Total Compensation. Frank Maschmann
Verschlechterung der Lage der Gesellschaft (zuvor: „wesentlichen“ Verschlechterung), die die Gewährung der zunächst festgesetzten Bezüge unbillig erscheinen lassen würde (zuvor: „schwere“ Unbilligkeit), in eine „Soll“-Vorschrift gewandelt wurde (zuvor: „so ist der Aufsichtsrat berechtigt“), sodass im Falle der Unbilligkeit „nur [noch] bei Vorliegen besonderer Umstände [...] von einer Herabsetzung abgesehen“4 werden kann (s. Rn. 67 f.). Gleichzeitig wurde in § 116 AktG durch einen neuen Satz 3 (deklaratorisch) klargestellt, dass der Aufsichtsrat im Falle der Festsetzung unangemessener Vergütung i.S.d. § 87 Abs. 1 AktG auf Schadensersatz haftet (s. Rn. 32).5 Dem korrespondiert die Erweiterung der nicht aus dem Aufsichtsratsplenum in Ausschüsse delegierbaren Aufgaben um die Festsetzung der Vorstandsvergütung in § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG. Zugleich wurde in § 120 Abs. 4 Satz 1 AktG als weiteres Kontrollinstrument das Recht eingeräumt, über die Vorstandsvergütung in der Hauptversammlung Beschluss zu fassen (sog. „say on pay“) (s. Rn. 9). Um im Sinne von Nachhaltigkeit i.w.S. und Transparenz im Falle eines Wechsels eines Mitglieds des Vorstands in den Aufsichtsrat derselben börsennotierten Gesellschaft dem Anschein entgegenzuwirken, dass das ehemalige Vorstandsmitglied als Mitglied des Aufsichtsrats die Aufarbeitung von Unregelmäßigkeiten oder Korrektur von strategischen Fehlentscheidungen des Vorstands aus der eigenen Vorstandszeit be- oder verhindern könne, wurde schließlich mit dem VorstAG eine grundsätzlich zweijährige Karenzzeit für ehemalige Vorstände vor dem Wechsel in den Aufsichtsrat eingeführt,6 die nur dann nicht gilt, wenn das Aufsichtsratsmitglied auf Aktionärsvorschlag, der eines Quorums von 25 % der Stimmen bedarf, gewählt wird. Um die Transparenz weiter zu erhöhen, wurden schließlich die Pflichtangaben im Anhang zur Bilanz/Gewinn- und Verlustrechnung für börsennotierte Gesellschaften in § 285 Ziff. 9 lit. a Satz 6 Handelsgesetzbuch (HGB) erweitert – im Wesentlichen um die Angabe von Leistungen, die dem Vorstand hinsichtlich der Beendigung seiner Tätigkeit zugesagt sind.
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Zu den Vorschriften des AktG kommen die Empfehlungen und Anregungen des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK). Der DCGK wurde im Jahr 2002 zur Steigerung von Nachvollziehbarkeit und Transparenz des deutschen Corporate Governance Systems für nationale und internationale „Stakeholder“ (Anleger, Kunden, Mitarbeiter, Öffentlichkeit) eingeführt.7 Zugleich lassen jedoch Regelungen, die über das AktG hinausgehen, das Ziel einer verhaltenssteuernden Wirkung erkennen („international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung“).8 Regelungsadressaten des DCGK sind börsennotierte Gesellschaften und solche mit Kapitalmarktzugang i.S.d. § 161 Abs. 1 Satz 2 AktG. Die Regierungskommission DCGK will den Kodex jedoch auch als Handlungsempfehlung für nicht kapitalmarktorientierte Gesellschaften verstanden wissen.9 Von Empfehlungen („Sollen“) kann grundsätzlich nicht ohne jährliche Offenlegung abgewichen werden, § 161 Abs. 1 AktG („comply or explain“-Grundsatz10), bei bloßen Anregungen („Sollte“) dagegen ist eine solche Offenlegung nicht erforderlich.11 Jährlich vom Berlin Center of Corporate Governance der TU Berlin veröffentlichte Studien zur Einhaltung der Vorgaben des Kodex zeigen bei insgesamt hoher und gestiegener Befolgungsrate (86,2 % bei in Frankfurt am Main notierten Unternehmen in 2015) durchaus erhebliche Abweichungen hinsichtlich der Umsetzung der einzelnen Empfehlungen des Abschnitts 4 des DCGK zur Vorstandsvergütung in der Praxis:12 So steht etwa im Jahr 2015 einer Befolgungsrate von 100 % hinsichtlich der Aufteilung der Vergütung in fixe und variable Bestandteile (E13; Ziffer 4.2.3 Abs. 2 Satz 2 DCGK) eine Akzeptanzquote von 79,2 % hinsichtlich des doppelten Abfindungscaps (E26; Ziffer 4.2.3 Abs. 4 Satz 1 DCGK) gegenüber. Geringere Akzeptanzraten erzielen bislang auch die auf eine Steigerung der Transparenz gerichteten Empfehlungen zur Veröffentlichung der erreichbaren Maximal- und Minimalvergütung bei Gewährung variabler Vergütungsbestandteile sowie die Empfehlungen hinsichtlich der Angaben zum Zufluss von kurzfristigen und langfristigen variablen Vergütungsbestandteilen im Vergütungsbericht.13
1 Entwurf eines Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) vom 17.3.2009, BT-Drs. 16/12278; verkündet BGBl. I Nr. 50 vom 4.8.2009, S. 2509. 2 Entwurf eines Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) vom 17.3.2009, BT-Drs. 16/12278, S. 1. 3 Der Gesetzgeber hat mit dem VorstAG bewusst keine gesetzliche Verpflichtung geschaffen, auch bei Aufsichtsräten zwingend einen Selbstbehalt vorzusehen, sondern sich auf den Standpunkt gestellt, diese Frage könne dem DCGK überlassen bleiben, vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Drucksache 16/12278 – Entwurf eines Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), BT-Drs. 16/13433 vom 17.6.2009, S. 11 f. 4 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Drucksache 16/12278 – Entwurf eines Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), BT-Drs. 16/13433 vom 17.6.2009, S. 10. 5 Zu der Frage, ob diese Haftung auf eine Verletzung des Angemessenheitsgebots beschränkt ist, oder aufgrund des Verweises auf den gesamten § 87 Abs. 1 AktG auch die Nichtbeachtung des Nachhaltigkeitsgebots umfasst, Röttgen/Kluge, NJW 2013, 900, 904 f., die jedoch völlig zurecht auch darauf hinweisen, dass es sich im Ergebnis angesichts des dem Aufsichtsrat zugebilligten, weiten Ermessensspielraums (Business Judgment Rule) und der bei börsennotierten Gesellschaften in der Praxis der letzten Jahre der Nachhaltigkeit insgesamt regelmäßig zugemessenen Bedeutung bei Haftungsfällen um seltene Ausnahmefälle handeln dürfte. 6 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6 Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Drs. 16/12278 – Entwurf eines Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), BT-Drs. 16/13433 vom 17.6.2009, S. 11. 7 DCGK, 1 Präambel, S. 1. 8 DCGK, 1 Präambel, S. 1. 9 DCGK, 1 Präambel, S. 2. 10 Zur Herkunft des Comply or Explain-Prinzips vgl. Arbeitskreis Externe und Interne Überwachung der Unternehmung (AKEIÜ) der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V., DB 2016, 395, 396 m.w.N. 11 DCGK, 1 Präambel, S. 2. 12 Werder/Turkali, DB 2016, 1357, 1359 ff. 13 Vgl. die Befolgungsraten für E33 (4.2.5 Abs. 3 Satz 1 Spiegelstr. 1 Hs. 2 DCGK), E35 (4.2.5 Abs. 3 Satz 1 Spiegelstr. 2 Hs. 2 DCGK) und E36 (4.2.5 Abs. 3 Satz 1 Spiegelstr. 2 Hs. 2 DCGK) in 2015 bei Werder/Turkali, DB 2016, 1357, 1361 und 1363 nach Adjustierung.
II. Festsetzung der Vorstandsvergütung
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Über die individuelle Vorstandsvergütung hat das Aufsichtsratsplenum zu beschließen. Die bis 2009 übliche Delegation des Beschlusses an einen Ausschuss ist seit der Erweiterung des Katalogs der nicht-delegierfähigen Aufgaben in § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG durch das VorstAG nicht mehr möglich. Zweck dieser Änderung war eine Verbesserung der Transparenz der Vorstandsvergütungssysteme.14
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Dieser Zielsetzung widerspricht es nicht, wenn dem Personalausschuss weiterhin die Verhandlung über Abschluss, Änderung und Beendigung von Vorstandsdienstverträgen übertragen bleibt.15 Auch die Details der Vergütungsgestaltung können weiterhin im Personalausschuss verhandelt werden.16 Nicht nur geht Ziffer 4.2.2.2 Satz 2 DCGK davon aus, dass ein etwaiger Ausschuss dem Plenum „seine Vorschläge“ zur Vorstandsvergütung vorlegt. Auch die Gesetzesbegründung zum VorstAG unterscheidet zwischen Beschluss und Vorbereitung des Beschlusses und misst dem Personalausschuss weiterhin