Die Liebeden von Valmont. Barbara Cartland
Hause“, rief Lady Stanton und blickte sich in dem Salon mit der hohen Decke, dem schönen georgianischen Kranzgesims und den eleganten Türen um, die auf die Terrasse führten.
„Ich weiß, Mama“, sagte Larisa mitfühlend, „aber eines Tages hättest du Nickys junger Frau weichen müssen, und das Witwenhaus, das wir zum Glück ja vermieten konnten, wäre für dich und die beiden Mädchen viel zu groß gewesen.“
„Ich liebe große Häuser“, erklärte Lady Stanton schmollend und setzte hastig hinzu: „Aber ich muß versuchen, das Häuschen hübsch herzurichten. Wir können nichts Häßliches um uns ertragen, nicht wahr?“
„Natürlich nicht“, antwortete Larisa. „Papa hat uns gelehrt, alles Schöne zu lieben. Weißt du noch, wie er sich immer über Möbelschoner, Rüschen und Falbeln lustig machte?“
Lady Stanton lachte mit Tränen in den Augen. Sir Beaugrave hatte sie gelehrt, die unvergleichliche Schönheit der einfachen Linien der griechischen Antike zu schätzen, und im Vergleich zu den überladenen, der viktorianischen Mode entsprechenden Häusern ihrer Freunde, wirkte Redmarley House in seiner georgianischen Einfachheit fast kahl.
Aber die Mädchen wußten, daß es makellos und von zeitlos gutem Geschmack war. Nur Dummköpfe liebten Firlefanz.
Der Brief des Comte de Valmont traf vier Tage später ein.
In der Zwischenzeit war Lady Stanton von so vielen Zweifeln und Ängsten gepeinigt worden, daß Larisa allmählich zu der Überzeugung kam, sie könne eine Stellung nicht annehmen, die ihrer Mutter so großes Herzweh verursachte.
Das Schreiben des Comte war jedoch in gewisser Weise beruhigend.
Kurz und förmlich bestätigte er, er habe von seiner Schwester, der Comtesse de Chalon, erfahren, daß Miss Larisa Stanton sich erboten habe, seinen achtjährigen Enkel Jean-Pierre in der englischen Sprache und anderen elementaren Lehrfächern zu unterrichten. Er wäre Miss Stanton daher sehr verbunden, wenn sie sich so bald wie möglich auf die Reise nach Frankreich begeben wollte.
Er biete ihr ein Gehalt von dreitausendsiebenhundertfünfzig Frances jährlich und lege diesem Brief eine Fahrkarte zweiter Klasse London-Paris bei.
Lady Stanton, fügte der Comte hinzu, möge ihm Tag und Stunde der Ankunft ihrer Tochter mitteilen, damit er sie vom Gare du Nord in Paris abholen lassen könne.
Es war ein kalter, geschäftsmäßiger Brief, doch er berührte Lady Stanton viel angenehmer als ein überschwenglicher es getan hätte.
„Zweiter Klasse!“ rief Athene. „Nun, jetzt weißt du wenigstens, welcher Platz dir als Gouvernante in Zukunft gebührt.“
„Ich habe nicht erwartet, daß der Comte mir eine Fahrkarte erster Klasse bezahlen wird“, sagte Larisa.
„Papa“, erwiderte Athene, „hat immer gesagt, daß Gentlemen erster Klasse, Geschäftsleute zweiter Klasse und Bauern dritter Klasse reisen.“
„Larisa wird in einem Damenabteil reisen“, sagte Lady Stanton. „Die gibt es in Frankreich bestimmt genauso wie bei uns, und sie wird sich weder mit einem Geschäfts- noch mit einem anderen Mann unterhalten.“
Sie seufzte tief auf.
„Oh Larisa, daß du so weit fort mußt!“
„Ich kann wirklich gut auf mich aufpassen, Mama“, antwortete Larisa.
„Wißt ihr eigentlich, wieviel der Comte Larisa bezahlen will?“ rief Nicky plötzlich. „Einhundertfünfzig Pfund jährlich.“
Die anderen schnappten hörbar nach Luft vor Erstaunen.
„Weißt du das genau?“ fragte Lady Stanton. „Ich habe keine Ahnung, wie der Wechselkurs zur Zeit ist.“
„Man bekommt ungefähr fünfundzwanzig Francs für ein Pfund.“
„Ist das auch kein Irrtum, will er mir wirklich so viel geben?“ fragte Larisa.
„Er hat es schriftlich festgelegt“, erwiderte Nicky.
„Ach, das ist ja wunderbar!“ rief Lady Stanton. „Dann hast du jährlich zweihundertfünfzig Pfund, Nicky, und kannst dich in aller Ruhe in Oxford auf dein Examen vorbereiten.“
„Das kann ich allerdings“, räumte Nicky ein. „Aber Larisa muß etwas für sich behalten. Sie kann in einem fremden Land nicht ohne einen Pfennig dastehen.“
„Da hast du recht“, pflichtete Lady Stanton ihm bei. „Aber viel wird sie nicht brauchen.“
„Ich werde sehr, sehr wenig brauchen“, warf Larisa ein. „Schließlich habe ich Kost und Logis umsonst, und auf alles andere werde ich eben verzichten müssen, auch wenn ich es mir noch so sehr wünsche.“
„Wenn du nach Paris fährst, kannst du dir trotzdem die Schaufenster ansehen“, meinte Athene.
Lady Stanton zuckte zusammen, als habe sie Paris vergessen gehabt.
„Versprich mir, Larisa“, sagte sie ernst, „daß du nie allein nach Paris fahren wirst.“
„Ich bin überzeugt, daß das niemand von ihr erwartet“, meinte Cynthus. „Wir laufen ja auch in London nicht allein durch die Straßen, warum also sollte Larisa das ausgerechnet in Paris tun?“
„Bestimmt würde man ihr ein Hausmädchen mitgeben, wenn sie etwas für den kleinen Jungen besorgen müßte“, tröstete sich Lady Stanton.
„Sorg dich nicht, Mama“, bat Larisa, „betrachtet es einfach als Abenteuer. Ich verspreche dir, sofort nach Hause zu kommen, wenn ich es unerträglich finden sollte.“
Sie lächelte.
„Ein Plätzchen in eurem Häuschen wird sich immer für mich finden. Nana hat schon beschlossen, daß sie Hühner halten will, also werde ich mich von Eiern ernähren können.“
Nicky sprang auf.
„Jetzt hört mir mal zu“, sagte er. „Ich bin euch für das, was ihr für mich tun wollt, sehr dankbar, aber eines wollen wir klarstellen. Mama und die Mädchen dürfen nicht darben - in keiner Beziehung. Die Pacht von den Farmen steht ausschließlich euch zur Verfügung. Was mir Athene und Larisa geben, ist für meine Bedürfnisse mehr als genug. Vielleicht können wir auch noch das eine oder das andere Stück aus dem Haus verkaufen.“
Lady Stanton seufzte.
„Der Gedanke ist mir schrecklich.“
„Schlimmer wäre es, wenn wir hungern müßten.“
Nicky lächelte.
„Und Larisa muß ein paar neue Kleider bekommen. Keine meiner Schwestern darf in abgetragenen Sachen nach Frankreich gehen wie eine Bettlerin. Wartet nur, bis ich mein Examen habe“, setzte er hinzu, „dann verdiene ich genug, um euch alles doppelt und dreifach zurückzugeben.“
Lady Stanton sah ihren Sohn hingebungsvoll an, und nur Larisa wußte, daß sich das zwar sehr ritterlich anhörte, daß Nicky als junger Diplomat aber sehr wenig verdienen würde – zu wenig, um davon zu leben. Sie war der Meinung, daß die meisten jungen Männer in dieser Position über ein Privatvermögen verfügten, doch darüber wollte sie sich jetzt noch nicht den Kopf zerbrechen. Wichtig war, daß Nicky mit ihrer und Athenes Hilfe sein Studium beenden konnte.
Larisa war nicht so entsetzt wie die übrige Familie, weil Nicky ein paar wertvolle Dinge aus dem Familienbesitz verkaufen wollte. Sie hatte schon mit ihm darüber gesprochen und ihm geholfen, die Bücher auszusortieren, die in London etwas einbringen würden, wenn auch nicht soviel wie der Vater für sie bezahlt hatte.
Außerdem wollte Nicky einem Museum ein paar antike griechische Urnen und andere Keramiken anbieten, die Sir Beaugrave von seinen Reisen mitgebracht hatte.
Die Geschwister sahen die Zukunft nicht mehr ganz so schwarz wie unmittelbar nach dem Tode des Vaters.
Als Larisa an diesem Abend mit dem Bruder allein in der Bibliothek