausnahme der Bauten und Bildwerke Ägyptens von Alexandrien aufwärts. Die Römer nahmen sie ebenfalls bereitwillig in ihren Dienst, nicht bloss als Luxusgegenstand, sondern weil sie dem Bedürfnis des Schönen entsprach, das in ihnen selbst lebte, dessen tätige Entfaltung aber durch das Vorherrschen des Kriegerischen und Politischen gehemmt wurde. Auf das grossartigste half sie nun mit, der religiösen und nationalen Herrlichkeit Roms den edelsten Ausdruck zu verleihen, wenn auch nicht ohne Einbusse ihres innern Organismus. Von Rom aus nahm endlich der ganze Okzident diese romanisierte Kunst wie ein Gesetz des Siegers an und sprach sie nach wie seine Sprache. Wo Kolonien italischer Abstammung sich im Westen erhielten, mag sie wohl auch zum Bedürfnis geworden sein.
Eine Stellung wie bei den Griechen der Blütezeit erreichte freilich die Kunst in dieser Zeit der Römerherrschaft nicht wieder. Man hört nicht mehr davon, dass die Lästerung des Schönen als Blasphemie galt, wie damals, als der Dichter Stesichoros erblindete, weil er die Helena, das Urbild aller Schönheit, getadelt hatte489. Lucian, der weder Götter noch Menschen schont, darf jetzt auch über die alten Ideale aller Schönheit spotten, während anderweitig sein Kunstgeschmack so unzweifelhaft bewährt ist. Jene meisterhafte Reihe von Totengesprächen, in welchen er seinem Hohn unter der Maske des Cynikers Menippos die Zügel schiessen lässt, enthält auch eine Szene490, wo Hermes in der Unterwelt dem Menippos die Skelette der berühmten Schönheiten der alten Zeiten vorweist, des Narciss, des Nireus usw. »Aber ich sehe ja nichts als Schädel und Knochen? Zeige mir doch Helena.« – »Dieser Schädel hier ist Helena.« – »Also deshalb die Flotte von tausend Schiffen, der Tod so Unzähliger, die Zerstörung der Städte?« – »O Menipp«, erwidert Hermes, »du hast das Weib nicht lebend gesehen!« – Doch ist in dieser frühern Kaiserzeit, welche von den damaligen Ästhetikern, von Petronius und dem altern Plinius, als Epoche des Kunstverfalls mit verhältnismässigem Rechte angeklagt wird, wenigstens in Italien das Verlangen nach künstlerischer Umgebung des Daseins noch unglaublich stark. Pompei allein deutet, nach Goethes Ausdruck, »auf eine Kunst- und Bilderlust eines ganzen Volkes, von der jetzo der eifrigste Liebhaber weder Begriff, noch Gefühl, noch Bedürfnis hat«. Trägt man diesen Maßstab auf das damalige Rom über, so findet sich ein Ergebnis, welches schwindeln macht.
Im dritten Jahrhundert fand die Kunst allerdings einen gefährlichen materiellen Feind an der Zerrüttung des Reiches durch Pest, Krieg und Verarmung. Da die Kaiser namentlich seit Aurelian wieder sehr viel bauen liessen491 und ohne Zweifel auch die übrigen Künste verhältnismässig in Anspruch nahmen, so könnte sich diese Einbusse wieder etwas ausgeglichen haben, wenn nicht der zunehmende Druck auf die Reichen und Besitzenden immerhin einen dauernden Verlust mit sich geführt hätte.
Nimmt man nun an, dass die Natur doch immerfort ein reiches Mass von Begabung austeilte, woran sich auch mitten im Zerfall aller Formen oft nicht zweifeln lässt, so fragt es sich weiter, woher die falschen Richtungen kamen, in welchen sich die Talente verloren. Woher ferner jene Anonymität, welche fast die ganze Kunst des dritten und vierten Jahrhunderts mit so tödlichem Schweigen deckt?
Es ist eine Tatsache, dass ungefähr seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts die bisher noch immer lebendige Reproduktion des Schönen stillesteht und zu einer bloss äusserlichen Wiederholung wird; dass von da an innerliche Verarmung und scheinbarer Überreichtum der Formen Hand in Hand gehen.
Die tiefste Ursache dieser Erscheinung wird man wohl nie ergründen oder in Worte fassen können. Hatte das ausgebildete griechische Formensystem sechshundert Jahre lang sich unter den verschiedensten Bedingungen behauptet und immer wieder Blüten getrieben, weshalb sollte es gerade von den Antoninen abwärts seine Macht, seine Treibkraft verlieren? Warum nicht fortdauern bis ins vierte Jahrhundert? Es lässt sich vielleicht aus einer allgemein philosophischen Betrachtung der Zeiten auch hierauf aprioristisch antworten; wir wollen uns aber gerne bescheiden, die notwendige Lebensdauer einer geistigen Macht dieses Ranges nicht absolut berechnen zu können.
Die Nebenursachen jener Erscheinung sind desto klarer: die Veränderungen im Stoff und in den Aufgaben und Gegenständen der Kunst, das heisst mittelbar die veränderte Gesinnung der Besteller. Verfolgen wir zunächst die Schicksale der Architektur. Die Hauptstadt ist hier für alle Entartung massgebend. Rom besass in seinem Travertin und Peperin ein ernstes, gewaltiges Material für monumentale Bauten. Als man aber, besonders seit Augustus, den Marmor aus Carrara und aus Afrika nicht mehr entbehren wollte, wegen seiner Bildsamkeit und seiner leuchtenden Schönheit, da gewöhnte sich der Sinn des Römers daran, den nunmehr aus Ziegelplatten gebildeten Kern des Gebäudes und die darum gelegte Marmorbekleidung als zwei geschiedene Dinge zu betrachten. Letztere musste auf die Länge als eine willkürlich wandelbare Hülle, als eine Dekoration erscheinen. Doch zwang der weisse Marmor den Künstler fortwährend, die Formen möglichst edel zu bilden. Als aber die Vergötterung des möglichst teuern und fremdartigen Materials mehr und mehr einriss, als im ganzen Orient so wie in Afrika nach kostbaren Baustoffen492, Porphyr, Iaspis, Agat und Marmor aller Farben gesucht wurde, als die damals sehr massive Vergoldung493 in sinnlosem Mass überhandnahm, da musste die Kunst und der Künstler zurücktreten. Stoff und Farbe ziehen das grösste Interesse an sich; die schönsten Profile und Zieraten werden daneben übersehen; zudem gebeut die ausserordentliche Härte mancher dieser Steine dem Meissel Einschränkung. Der Lieferant und der Polierer werden unter solchen Umständen wichtigere Personen als der Zeichner. Wo aber der weisse Marmor oder ein anderer einfacher Stoff seine Stelle behauptete, musste er nun wetteifern durch Häufung der Glieder und Vervielfachung der Ornamente, da man für das Einfache überhaupt verdorben war. Der Eindruck ist oft über die Massen kleinlich und verwirrend, weil aller äusserliche architektonische Reichtum, einmal als leitendes Prinzip aufgefasst, rasch alle Schranken überschreitet und auch Bauteile und Stellen verziert, die dessen um ihrer Funktion willen eigentlich nicht fähig sind. Wir wollen die Bauten dieses Stiles, von welchen