Anna Karenina. Лев Толстой

Anna Karenina - Лев Толстой


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mit der einen Frau leben, mit der er getraut sei, ein junges Mädchen müsse unschuldig sein, eine Frau züchtig, ein Mann gesetzt, enthaltsam und solid, man müsse Kinder aufziehen, sich durch Arbeit sein Brot erwerben, seine Schulden bezahlen und mehr derartige Dummheiten. Dies war die Gattung der altmodischen, komischen Leute. Aber es gab auch noch eine andere Gattung von Menschen: die wirklichen Menschen, zu denen sie selbst alle gehörten; in dieser Gattung mußte man vor allem elegant, großartig, keck und heiter sein, sich, ohne zu erröten, jeder Leidenschaft überlassen und sich über alles übrige lustig machen.

      Wronski war nur im ersten Augenblicke, unter der Nachwirkung der von Moskau mitgebrachten Eindrücke aus einer ganz anderen Welt, noch wie betäubt gewesen, hatte sich aber dann, wie wenn jemand mit den Füßen in seine Pantoffeln hineinfährt, sofort wieder in seiner früheren vergnügten, angenehmen Welt zurechtgefunden.

      Der Kaffee wollte durchaus nicht richtig kochen; er bespritzte alle, lief über, ergoß sich über den teueren Teppich und über das Kleid der Baronin und brachte dadurch gerade die Wirkung hervor, die hier nötig war: er gab Anlaß zu Lärm und Gelächter.

      »Nun leben Sie aber wohl, sonst kommen Sie nie dazu, sich zu waschen, und ich habe es dann auf dem Gewissen, Sie zu dem schlimmsten Verbrechen eines anständigen Menschen, zur Unsauberkeit, veranlaßt zu haben. Also Sie raten mir, ihm das Messer an die Kehle zu setzen?«

      »Unbedingt, und zwar so, daß Ihr Händchen recht nahe an seine Lippen kommt. Er wird Ihr Händchen küssen, und alles wird ein erfreuliches Ende nehmen«, antwortete Wronski.

      »Also heut abend im Französischen Theater!« Und mit dem Kleide rauschend, verschwand sie.

      Auch Kamerowski stand auf, und Wronski reichte ihm, ohne seinen Weggang abzuwarten, die Hand und ging in sein Toilettenzimmer. Während er sich wusch, schilderte ihm Petrizki in kurzen Zügen seine Lage, soweit sie sich nach Wronskis Abreise verändert hatte. Geld habe er keines mehr. Sein Vater habe erklärt, er werde ihm nichts mehr geben und auch seine Schulden nicht bezahlen. Sein Schneider wolle ihn ins Schuldgefängnis setzen lassen, und ein anderer Gläubiger habe ihm gleichfalls auf das bestimmteste damit gedroht. Der Regimentskommandeur habe ihm eröffnet, wenn diese Skandalgeschichten nicht aufhörten, müsse er seinen Abschied nehmen. Die Baronin sei ihm so widerwärtig geworden wie ein bitterer Rettich, namentlich deswegen, weil sie ihm immer Geld geben wolle. Da habe er aber jetzt ein anderes Frauenzimmer entdeckt – er wolle sie ihm zeigen –, eine wahre Pracht, rein zum Entzücken, so in streng orientalischem Stil, »im Genre der Magd Rebekka, weißt du!« Mit Berkoschew habe er auch einen argen Zank gehabt und wolle ihm seine Sekundanten schicken; aber selbstverständlich werde weiter nichts dabei herauskommen. Im allgemeinen aber gehe es ihm ganz vortrefflich, und er sei höchst fidel. Und ohne daß er seinem Kameraden Zeit gelassen hätte, auf die Einzelheiten seiner Lage näher einzugehen, ging Petrizki dazu über, ihm alle interessanten Neuigkeiten zu erzählen. Während Wronski diese ihm so wohlbekannte Sorte von Geschichten in dem ihm so wohlbekannten Getriebe der nun schon drei Jahre von ihm innegehabten Wohnung anhörte, empfand er das angenehme Gefühl der Rückkehr zu seinem gewohnten sorglosen Petersburger Leben.

      »Nicht möglich!« rief er und hob den Fuß von dem Trittbrett der Wascheinrichtung weg, durch die er seinen roten, gesunden Hals mit Wasser übergossen hatte. »Nicht möglich!« rief er bei der Nachricht, daß Fräulein Lora sich von Fertinghof losgesagt habe und Milejews Freundin geworden sei. »Und ist Fertinghof immer noch so dumm und mit allem zufrieden? Na, und was macht denn Busulukow?«

      »Ach, mit Busulukow hat sich eine Geschichte abgespielt, eine ganz kostbare Geschichte!« rief Petrizki. »Seine Leidenschaft sind bekanntlich Bälle, und er versäumt keinen einzigen Hofball. Na, er geht also auf einen großen Ball mit dem neuen Helm. Hast du die neuen Helme schon gesehen? Sie sind sehr hübsch, leichter als die bisherigen. Er steht also so da, – Nein, du mußt aber auch zuhören!«

      »Ich höre ja zu!« antwortete Wronski, der sich gerade mit einem Frottierhandtuch abtrocknete.

      »Da geht gerade eine Großfürstin mit irgendwelchem Gesandten an ihm vorbei, und zu seinem Unglück dreht sich das Gespräch der beiden gerade um die neuen Helme. Die Großfürstin will dem Gesandten einen solchen neuen Helm zeigen. Da sieht sie unseren braven Busulukow stehen (Petrizki machte nach, wie dieser mit dem Helme dagestanden hatte); die Großfürstin ersucht ihn, ihr den Helm einmal herzugeben, – er gibt ihn nicht. Großes Erstaunen, was das heißen soll. Die Umstehenden zwinkern ihm zu, machen ihm Zeichen mit dem Kopfe, schneiden ihm finstere Gesichter: er solle doch den Helm hinreichen. Er tut es nicht. Er steht wie erstarrt da. Du kannst dir die Szene vorstellen! Da kommt dieser ... – wie heißt er doch gleich? – und will ihm den Helm wegnehmen. Er läßt ihn nicht los! Der reißt ihn ihm aus der Hand und reicht ihn der Großfürstin. ›Sehen Sie, das ist der neue Helm‹, sagt die Großfürstin. Sie dreht den Helm um, und nun stell dir das mal vor: bums! fällt eine Birne und Konfekt heraus, zwei Pfund Konfekt! – Das hatte er sich da hineingestopft, unser edler Busulukow!«

      Wronski wollte sich totlachen. Und noch lange nachher, als sie schon von anderen Dingen sprachen, brach er, wenn er an den Helm dachte, immer von neuem in ein kräftiges Gelächter aus, so daß seine starken, vollzähligen Zähne sichtbar wurden.

      Nachdem er alle Neuigkeiten erfahren hatte, legte er mit Hilfe seines Dieners die Uniform an und fuhr weg, um sich zu melden. Nach der Meldung beabsichtigte er zu seinem Bruder und zur Fürstin Betsy Twerskaja zu fahren und sonst noch einige Besuche zu machen, um sich Zugang zu den Kreisen zu verschaffen, in denen er Frau Karenina treffen konnte. Wie stets in Petersburg, fuhr er von Hause mit der Absicht fort, erst spät in der Nacht zurückzukommen.

      1

      Gegen Ende des Winters fand bei Schtscherbazkis eine ärztliche Beratung statt, durch die festgestellt werden sollte, wie es mit Kittys Gesundheit stehe und was zur Hebung ihrer dahinschwindenden Kräfte zu unternehmen sei. Sie war krank, und mit dem Herannahen des Frühlings verschlimmerte sich ihr Gesundheitszustand nur noch mehr. Der Hausarzt hatte ihr Lebertran, dann Eisen, darauf Höllenstein verordnet; aber da weder das erste noch das zweite noch das dritte Mittel geholfen und da er geraten hatte, zum Frühjahr ins Ausland zu reisen, so wurde noch eine erste Kraft zu Rate gezogen. Dieser berühmte Arzt, ein noch nicht alter, sehr schöner Mann, forderte eine Untersuchung der Patientin. Energisch und, wie es schien, mit besonderem Vergnügen sprach er seine Ansicht aus, daß mädchenhafte Scham nur ein Überrest altbarbarischer Vorurteile sei, und es erschien ihm als die natürlichste Sache von der Welt, daß ein noch nicht bejahrter Mann den nackten Körper eines jungen Mädchens betaste. Er fand das natürlich, weil er es jeden Tag tat und dabei, seiner Ansicht nach, weiter nichts Schlimmes fühlte und dachte, und darum hielt er Schamhaftigkeit bei einem jungen Mädchen nicht nur für einen Überrest von Barbarentum, sondern auch für eine gegen ihn gerichtete Beleidigung.

      Man mußte sich ihm fügen; denn obgleich alle Ärzte dieselben Universitätskurse durchmachen und aus denselben Büchern dieselbe Wissenschaft studieren und obgleich manche Leute behaupteten, diese erste Kraft sei ein schlechter Arzt, so galt es doch bei der Fürstin wie in ihrem ganzen Bekanntenkreise aus nicht näher nachweisbaren Gründen als ausgemacht, daß einzig und allein dieser berühmte Arzt etwas Tüchtiges verstehe und daß nur er Kitty retten könne. Nach eingehender Besichtigung und längerer Beklopfung der vor Scham ganz verstörten und wie betäubten Patientin wusch sich der berühmte Arzt sorgfältig die Hände und ging dann in den Salon und sprach mit dem Fürsten. Der Fürst zog ein finsteres Gesicht und räusperte sich wiederholt, während er dem Arzt zuhörte. Als ein Mann von Lebenserfahrung, von gutem Verstande und vortrefflicher Gesundheit glaubte er nicht an die medizinische Wissenschaft und war in tiefster Seele ergrimmt über diese ganze Komödie, und zwar um so mehr, als er vielleicht der einzige war, der die Ursache von Kittys Krankheit völlig erkannt hatte. ›Du Blaffköter!‹ dachte er, indem er im stillen diesen Ausdruck der Jägersprache auf den berühmten Arzt übertrug, dessen Geschwätz über die Krankheitsmerkmale bei seiner Tochter er anhörte. Unterdessen hielt der Arzt seinerseits nur mühsam auf seinem Gesichte einen Ausdruck der Geringschätzung


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