Wille und das Ungeheuer vom Vechtesee. Mathias Meyer-Langenhoff
genau die spitzen und scharfen Reißzähne erkennen können, zudem habe das Biest fürchterlich gebrüllt. Nur um Haaresbreite sei sie entkommen, erklärte die Frau gegenüber der Polizei. Zur Identität der Zeugin wollte diese jedoch keine Angaben machen. Sie sei noch nicht vernehmungsfähig und befinde sich zur ärztlichen Betreuung im Euregio-Klinikum. (ww)
„Ja und?“, meinte Andy wieder. „Die hat doch wahrscheinlich nicht alle Latten am Zaun. Die kommt bestimmt aus Dortmund und ist Borussia-Fan, die spinnen sowieso.“ Andy tippte sich erneut an die Stirn.
„Nur weil du für Schalke bist, sind doch nicht Dortmunder sofort bescheuert“, antwortete Wille und grinste.
„Jetzt sag bloß, du glaubst diesen Quatsch?“
Wille schüttelte den Kopf. „Nein, natürlich nicht, aber die Frage ist doch, ob sie wirklich nicht alle Latten am Zaun hat oder irgendwas anderes dahintersteckt.“
„Und wer oder was?“
„Keine Ahnung, aber spannend finde ich die Sache schon.“
„Wer hat den Artikel denn geschrieben? Vielleicht fragen wir erst mal den Redakteur“, schlug Andy vor, weil er genau wusste, dass er Wille die Sache nicht mehr ausreden konnte. Wenn sein Freund sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es am besten, einfach mitzumachen. Wille würde sicher wieder in die eine oder andere Schwierigkeit geraten.
„Wolf Watermann.“ Das konnte er an dem Kürzel ww erkennen. Jeder Redakteur oder jede Redakteurin der Zeitung hatte ein Kürzel, damit man die Artikel zuordnen konnte.
Wolf Watermann gehörte zu Willes und Andys speziellen „Freunden“. Vor einigen Monaten hatten sie nach einem Einbruch im Jugendzentrum mal wieder ermittelt, denn sie waren davon überzeugt gewesen, dass es sich um einen Besucher handeln musste. Er kannte sich offenbar aus und wusste genau, wo die Laptops standen. Auch den Schrank mit den Süßigkeiten hinter der Theke hatte er leer geräumt. Der ließ sich nur mit einem bestimmten Trick öffnen, den er offenbar gekannt hatte, denn die Tür war nicht aufgebrochen worden.
Aus welchen Gründen auch immer hatte Wolf Watermann davon Wind bekommen und sich bei Willes und Andys Ermittlungen an ihre Fersen geheftet. Er war ein unsympathischer Superstreber, immer auf der Suche nach einer Story oder was er dafür hielt. Mehr als einmal hatte er dafür gesorgt, dass Fallen, die sie dem Verdächtigen gestellt hatten, um ihn auf frischer Tat zu ertappen, nicht zuschnappen konnten, weil er ihnen dazwischengefunkt hatte. Entweder störte er mit seiner Kamera oder mit seinem Aufnahmegerät, in das er ständig hineinquatschte. Der vermeintliche Dieb hatte sich deshalb regelmäßig davongemacht. Erst beim dritten Versuch war es Andy und Wille gelungen, den Einbrecher zu stellen, sodass Hauptkommissar Hans Klaus und sein Assistent Ludger Vennegerts ihn nur noch festnehmen mussten. Im Gegensatz zu Ludger Vennegerts gehörte Hans Klaus nicht zu den hellsten Kerzen auf der Torte. Das meinte jedenfalls Wille. Deshalb recherchierten er und Andy zu Beginn eines Falles lieber allein, ohne ihn oder seinen Assistenten zu benachrichtigen. Erst wenn sie ganz sicher waren, informierten sie die Polizisten, damit diese ihres Amtes walten konnten.
Natürlich hatte Watermann aus dem Jugendzentrumseinbruch eine Riesenstory gemacht, aber Wille und Andy in seinem Artikel mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen hatte er den Eindruck vermittelt, selbst den Dieb aufgespürt zu haben.
„Ist doch super, dann versuchen wir mal, Watermann in die Suppe zu spucken. Was hältst du davon?“, freute sich Wille.
Jetzt war auch Andy Feuer und Flamme. Dieser Watermann war nicht nur nervig, sondern auch noch ein total arroganter Typ. Dem würde er wirklich gerne mal zeigen, wo es langging. „Okay“, antwortete er deshalb, „ich bin dabei. Wie gehen wir vor?“
„Ich würde sagen, erst versuchen wir mal, mit dieser Frau zu sprechen.“
„Aber wie sollen wir an die herankommen? Sie ist doch in der Klinik.“
„Na und? Wir können ihr doch einen Krankenbesuch abstatten. Meine Tante ist da Stationsschwester, aus der kriege ich schon raus, wie die Frau heißt und wo sie liegt.“ Wille rieb sich die Hände, schon jetzt freute er sich auf die Ermittlungsarbeiten.
„Und was ist, wenn es wirklich ein Ungeheuer ist?“, fragte Andy.
„Ich wette mit dir, dass etwas anderes dahintersteckt.“
„Aber warum sollen wir uns dann damit beschäftigen?“
„Wegen Watermann! Außerdem haben wir schon lange keinen Fall mehr gelöst“, antwortete Wille und gähnte. „Heute können wir nichts mehr tun. Und noch mal gegen dich bei FIFA zu verlieren, habe ich auch keinen Bock. Am besten wir treffen uns morgen nach der Schule.“
Sie gingen nach unten. Willes Vater Jochen war inzwischen auch nach Hause gekommen und hatte sich zu seiner Frau auf die Terrasse gesetzt. Er war ein freundlicher, ruhiger Mann, der in einer Baufirma im Büro arbeitete, und hob die Hand zu einem High-five. Wille und Andy schlugen ein.
„Na, Jungs? Macht ihr Feierabend? Wer hat denn heute beim Computerfußball gewonnen?“
„Dreimal darfst du raten, Papa“, lachte Wille, „aber irgendwann werde ich es schon noch schaffen, Andy zu besiegen.“
Andy mochte Willes Vater, denn er war das genaue Gegenteil seines eigenen, dem er nicht mal im Dunkeln begegnen wollte. Obwohl, vielleicht wäre das gar nicht schlecht, dann könnte er seinem Alten mal richtig eine reinhauen und ihm ein für alle Mal austreiben, seiner Mutter Angst einzujagen.
„Abwarten“, meinte Andy, „auf jeden Fall musst du noch mehr trainieren. Gute Nacht, Herr Willerink, gute Nacht, Frau Willerink!“
Wille brachte Andy noch zu seinem Fahrrad.
*
In der Schule
Wille war nervös, als er am nächsten Morgen zur Schule fuhr. Er wusste ja nicht, ob die drei Idioten von gestern aus dem Freibad wieder Streit mit ihm suchen würden. Dort musste er auf jeden Fall ohne Andy klarkommen, denn der ging ja auf die Ludwig-Povel-Schule. Als Wille sein Rad durch das Eingangstor zum Schulhof des Stadtring-Gymnasiums schob, wanderte sein Blick automatisch nach rechts. Dort standen Patrick, Lars und Ole oft unter den Arkaden. Meist rauchten sie noch eine Zigarette, obwohl es auf dem Schulhof eigentlich verboten war. Aber kein Lehrer rechnete damit, dass Schüler so dreist waren, ausgerechnet direkt unter den Arkaden zu rauchen. Und richtig, jetzt standen sie wieder da und hatten Wille sofort gesehen. Er merkte es an ihrem Grinsen. Das Einfachste wäre, quer über den Schulhof zu gehen, um den Gebäudeeingang auf der anderen Seite zu benutzen. Zum Glück traf er am Fahrradständer Daniel, mit dem er in der Schule am engsten befreundet war.
„Hey, Daniel, alles klar bei dir?“, grüßte ihn Wille und warf immer wieder einen Blick in Richtung Arkaden.
„Ja, alles im Lot. Was ist los, du schielst immer so nach hinten?“
„Ach, nichts eigentlich. Hatte nur gestern im Freibad etwas Ärger mit den drei Vollpfosten aus der 9b.“
„Warum?“
Wille winkte ab. „Nicht weiter tragisch. Andy hat mir geholfen, aber jetzt glotzen sie so komisch.“
„Am besten du beachtest sie nicht, die machen doch allen gerne Stress, nicht nur dir.“
Wille war froh, dass Daniel ihn sofort verstand. Sie gingen zusammen zum Nordeingang, ohne dass die drei ihnen folgten. Für Wille war damit die Angelegenheit erledigt. Die erste Stunde ging an ihm völlig vorbei. Eigentlich war Mathe bei Herrn Diepmann eine coole Sache. Wille mochte ihn, denn er war nicht so trocken wie die meisten anderen Lehrer und trotz seines Alters ein ziemlich witziger Typ. Diepmann war für Wille der erste Lehrer, der es schaffte, Mathe so zu erklären, dass es spannend war und man wirklich etwas verstand. Sie rechneten nicht ohne Sinn und Verstand, sondern beschäftigten sich mit Themen, die sie im Alltag gebrauchen konnten. Einmal hatten sie zum Beispiel ausgerechnet, wie ein optimaler Handytarif aussehen könnte. Und immer wenn sie ein Thema