Ingwer. Jörg Zittlau
Curcumen findet man schließlich in den gelben Knollen aus dem indischen Narasapattam.
Ingwer aus Australien
Auf insgesamt etwa 700 Morgen Land in Queensland im Nordosten Australiens wird Ingwer angebaut. Gegenüber dem oft sehr scharfen und »feurigen« asiatischen Ingwer verfügt der australische Ingwer über ein milderes, fruchtiges Aroma mit zitroniger Note, und er ist besonders zart. Die gesunden Ingwerknollen aus kontrolliertem Anbau werden nämlich im Februar und März schon jung und zart geerntet, bevor sie allzu große Schärfe entwickeln können. Ein Teil der Ingwerproduktion in Australien erfolgt unter strengen Bio-Auflagen und ist entsprechend zertifiziert.
BESSER ALS DAS CHEMIE-LABOR: DIE WIRKSTOFFE DES INGWERS
Im folgenden Kapitel finden Sie eine Übersicht der wichtigsten Wirkstoffe des Ingwers. Wissenschaftler haben in dieser Hinsicht in den letzten Jahren sehr viel geforscht, sodass die Pflanze chemisch mittlerweile gut entschlüsselt ist. Dennoch sollte man diese Befunde nicht überschätzen. Der Grund: Selbst die ausgeklügelten Methoden der Labors schaffen es nicht, den Bauplan einer Pflanze bis ins letzte Detail offenzulegen. Vieles funktioniert in der Chemie, wie in den Naturwissenschaften überhaupt, nach dem Prinzip: Ich kann nur etwas finden, wenn ich ungefähr weiß, wonach ich suche. So finde ich einen Stoff XY nur, wenn ich die Methoden verwende, die ihn sichtbar machen können. Sofern ich aber andere Methoden zum Einsatz bringe, weil ich beispielsweise die Substanz Z finden will, geht mir XY vermutlich durch die Lappen. Das ist nicht anders als bei der Jagd: Konzentriert sich der Jäger auf die Gänse in der Höhe, kann es sein, dass er das Wildschwein direkt von seinen Füßen verpasst.
Es gibt aber ein weiteres, noch bedeutsameres Argument, warum man die Wirkstoffanalyse einer Pflanze nicht zu hoch gewichten sollte. Dass nämlich eine Heilpflanze weit mehr ist als nur die Summe ihrer einzelnen Wirkstoffe. Weil diese zueinander in einer Wechselbeziehung stehen, die wissenschaftlich bis heute nicht annähernd erklärt werden kann. Ganz zu schweigen davon, dass auch die Symbole und Farben sowie der Geschmack zu dem Heileffekt einer Pflanze beitragen. Im Ayurveda etwa spielt der Geschmack einer Speise oder eines Krauts eine zentrale Rolle. Mit anderen Worten: Der Ingwer bildet weit mehr als die Summe bestimmter Wirkstoffe, die sich in ihm befinden. Ihre Heilkraft entspringt vielmehr der ganzen Pflanze – und der Art und Weise, wie sie zubereitet wird.
ÄTHERISCHE ÖLE
Ingwer besteht zu drei Prozent aus ätherischen Ölen. Davon kennt man mittlerweile etwa 160, doch ihre tatsächliche Anzahl liegt vermutlich deutlich höher. Der typische Ingwer-Geruch entsteht hauptsächlich durch Beta-Sesquiphellandrol und Zingiberol, das zitronenartige Aroma wird durch Neral und Geranial hervorgerufen. Die Zusammensetzung der Öle kann je nach Herkunft der Pflanzen stark variieren. So bestehen sie beim indischen Ingwer hauptsächlich aus Cucurmen, Zingiberen, Alpha-Farnesen, Beta-Sesquiphellandren und Beta-Bisabolon, sodass die Pflanze geschmacklich in die Nähe von Curcuma rückt. Der australische Ingwer hat als ätherische Öle vor allem Campen, Phellandren, Neral, Geranial und 1,8-Cineol. Neral findet man sonst in großen Mengen im Lemongras, während Geranial beispielsweise beim Lagern von Tomaten freigesetzt wird. Die Mischung aus Neral und Geranial wird unter der Bezeichnung »Citral« auch von der Kosmetikindustrie eingesetzt. Und, was nicht minder interessant ist: Ameisen nutzen Citral als sogenanntes Alarmpheromon. Das heißt, sie schütten diesen Stoff aus, wenn sie unter Stress stehen und ihre Artgenossen vor einer Gefahr warnen wollen. Daran sollte man denken, wenn man sich in der Nähe eines Ameisenhaufens befindet und plötzlich Zitronenduft in der Nase spürt!
Wissenschaftler der School of Bioresources and Technology in Bangkok fanden heraus, dass die ätherischen Ingwer-Öle antibiotisch gegen zahlreiche Bakterien wirken. Darunter befindet sich auch die Kugelbakterie Staphylococcus aureus, die an zahlreichen Erkrankungen beteiligt ist, vom Furunkel über Atemwegsinfekte bis zur Lungenentzündung. Ebenfalls auf der »Ingwer-Abschuss-Liste«: Bacillus cereus. Dieses heimtückische Stäbchenbakterium nistet sich gern in Nahrungsmitteln – vor allem aber Reisgerichten – ein und löst bei Menschen schwere Vergiftungen mit Durchfall und Erbrechen aus. Die Vorliebe der asiatischen Länder für Ingwer erhält so eine konkrete medizinische Basis: Er schützt nämlich vor Infektionen, die typisch sind für den dortigen, hauptsächlich auf Reis basierenden Speiseplan.
Ingwer hilft erwiesenermaßen gegen Brechreiz und Übelkeit (beispielsweise infolge von Schwangerschaft oder auf Auto-, Schiffsund Flugreisen). Bis vor wenigen Jahren dachte man noch, die ätherischen Öle der Pflanze spielten bei diesem Effekt keine Rolle. Doch jüngere Untersuchungen zeigen das Gegenteil. Demnach beruhigen offenbar nicht nur die nicht-flüchtigen Scharfstoffe, sondern auch die flüchtigen Öle den unruhigen Verdauungstrakt.
SCHARFSTOFFE
Vor allem die indischen Ingwersorten können ausgesprochen scharf schmecken. Verantwortlich dafür sind vorrangig zwei Stoffgruppen: die Gingerole und Shogaole.
Für die Stoffgruppe der Gingerole gilt: Je kürzer, umso schärfer. Das heißt: Je kürzer die chemischen Ketten eines Gingerols, umso schärfer ist es im Geschmack. Deswegen brennt (6)-Gingerol stärker auf der Zunge als (10)-Gingerol. Insgesamt aber ist die »Schärfkraft« der Gingerole geringer als die von Capsaicin, dem Scharfstoff des Pfeffers.
Kurzkettige Gingerole arbeiten antioxidativ, das heißt, sie schützen die Körperzellen vor aggressiven Sauerstoffverbindungen, die als Hauptverantwortliche für zahlreiche Erkrankungen gelten, vor allem aber für Krebs. Doch sie helfen auch, wenn bereits krebsartige Veränderungen im Körper vorliegen. In Laborexperimenten unterdrückten sie das Streuverhalten von Tumoren, sie hemmten also die sogenannte Metastase oder Tochtergeschwulstbildung, die als eines der größten Probleme bei Krebserkrankungen gilt. Darüber hinaus wirken sie in starkem Maße schmerz- und entzündungshemmend, und an den Wänden der Blutgefäße verhindern sie Verdickungen und Verhärtungen, sodass der Blutfluss besser funktionieren kann.
Die Shogaole verdanken ihren Namen dem japanischen Namen für Ingwer: »Shoga«. Sie entstehen eigentlich erst dann in nennenswerten Mengen, wenn der Ingwer nicht mehr im Boden steckt, sondern bereits im Lager liegt. Denn dann erst verwandeln sich seine Gingerole zu Shogaolen. Diese schmecken weitaus schärfer als ihre Herkunftssubstanzen. Was für den praktischen Gebrauch bedeutet, dass eine Ingwerknolle umso schärfer schmeckt, je länger sie gelagert wurde. Ihr hoher Schärfegrad kann also ein Hinweis darauf sein, dass sie nicht mehr ganz frisch ist. Doch diese Formel gilt insofern nicht immer, als indischer Ingwer auch im frischen Zustand sehr scharf schmeckt. Außerdem ist eine Zunahme von Shogaolen medizinisch keineswegs unerwünscht. Denn pharmakologisch sind sie in einigen Punkten den Gingerolen sogar überlegen. Sie scheinen vor allem um stärkere entzündungshemmende Eigenschaften zu verfügen und hauptverantwortlich dafür zu sein, dass Ingwer gegen Übelkeit und Brechreiz hilft.
Die Kraft des Kintoki
Wie weit man per Züchtung das Wirkstoffprofil von Ingwer verändern kann, zeigt das Beispiel des sogenanten Kintoki. Dieser Ingwer-Sorte stammt ursprünglich aus Japan und enthält neben den üblichen Gingerolen und Shogaolen als Hauptwirkstoffe zwei Diterpene: Galanolacton und einen Stoff mit dem unaussprechlichen Namen (E)-8Beta,217-Epoxylabd-12en-15,16-dial. Kintoki wird überwiegend in der Traditionellen Chinesischen Medizin verwendet und mittlerweile auch nicht mehr hauptsächlich in Japan, sondern in China angebaut. Er soll noch besser gegen Reiseübelkeit helfen als die anderen Ingwer-Sorten.
EINE WURZEL FÜR VIELE KRANKHEITEN
Ingwer gehört zu den wenigen Heilpflanzen, die nicht nur eine lange Tradition in der Volksmedizin haben, sondern mittlerweile auch oft wissenschaftlich untersucht wurden. Das macht ihn besonders vertrauenerweckend, weil es ihn nicht nur von