Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
können; seine Schrift ist uns für sehr vieles einzelne so unentbehrlich als eine höchst einseitige Parteischrift sein kann.
Euseb findet es angemessen, von den besondern Beweggründen der Verfolgung gänzlich zu schweigen. Die Aurelius Victor, Rufus Festus, Eutropius u. a. erwähnen nicht einmal die Verfolgung selbst.
Diocletian selber kann sich nicht verteidigen; seine Edikte sind untergegangen und seine geheimen Ratschläge können das gerade Gegenteil von dem gewesen sein, was ihm angedichtet wird.
Von da an sind also die Vermutungen in ihrem Rechte, sobald sie nicht in der Luft schweben, sondern den echten vorhandenen Spuren nachgehen und zu dem sonstigen Charakter der Zeit und der handelnden Personen passen.
Zunächst liesse sich vermuten, die Regenten hätten, wie mehrere ihrer Vorgänger, der allgemeinen Volkswut gegen die Christen nachgeben müssen. Allein dieselbe tritt im Verlauf der Ereignisse nicht einmal sichtbar hervor, und die Staatsmacht war reichlich gross genug, um dergleichen zu unterdrücken. Wohl kam es einmal vor, dass dem Maximian bei den Spielen im Circus Maximus zu Rom in jener taktmässigen Wiederholung zehn- und zwölfmal zugerufen wurde »Christiani tollantur! Christiani non sint!« – allein dies geschah wahrscheinlich, als die Verfolgung schon geraume Zeit im Gange war555, und Zurufe dieser Art bedeuteten überhaupt nicht viel.
Oder man könnte annehmen, die heidnischen Priester hätten die Verfolgung plötzlich und unbedingt verlangt und die Kaiser aus irgendeinem Grunde des Aberglaubens von deren Notwendigkeit überzeugt. Diocletian mit all seiner Tüchtigkeit ist in dieser Beziehung befangen genug, um auch sehr traurigen Vermutungen Raum zu geben; jedenfalls würde sich das Gegenteil nicht beweisen lassen. Allein in diesem Falle würden uns bestimmte Namen solcher mächtigen Priester genannt werden, und die blosse Erwähnung556 des Statthalters Hierokles von Bithynien (welcher anderweitig als eifriger Neuplatoniker nachgewiesen ist) unter den Helfern und Antreibern genügt hiezu nicht.
Oder kam vielleicht seine Privatmoralität ins Spiel? Er war hierin nicht indifferent; die Haruspicin, welche ihm unaufhörlich die Zukunft und ihre Schicksale verkünden muss, hatte ihn doch nicht über die Sittlichkeit hinweggehoben. Wenn darin eine Inkonsequenz lag, so war es eine ehrenwerte; auch findet sich diese Vermischung der Standpunkte nicht bloss bei ihm, sondern, wie wir sahen, bei den Bessern des dritten Jahrhunderts überhaupt, in welchen der Unsterblichkeitsglaube den irdischen Fatalismus und die Moralität wenn nicht versöhnt, doch zu einem Vertrage genötigt hatte. Das Privatleben des Kaisers gibt selbst den tadelsüchtigen Christen keinen Anlass zur Kritik, und so hatte er denn auch ein persönliches Recht, den Staat zum Hüter der allgemeinen Sittlichkeit zu proklamieren. Er tat dies unter anderm in dem schon angeführten Ehegesetz vom Jahre 295 unter sehr prinzipiellen Ausdrücken: »Die unsterblichen Götter werden dem römischen Namen wie bisher günstig und mild gesinnt sein, wenn wir dafür sorgen, dass alle unsere Untertanen einen frommen, ruhigen und sittenreinen Wandel führen . . . Die Herrlichkeit Roms ist nur dadurch mit der Gunst aller Götter zu solcher Höhe gelangt, dass557 ein frommes und keusches Leben den Schlußstein aller Gesetzgebung bildete usw.« – Haben nun etwa die Christen sittlichen Anstoss gegeben?
Bekanntlich trugen sich die Römer im ersten und zweiten Jahrhundert mit Gerüchten von greulichen Ausschweifungen, welche beim Gottesdienst der Christen stattfinden sollten. Allein dies kömmt hier gar nicht in Betracht; diese Gerüchte waren längst völlig verstummt558, und Diocletian selber, der eine Menge von Christen an seinem Hofe täglich vor sich sah, kann vollends solchen Nachreden nicht den mindesten Glauben geschenkt haben.
Anders verhält es sich scheinbar mit den Klagen des Euseb559 über den innern Zerfall der christlichen Gemeinde unmittelbar vor der Verfolgung, da eine grosse Menge von Unwürdigen sich in die Kirche sowohl als namentlich auf die Bischofsstühle gedrängt hatte. Er erwähnt unter diesen Übeln vor allem den bittern Hader zwischen Bischöfen und zwischen den einzelnen Gemeinden, die Heuchelei und Verstellung, den fast atheistischen Unglauben, die Übeltaten (κακίας), dann nochmals Zank, Neid, Hass und Gewaltherrschaft der Geistlichen.
Dies sind alles noch keine Unsittlichkeiten von der Art, wie sie der Staat moralitätshalber glaubte verfolgen zu müssen, und wie er sie jedenfalls bei den Heiden in grösserm Maßstab vorfand. Allein merkwürdigerweise scheint eines der wenigen erhaltenen Aktenstücke von heidnischer Seite, das Revokationsedikt des Galerius560 vom Jahre 311, wirklich die schwere und vielfache Spaltung unter den Christen selbst als den Hauptgrund ihrer Verfolgung bezeichnen zu wollen. Sie seien von dem Glauben ihrer Vorfahren abgefallen und hätten Sekten gebildet; darauf habe man ihnen befohlen, zu den Einrichtungen der Alten zurückzukehren usw. Freilich ist hier jedes Wort so geflissentlich schief und zweideutig, dass die meisten Erklärer unter den »Vorfahren« und »Alten« ebensogut die Heiden verstehen konnten, allein mehrere Ausdrücke scheinen doch eher den Christen den Abfall von ihrem eigenen Prinzip zum Vorwurf zu machen. Es heisst weiterhin: »Wir sahen, dass sie weder den Göttern die schuldige Verehrung erwiesen, noch den Gott der Christen ehrten.« Dies würde etwa an die Prinzipien der katholischen Partei im Dreissigjährigen Kriege erinnern, welche nur mit den Lutheranern auf einem Rechtsboden zu stehen glaubte, die Calvinisten dagegen als Nebensekte perhorreszierte.
Doch auch diese Spur ist schwerlich die richtige. So bedeutend kann das Ärgernis und die Spaltung unter den Christen unmöglich gewesen sein, dass der Staat deshalb die Aufhebung der ganzen Gemeinde hätte für nötig halten können. Die eifrigen Heiden konnten vollends bei einigem Nachdenken nichts ernstlicher wünschen als die ungestörte Fortdauer dieses Prozesses der Fäulnis, der die Christen unfehlbar in ihre Hand gab.
Welche Erklärung bleibt nun übrig? Ich glaube, es spielte hier ein wichtiges persönliches Ereignis mit, dessen Spuren später auf das emsigste verwischt worden sind. Eine Inschrift zu Ehren Diocletians561 gibt den Christen schuld, dass sie den Staat umstürzen wollten, rem publicam evertebant, eine Aussage, die in dieser Fassung ganz wertlos scheint, dennoch aber einen echten Kern bergen kann. Suchten sich etwa die Christen, im Gefühl ihrer wachsenden Ausdehnung, des Kaisertums zu bemächtigen?
Dies konnte auf ganz friedliche Weise geschehen, indem man den Diocletian selber bekehrte. Und dass etwas der Art wenigstens beabsichtigt wurde, ist beinahe streng zu beweisen. Es gibt einen Brief von einem Bischof Theonas an einen christlichen Oberkammerherrn Lucianus562 mit Massregeln des Benehmens an dem Hofe eines heidnischen Kaisers, womit nach allgemeiner Ansicht nur Diocletian gemeint sein kann. Lucianus hat bereits in seiner Umgebung nach Kräften gewirkt und viele bekehrt, die als Heiden in den Hofdienst gekommen waren; schon sind die Aufseher der kaiserlichen Schatulle, des Schatzes und der Garderobe zum Christentum übergetreten; nun findet Theonas, dass es von grösstem Werte wäre, wenn zum Beispiel ein christlicher Kammerherr die Aufsicht über die kaiserliche Bibliothek erhielte und bei Gelegenheit literarischer Gespräche563 den Kaiser behutsam und allmählich von der Wahrheit der christlichen Religion überzeugen könnte. Wahrscheinlich imponierte den Christen der Ernst und die sittliche Richtung des grossen Fürsten, und sie sahen ein, dass gerade jetzt, bei der unerhörten Steigerung der Herrschergewalt durch Siege über Barbaren und Usurpatoren und durch den Neubau des ganzen innern Staatswesens der Übertritt des Kaisers wichtiger und entscheidender wäre als jemals. Es braucht indes kaum gesagt zu werden, dass alle Versuche dieser Art bei einem Heiden wie Diocletian eitel und vergeblich bleiben mussten.
Nun behalte man wohl im Auge, wie die Verfolgung anfing. Eusebius und Lactantius564