Fabeln und Parabeln. Tatjana Sindeeva-Burova
Sie ist nur im Fliegen lebendig…
die Last, Beleidigungen, der Schmerz… brechen ihre Flügel…
Fliege, lebe, mein Lieber… und vergiss nicht! Alles, was du hören
wirst, die Worte, die aus den bösen Mündern fliegen, nimm dir
nicht so sehr zu Herzen, achte nicht darauf! Bis du es nicht
angenommen hast, bleiben sie auf der Zunge eines Dummkopfes!»
2017
Die Füchsin und der Biber
Eine Füchsin hatte einen reichen Biber geheiratet, er hatte viele
Wälder und Dämme in Besitz…
Sie selbst besaß nur ein ansehnliches Fell und hatte einen
schlauen und gewandten Charakter…
Der Biber war gierig und übertrieben geizig, er behütete jede
Münze, jede Sache…
Die Füchsin war im Gegenteil verschwenderisch, sie mochte sich
verwöhnen und hätschelte sich grenzenlos…
Zwei Seelen, zwei unterschiedliche Charaktertypen begegneten
sich auf der Kreuzung ihrer Lebenswege…
Der Eine arbeitete hart, zählte seine unzähligen Habseligkeiten,
behütete sie manchmal bis zum Herzschmerz…
Die Andere lebte leicht, mochte die Gesellschaft, das ganze
Vermögen ihres Mannes aufbrauchend…
Der Biber wurde einmal krank, war müde zu bosseln, seine Schätze
zählend…
Er rief seine Frau, die rothaarige Füchsin… er wollte seine
Gedanken ihr zum Abschied mit auf den Weg geben:
«Meine liebe Frau… es scheint, meine Zeit ist gekommen, ich habe
keine Kraft mehr zu arbeiten…
So schade, dass ich die Welt nicht gesehen habe, mein ganzes
Leben verbrachte ich beim Kalkulieren…
Du hast ausgegeben und ich habe geackert, das ist ein Paradox, wo
ist die Gerechtigkeit?
Ich schonte meine Hände, Beine nicht… Dabei wurde dein Fell
immer glänzender…
Ich gehe, die Zeit ist gekommen, und du läufst weiter auf dem
Lebensweg…
Es ist nun bitter, ich habe wahrscheinlich nicht verstanden, wie ich
leben musste, was ich hätte tun müssen?»
Die Füchsin antwortete darauf: «Mein lieber Mann, da hast du es
zu spät besonnen…
Was bringen die Gespräche jetzt? Du hast den Moment verpasst,
jetzt lässt er sich nicht mehr nachholen…
Du hast gar nicht versucht, die Welt zu sehen, du hast sie nicht
gemocht, und darauf hattest du dein Recht…
Aber sei nicht traurig, ich habe es für dich getan, die ganze Welt
gesehen!
Ich habe sie gesehen und erfahren, wie lecker, süß sie ist… Du hast
geschwitzt, ich habe den Geschmack genossen…
Es wäre alles wunderbar, aber ich bin von einer Sache beunruhigt.
Wenn du gehst, wie laufe ich weiter ohne einen einzigen Cent
in meiner Tasche?…
Während du hier gelegen hast, waren die Vorräte erschöpft, und
die Welt ist für mich nicht mehr von Interesse, ich habe schon
alles gesehen, ich weiß alles…»
Der Biber stellte sich das Licht vor, das in den Augen spielte, ließ
eine Träne übers Gesicht laufen und ging mit Bedauern…
Die Füchsin weinte ihrem zukünftigen Leben bittere Tränen nach
und lief weiter…
Einige kommen, sparen und sehen die Welt nicht…
Die Anderen lernen dieses Leben kennen bis es ihnen nicht mehr
schlecht geht…
Und jeder bedauert das, was er nicht erfahren hat…
Diese goldene Grenze… diese wichtige Mitte…
2017
Zwei Regenwürmer
Im nassen Boden und in der ewigen Dunkelheit schlossen zwei
Regenwürmer eines Tages eine Wette ab… sie entschieden sich,
einen Marathon zu laufen…
Wo? Auf der Erdoberfläche! Wenn schon laufen, dann richtig!
So krochen unsere Sportler heraus… riefen aus und liefen los!
So liefen, krochen sie, der Eine nach dem Anderen, bis zu dem
Blumenbeet, bis zur Ziellinie!
Etwa fünfzehn Minuten waren vergangen… es gab aber kein Ende,
nicht mal die Mitte hatten sie erreicht, der Weg ging nicht zu
Ende, die Regenwürmer verloren ihre Kräfte, und die Sonne
schien… vom ganzen Herzen…
So sagte ein Regenwurm dem anderen: «Hör zu, mein Freund, was
für ein Dummkopf bin ich!
Ich habe vergessen, dass ich kein Licht mag… es ist so heiß, die
Kräfte gehen mir aus!
Vielleicht sollen wir zurückkehren, solange wir noch können?»
«Du bist ein Schwächling! Das sage ich dir ehrlich, mein Freund!
Du hast die Wette angenommen, so tue es! Heule nicht, schau
mich an, denn ich laufe doch!
Ich werde erster sein, das musst du wissen, schon wieder! Das ist ja
nicht zum ersten Mal!»
Und sich beschleunigend zeigte er dem Freund seine Fähigkeiten…
Plötzlich sah er ein Hindernis… Woher denn plötzlich? Es war
doch alles sauber!
Der Weg war für den Marathon frei! Der Regenwurm richtete den
Kopf in die Höhe… Im Nu.. flog er schon im Himmel… Vor
Kopfschwäche, Kraftverlust und Hitze dachte der Regenwurm
plötzlich… er hatte Flügel, er war am Ziel, er war ein Stern!
Der Andere… der auf dem Boden geblieben war, beobachtete diese
Szene von unten, er sah eine schwarze Krähe und, dass sie seinen
Freund mitgenommen hatte, er flog schon in den Wolken.
Aus Leid krampfte sich seine Kehle angstvoll zusammen… Wo
sollte er laufen? Man sah keine Kanten, wo Start und wo Ziel
waren – man sah nichts, die Sonne schien und brannte heiß…
Der Regenwurm kroch niedergeschlagen weiter… Wie kam man
ohne dem zurecht, der eine treibende Kraft gewesen war?
Der