Total Compensation. Frank Maschmann
Sie liegen vor, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer Vereinbarung seine Arbeitsleistung für einen ihm im Vorhinein bekannten unwiderruflich festgelegten Zeitraum unterbricht.125 Etwas anderes muss jedoch dann gelten, wenn der Arbeitnehmer nicht frei entscheiden kann, wo und wie er die Pausenzeit verbringen will oder sich sogar auf Abruf für Arbeit bereitzuhalten hat.126 Für kurzfristige Arbeitsunterbrechungen entfällt die Mindestlohnpflicht dagegen nicht.127 Die Grenze hierfür ist einzelfallbezogen zu bestimmen und darf für die jeweilige Tätigkeit nicht als beachtlich angesehen werden (unproblematisch: „Verschnaufpausen“ von max. 3 Minuten;128 i.d.R. beachtlich: 15-minütige Unterbrechungen, vgl. § 4 Satz 2 ArbZG). Zeiten, in denen die Arbeit aus technischen oder betriebsorganisatorischen Gründen nicht stattfinden kann (sog. Betriebspausen), sind mit dem Mindestlohn zu vergüten, da der Arbeitnehmer in diesen über seine Zeit nicht frei disponieren kann.129
e) Reise-, Wege- und Umkleidezeiten
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Bei Reisezeiten, die zur Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers gehören, konkretisiert der Arbeitgeber die Arbeitsleistung, indem er den Arbeitnehmer anweist, eine Dienstreise durchzuführen.130 Es liegt Vollarbeit vor, die mit dem Mindestlohnstundensatz zu vergüten ist, § 1 Abs. 2 MiLoG. Dies gilt regelmäßig auch für Mitarbeiter im Außendienst, die ihre vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht ohne Reisetätigkeit erfüllen können, sodass diese als Bestandteil der vergütungspflichtigen Haupttätigkeit anzusehen ist.131
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Bei außerhalb der normalen Arbeitszeit liegenden Reisezeiten besteht ein Mindestlohnanspruch des Arbeitnehmers dagegen nur, soweit Arbeitsleistungen während der Reise erbracht werden.132 Beantwortet der Arbeitnehmer beispielsweise während einer angeordneten Zugfahrt dienstliche E-Mails, bearbeitet er Akten oder führt er zur Arbeit gehörende Telefonate, liegt mindestlohnrelevante Arbeitszeit vor. Verbringt er die Reise dagegen rein mit Tätigkeiten, die lediglich seiner privaten Lebensführung zuzuordnen sind, besteht hierfür kein Anspruch auf Zahlung des Mindestlohns.133 Ein Rechtssatz, dass Reisezeiten stets zu vergüten sind, existiert nicht.134 Zeiten der Übernachtung sind ebenfalls nicht mindestlohnpflichtig, da sie nicht ausschließlich fremdnützig sind.135 Wird der Arbeitnehmer angewiesen, selbst einen Pkw zu steuern, besteht Mindestlohnpflicht, da ihm eine vergütungspflichtige Tätigkeit abverlangt wird.136
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Reisezeiten wurden bisher oft geringer als die normale Arbeitszeit vergütet.137 In Tarifverträgen konnte sogar Nichtzahlung angeordnet werden, vgl. § 44 Abs. 2 Satz 1 TVöD.138 Derartige Vereinbarungen sind nunmehr unwirksam, soweit für vergütungspflichtige Wegezeiten nicht zumindest der Mindestlohn je Zeitstunde entrichtet wird, § 3 Satz 1 MiLoG.139 Damit sind Regelungen über pauschale Abgeltungen oder die Nichtzahlung für Reisezeiten jedoch nicht per se ausgeschlossen. Erhält der Arbeitnehmer ein verstetigtes Monatseinkommen, muss dieses lediglich, auf den Kalendermonat bezogen, den vollen Mindestlohnstundensatz für jede geleistete Arbeitsstunde gewähren. Liegt der Gesamtlohn hinreichend über der nach dem MiLoG zu entrichtenden Vergütung, können Reisezeiten weiterhin, soweit die Differenz zwischen gewährtem und mindestlohnpflichtigem Lohn nicht überschritten wird, geringer oder sogar überhaupt nicht entlohnt werden.
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Die Zeitspanne, die der Arbeitnehmer benötigt, um zum Arbeitsplatz zu gelangen und von diesem zurückzukehren (sog. Wegezeit), ist grundsätzlich der privaten Lebensführung zuzuordnen,140 sodass mindestlohnpflichtige Arbeitszeit nicht vorliegt. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Arbeitnehmer angewiesen wird, sich direkt von der Wohnung oder aus dem Betrieb zu einer auswärtigen Arbeitsstelle zu begeben (z.B. Anreise eines Bauarbeiters zu wechselnden Baustellen).141 In derartigen Fällen besteht ein Anspruch auf Mindestlohnzahlung für die Anreise. Umkleidezeiten gehören dann zur mindestlohnpflichtigen Arbeitszeit, wenn das Ankleiden einer vorgeschriebenen Arbeitskleidung nur im Betrieb erfolgen kann oder diese derartig auffällig ist, dass ein Tragen im öffentlichen Raum unzumutbar ist.142
f) Zeiten der Nichtarbeit
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Inwieweit der Arbeitnehmer für Zeiten der Nichtarbeit – also bei Krankheit, an Feiertagen, im Urlaub oder bei Annahmeverzug des Arbeitgebers – den Mindestlohn beanspruchen kann, wird im MiLoG nicht explizit geregelt. Einige Stimmen in der Literatur lehnen dies kategorisch ab, da für das Entstehen des Mindestlohnanspruches die Arbeitsleistung tatsächlich erbracht worden sein müsste – heißt es doch „Arbeitsleistung erbracht“ in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MiLoG und „geleistete Arbeitsstunden“ in § 2 Abs. 2 Satz 1 MiLoG.143 Ein solches Ergebnis überzeugt für das AEntG,144 nicht jedoch für das Mindestlohngesetz.145 Letzteres erlegt allen Arbeitgebern mit Sitz im In- oder Ausland die Pflicht auf, ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt zumindest in Höhe des Mindestlohns zu bezahlen, § 20 MiLoG. Sind diese aufgrund der Regelungen des BUrlG, EfzG oder des § 615 BGB von der Pflicht zur Erfüllung der Arbeitsleitung befreit, besteht die Lohnzahlungspflicht weiterhin fort (sog. Entgeltfortzahlungsprinzip). Dem Arbeitnehmer steht das Entgelt zu, das er auch ohne den Arbeitsausfall bekommen hätte. Er hat folglich grundsätzlich auch für Zeiten der Nichtarbeit einen Anspruch auf den Mindestlohn.146 Dem steht nicht entgegen, dass sich das Mindestlohngesetz an dem Vorliegen vergütungspflichtiger Arbeitszeit orientiert. Denn die gesetzlichen Regelungen für Nichtarbeit ordnen ja gerade trotz Nichtleistung des Arbeitnehmers die Aufrechterhaltung der Lohnzahlungspflicht an, ohne dass dieser „im arbeitstechnischen Sinne aktiv“ geworden sein müsste.147
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Liegt ein gesetzlicher Feiertag vor oder ist der Arbeitnehmer unverschuldet krankheitsbedingt arbeitsunfähig, kann er diejenige Vergütung beanspruchen, die ihm auch bei Erbringung der Arbeitsleistung zugestanden hätte. Dies ist das Entgelt, das ohne Arbeitsausfall angefallen wäre, also zumindest der Mindestlohnstundensatz, § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 MiLoG.148 Der Anspruch folgt dann direkt aus den §§ 2 ff. EfzG und nicht aus § 1 MiLoG.149
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Während des gesetzlichen Erholungsurlaubs schuldet der Arbeitgeber ebenfalls den Mindestlohn.150 Nach § 11 BUrlG bzw. Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie151 haben Arbeitnehmer Anspruch auf den durchschnittlichen Arbeitsverdienst, den sie sonst auch im Referenzzeitraum erhalten würden (sog. Referenzprinzip). In diesem muss ihnen zumindest der Mindestlohn gewährt werden, § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 MiLoG. Dies gilt auch für den über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden Erholungsurlaub.152
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Befindet sich der Arbeitgeber in Annahmeverzug, folgt die Mindestlohnpflicht aus § 615 BGB i.V.m. der vertraglichen Vergütungsvereinbarung. Der originäre Entgeltanspruch bleibt bestehen.153 Der Arbeitnehmer ist so zu bezahlen, als ob er gearbeitet hätte. Sein Lohn darf wegen § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 MiLoG nicht unter dem Mindestlohnstundesatz liegen. § 615 Satz 2 BGB bleibt anwendbar.154
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Da die Entgeltfortzahlungsansprüche direkt aus §§ 2 ff. EfzG, § 11 BUrlG sowie § 615 BGB folgen – und nicht aus § 1 MiLoG –, unterliegen sie nicht den Schutzmechanismen des Mindestlohngesetzes.155 Dies hat zur Folge, dass der Zollverwaltung keine Kontroll- und Sanktionsbefugnisse nach den §§ 14 ff. MiLoG zustehen,156 Bußgelder nach § 21 MiLoG für die Nichtgewährung des Mindestlohns während des Zeitraums des Entgeltausfalls also nicht verhängt werden können. Auch greift § 3 MiLoG nicht ein, der die Unabdingbarkeit des Mindestlohnanspruches normiert. § 13 BUrlG sowie § 12 EfzG bieten jedoch ein äquivalentes Schutzniveau. Für § 615 BGB ist die Abdingbarkeit dagegen umstritten.157 Schließlich greift auch die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG i.V.m. § 14 AEntG nicht.