Der Sufi-Weg. Osho

Der Sufi-Weg - Osho


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die Blume neigt sich ihrem Ende zu. Gleich geht die Sonne unter, und der Abend naht. Die Blume lässt den Kopf immer tiefer hängen – eine Stimmung der Trauer, die sie noch nicht kannte. Es ist nicht mehr die gleiche Blume vom Morgen. Jetzt, wo es Abend ist, stirbt sie, ihr Herz ist getränkt von Traurigkeit. Könnte sie singen, wäre es ein trauriges Lied. Und wenn du sie aufmerksam betrachtest, zeigt dir die Blume deinen eigenen Tod. Du kannst in der Blume beobachten, wie sich sterbendes Leben und beginnender Tod mischen. Wie sich Leben langsam in Tod verwandelt. Diese Stimmung hat mit all den früheren Stimmungen nichts mehr zu tun.

      Wenn ihr noch nicht einmal eine Blume in ihrer Ganzheit erkennen könnt, mit ihren unerschöpflichen Stimmungen, wie könnt ihr da glauben, einen Menschen zu kennen? Ein Mensch ist ein aufblühendes Bewusstsein – die prächtigste Blüte, die das Leben in Jahrtausenden der Evolution hervorgebracht hat.

      Wie kannst du die Frau kennen, mit der du lebst? Sobald du zu glauben beginnst, dass du sie kennst, ist es aus: Du hast dir ein Urteil gebildet; du hast bereits begonnen, dich nach einer anderen Frau umzuschauen. Nein, wenn deine Augen rein bleiben, wird dir deine eigene Frau ewig ein Rätsel bleiben. Du wirst vielen Stimmungen und atmosphärischen Veränderungen in ihr begegnen, das Wesen deiner Frau wird sich dir in vielen Gesichtern offenbaren. Und so ist es mit deinem Mann, deinem Kind, deinem Freund, und mit dem Wesen deines Feindes.

      Niemand kann je etwas kennen. Aber der Verstand ist listig. Der Verstand will wissen, denn nur Wissen macht sicher. Alles Fremde macht unsicher. Wenn du von allen Seiten vom Unbekannten umringt bist, bekommst du Angst und weißt nicht, wo du bist. Wenn du die Situation nicht durchschauen kannst – wenn du die Menschen, die Blumen und Bäume deiner Umgbung nicht kennst, wenn du dich nicht mehr auskennst, dann verlierst du dein Selbstgefühl, dann wird dir deine Identität genommen.

      Wenn du dir dagegen sicher bist, dass du deine Frau und dein Kind, deine Freunde, deine Gesellschaft, dies und das kennst, und wenn du dich außerdem noch in Geschichte und Geographie auskennst, dann verleiht dir dieses ganze Wissen, in dem du dich wiegst, das sichere Gefühl, zu wissen, wer du bist: einer, der Bescheid weiß! Das Ego kann stolz sein Haupt erheben…

      Wissen ist Futter für das Ego. Unwissen ist für das Ego Gift. Aber der Tod des Ego bedeutet dein Leben; das Leben des Ego ist dein sicherer Tod. Lass dich nicht nieder. Das ist gemeint, wenn es heißt, dass ein Sannyasin heimatlos lebt.

      In der indischen Tradition war das so. Man wurde zum Wanderer ohne Heimat, ohne Wurzeln und Anker, und hat keine Identität mehr. Man lebt mit dem Unbekannten von Augenblick zu Augenblick – alles ist Überraschung. Für euch ist nichts eine Überraschung. Ihr wisst alles schon, wie kann euch da noch etwas überraschen? Über nichts staunt ihr mehr. Ihr werdet über alles staunen, sobald ihr in Unwissenheit lebt. Für unwissende Augen ist alles neu – dann gibt es nichts mehr, womit du vergleichen kannst, nichts, was dich an Vergangenes erinnert, nichts, was dir die Zukunft deutet – alles ist einmalig. So war es nie zuvor, und so wird es nie wieder sein. Was du in diesem Augenblick verfehlst, hast du für immer verfehlt. Es gibt keine Rückkehr. Jeder Augenblick bringt eine neue Stimmung des Daseins. Entweder genießt und lebst du sie aus, oder du gehst daran vorbei. Mit Wissen verpasst du sie, denn du sagst, „ich weiß schon.“

      Wenn ich dir zurufe: „Komm heraus aus deinem Haus – die Sonne ist aufgegangen, was für ein Anblick!“, dann sagst du: „Ich weiß; wie oft bin ich schon früh morgens aufgestanden und habe es gesehen. Ich weiß, wie es aussieht – lass mich schlafen.“ Aber die Sonne dieses Tages hat es nie zuvor gegeben. Und der, der du heute bist, der war noch nie da. Und der, der ich heute bin, der dich herausruft, den hat es auch noch nie gegeben.

      Alles ist absolut neu, absolut ursprünglich. Das einzig Alte ist dein Verstand. Sein Wissen hat ihn verkalken lassen. Wenn du alt bist, sieht alles verstaubt aus, verbraucht, verlebt. Dann langweilst du dich. Langeweile zeigt nur eines an: dass du nämlich nicht weißt, wie du in Unwissenheit leben sollst. Ein Kind kann sich nicht langweilen. Alles ist eine Überraschung, alles ist ein Wunder. Ein Kind fällt von einem Erstaunen ins andere. Und genau das macht auch den religiösen Menschen aus: in ständigem Erstaunen zu leben, nicht mehr aus dem Staunen herauszukommen; das Staunen kommt dir so natürlich wie das Atmen. Dann siehst du plötzlich das Ganze mit anderen Augen. Dann ist die Welt nicht mehr die, die du einmal gekannt hast. Denn jetzt bist du nicht mehr der alte, also kann die Welt auch nicht mehr die alte sein.

      Urteile nicht, und mach dir dein Wissen nicht zum Gefängnis. Bleibe frei, wurzellos, heimatlos. Das ist symbolisch gemeint. Ein heimatloser Sannyasin hat sich von seiner Vergangenheit losgesagt; er hat keine Wurzeln mehr in der Vergangenheit. Das muss nicht heißen, dass er wie ein Vagabund herumzieht. Sein Vagabundentum geht tiefer: es ist ein geistiges Vagabundentum. Von einem Land zum andern zu streifen, bringt niemanden weiter – früher oder später lässt man sich doch irgendwo nieder und richtet sich häuslich ein. Selbst Hippies lassen sich früher oder später irgendwo nieder. Wer hat schon alt gewordene Hippies gesehen? Es war nur eine Phase. Man bewegt sich von Ort zu Ort durch die Welt draußen, und schließlich hat man die Nase voll und bleibt irgendwo. Und merkt euch das eine: wenn sich ein Hippie häuslich niederlässt, baut er die dicksten Mauern.

      Ein durchschnittlich-normaler Mensch kennt den Drang, ein Vagabund zu werden. Tief drinnen hört jeder den Lockruf. Sie mögen ein noch so bürgerliches Leben mit Frau und Kind und fester Arbeit führen, aber dieser Ruf verfolgt sie bis in ihre Träume, bis in ihre Tagträume und Phantasien. Etwas ruft, alles stehen und liegen zu lassen und fortzugehen. Aber ein Hippie, der sich niederlässt, gräbt sich tiefer ein als alle andern. Er weiß, was es heißt, Vagabund zu sein. Das hat er hinter sich. Auch das ist Wissen: er kennt es.

      Wenn es in der Sannyasin-Tradition heißt, oder wenn ich sage: werdet heimatlos, dann meine ich es nicht wörtlich. Ich meine: Lebt innerlich ein heimatloses Leben – ungefestigt, wurzellos, ohne Vergangenheit; nur dieser Augenblick zählt, dieser Augenblick in seiner Totalität; so als ob es auf der ganzen Welt nichts mehr außer diesem Augenblick gäbe.

      Dann plötzlich wirst du bewusst. Dir wird das Verborgene bewusst, das Unsichtbare, das Unbekannte, das dich von allen Seiten umgibt: ein riesiger Ozean von absolut neuen Dingen, die aufsteigen und wieder verschwinden. Das Leben war noch nie alt. Das Leben war noch nie abgestanden. Es ist ursprünglich, es ist von Natur aus ursprünglich und neu. Nur dein Verstand wird alt, und so entgeht dir das Leben. Um immer nur im Neuen leben zu können, musst du mit dem Urteilen aufhören. Dann wird das höchste Bewusstsein in dir zur Explosion kommen.

      Urteile sind Mauern. Und ihr urteilt keineswegs nur über alltägliche Dinge. Das Urteilen ist euch so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ihr es keinen Augenblick lassen könnt. Kaum zeigt sich etwas, schon urteilst du. Ohne auch nur eine Sekunde verstreichen zu lassen. Und wenn du dich einem Menschen wie Buddha näherst, oder Dhun-Nun, dem Ägypter, dem Sufi-Meister, dann stehst du an der ursprünglichen Quelle des Bewusstseins, aus der ständig neues Leben sprudelt. Hier ist nichts alt, hier kommt nichts aus der Vergangenheit. Nur der Verstand mit seinen Gedanken kommt aus der Vergangenheit, das reine Bewusstsein aber kommt niemals aus Vergangenem. Alles Bewusstsein entsteht nur immer in diesem Augenblick.

      Verstand ist Zeit, und Bewusstsein ist Ewigkeit.

      Der Verstand bewegt sich von Augenblick zu Augenblick, horizontal. Wie ein Eisenbahnzug: viele Wagen und Abteile aneinander gereiht. Vergangenheit und Zukunft bilden einen Zug – viele Abteile auf der Horizontalen. Bewusstheit dagegen ist vertikal. Es kommt nicht aus der Vergangenheit und geht nicht in die Zukunft. Es fällt in diesem Moment senkrecht in die Tiefe, oder erhebt sich senkrecht in die Höhe. Das ist die symbolische Bedeutung des Kreuzes Jesu. Die Christen sind allerdings völlig an dieser Bedeutung vorbeigegangen. Das Kreuz ist nur ein Sinnbild, ein Zeichen dafür, dass zwei Linien sich schneiden: die Horizontale und die Vertikale. Die Hände Christi sind auf der Horizontalen auseinandergebreitet, und außer den Händen ruht sein ganzes Wesen auf der Vertikalen. Was ist die Bedeutung? Es bedeutet: das Handeln gehört zur Dimension der Zeit. Sein entzieht sich der Zeit. Die Hände stehen für das Handeln, Jesus wird mit den Händen auf der Horizontalen, auf der Ebene der Zeit gekreuzigt.

      Handeln geschieht in der Zeit. Auch das Denken ist eine Handlung: die Handlung des Geistes. Auch das gehört zur Dimension der Zeit. Macht euch bewusst, dass die Hände


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