EbenHolz und ElfenBein | Erotischer Roman. Martin Kandau
alte Rekorder und andere Elektro-Überbleibsel, Schallplatten, veraltete Lexika, abgetragene Klamotten und Stiefel mit schiefer, verbrauchter Sohle. Es war das Gefühl, man würde die Vergangenheit des Alltags durchstöbern. Ein Hauch von Melancholie schwang mit. Doch manchmal fand man tatsächlich noch etwas, was man zwar eigentlich nicht brauchte, aber schon lange gesucht hatte.
Marion schüttelte den Kopf über die kleinen und großen Gemälde in schweren Eichenholzrahmen, bestimmt für das bürgerliche Wohnzimmer, über handgewobene Landschaften und verblichene Marien, über Babypuppen und Heidi- Bücher, Kitsch aus Glas, schreckliche Sammeltassen und wertlose Urlaubssouvenirs, das Meiste des Blickes nicht wert. Es sollte weg, aber die Leute brachten es nicht übers Herz, es einfach wegzuwerfen. Nippes auf endlosen Tapeziertischen. Wir schlenderten wie alle anderen an dem Ramsch entlang und wiesen uns gelegentlich auf eine schöne Antiquität hin oder auf eine Kuriosität.
Einmal stieß Marion mich mit dem Ellenbogen an. »Schau mal, eine alte mechanische Schreibmaschine.« Ich sah das eiserne schwarze Ding mit den alten Buchstaben, die wie einzelne, kleine Werkzeuge aufragten.
»Okay, als Standessymbol gefällt sie mir«, erwiderte ich, »aber verglichen mit der digitalen Textverarbeitung wirkt sie wie eine Erfindung des Marquis de Sade!«
Marion lachte. Wir gingen weiter. Ich sah die Suchenden, die mit lupenhaftem Blick einen Gegenstand in Augenschein nahmen, Sammler in all ihrer Ernsthaftigkeit, ihrer Gewissenhaftigkeit, ihrer Konzentration, auf der Jagd nach dem einen, besonderen Gegenstand. Ich wusste nicht zu sagen, ob Sammler nun glückliche Menschen waren oder nicht. Wahrscheinlich eine rein philosophische Frage. Ich sammelte nichts. Oder höchstens etwas Romantisches: Ich sammelte die Eindrücke von Marions Schönheit …
Einige Tische weiter entdeckte ich aber einen Stand, der mein ganzes Interesse fand. Dort bot ein Schwarzer wunderbare afrikanische Skulpturen an. Ich besaß schon einige und Masken. Eine hatte ich auch auf dem Flohmarkt gefunden, sie zu Hause vom Schmutz befreit, einem seltsam verhärteten, wie verholzten Sand, und darunter entdeckt, dass sie mit Gold und einer alten englischen Münze beschlagen war. Sie war rätselhaft. Ein Spezialist konnte sie nicht erklären. Er meinte, sie sei nicht viel wert, wollte sie aber gern haben, doch ich behielt sie. Wann immer ich sie betrachtete, zog mich ihre Rätselhaftigkeit in ihren Bann.
Nun ergriff mich dieses Gefühl wieder. Auf dem Tisch lagen verschiedene Köpfe aus Ebenholz. Ich mochte das Schlichte, das Starke und Stolze im Ausdruck dieser afrikanischen Figuren. Vorsichtig nahm ich eine besonders reizvolle Skulptur mit ihrer glatten, wunderbar geschaffenen Oberfläche in meine Hände und wechselte mit dem Schwarzen wortlos ein Lächeln. Wir waren uns über den Wert des schönen und schweren Gegenstandes einig.
Von der Bude mit Pommes und Bratwürstchen gleich nebenan kommend, der einzig gut besuchte Stand auf dem Flohmarkt, drängte mich ein Kerl zur Seite. Ein speckiger, verschwitzter Typ, der gleich rücksichtslos mit fettigen Fingern nach einer Figur grapschte. Wahrscheinlich hatte er in der Schrankwand seiner guten Stube schon Dinge aus aller Welt angesammelt – vermeintlicher Ausdruck globalen Horizontes.
Er stemmte einen der Köpfe wie einen Bierkrug in die Luft. »Was soll das Ding kosten?«, fragte er im hiesigen Dialekt, der mit vier Füßen auf dem Boden der Realität stand.
»Fünfzig Euro«, antwortete der Händler.
Der feiste Typ lachte abfällig auf. »Ich geb dir fünf …«
Nun lachte, viel vornehmer, der Schwarze.
»Nun komm schon, du schwarzer Zigeuner«, machte der Typ ihn in plumper Vertraulichkeit an. »Ich geb dir fünf Euro für das Ding. Dann bin ich zufrieden und geh nach Haus. Und du bist zufrieden und gehst nach Haus …«
Seine Art zu reden, widerte mich an. Ich sah, wie er Geld herauszog und es dem Schwarzen aufdrängte.
»Hören Sie, diese Figur ist nicht aus billigem Material gemacht. Das ist echtes Ebenholz!«, empörte der sich. Er wog den Kopf in seiner Hand, um das ganze Gewicht der Figur und seinen Wert zu zeigen.
Aber der Typ verstand nicht und wiegelte ab. »Fünf Euro. Das ist alles!«
»Fünfzig Euro. Weil er es wert ist«, beharrte der Schwarze endgültig.
»Fünfzig Euro. Weil er es wert ist«, sagte ich ebenso endgültig, trat zu dem Händler und gab ihm das Geld.
Der Prolet sah mich mit einer dramatischen Körperdrehung an. Ich sah, wie sich auf seiner fettigen Stirn eine Schweißschicht bildete. »Na? Ist das vielleicht die feine Englische?«, fragte er auf seine ordinäre Weise.
»Genau das«, erwiderte ich, »die feine Englische. Vielleicht ist es endlich mal Zeit für die feine Englische!«
Ich starrte ihn an. Es war normalerweise nicht meine Art, aber jetzt war ich bereit, das zu vergessen, und hielt die Hände zu Fäusten geballt. Der Typ drehte sich langsam um und ging. Ich sah ihm gereizt hinterher, bis er in der Menge verschwunden war. Dann drehte ich mich zu dem Mann an dem Stand um und sagte aufgebracht: »Diese Proleten! Wenn es nur wenige wären. Aber irgendwie ist diese ganze Gegend voll davon. Solche Typen, die in ihrer derben Leutseligkeit als gute Menschen gelten. Diese joviale Art, die doch nur dazu dient, dass diese Normalos sich Vorteile verschaffen!«
»Schon gut«, sagte der Mann zu mir, »nur nicht aufregen. Ist die Sache nicht wert. Ich hätte kein Geschäft mit ihm gemacht …« Er lächelte und die Sache war vergessen.
Dieser Mensch vor uns hatte etwas zutiefst Angenehmes an sich. Etwas Ausgeglichenes, Freundliches, Sanftes, Beruhigendes. In ihm lächelte die Seele Afrikas.
Er zuckte mit den Schultern. »Die Leute, die hierher auf den Flohmarkt kommen, meinen leider immer, sie müssten alles für ein oder zwei oder fünf Euro kriegen. Dabei haben manche Sachen einen ganz anderen Wert«, beklagte er.
»Und den wissen sie leider nicht zu schätzen«, sagte ich.
»Nein«, stimmte er entmutigt zu, »sie wissen es nicht … Ich muss sagen, manchmal hasse ich Flohmärkte«, hängte er nachdenklich an.
»Nun, es ist vielleicht der falsche Platz für Ihre Sachen. Was machen Sie denn sonst so?«, wollte ich wissen.
»Ich habe hier in der Stadt einen Afro-Shop – einen kleinen Laden mit Waren aus Afrika.«
Der Afrikaner war mir sympathisch. Groß und breitschultrig stand er da, in sanfter Haltung mit einem offenen Lächeln im schönen Gesicht.
Er reichte mir die Hand. »Ich bin Moe. Das schreibt sich wie Joe …« »Martin«, sagte ich und fasste seine Hand. »Und das ist meine Frau. Sie heißt Marion.«
Die beiden begrüßten sich. Lachten sich an. Und berührten sich mit einem Händedruck. Dann wickelte Moe mit diesen großen, sanften Händen mit Liebe das Ebenholz in seidig weiches Papier ein und reichte es uns mit einem Lächeln, in dem so viel Wärme, Vertrauen und Offenheit lagen, dass es etwas in uns berührte.
4
In der folgenden Woche war ich in der Innenstadt unterwegs, um nach Inspiration zu für mein neues Buch zu suchen. Es sollte etwas Poetisches sein. Es hieß »Liebe deinen Nächsten«, und ich hatte ein paar Geschichten im Sinn, bei denen es um Nachbarn ging, die sich ineinander verliebten. Um mich für solche Geschichten inspirieren zu lassen, streifte ich gern durch jene Straßen, in denen die hohen Mietshäuser der Jahrhundertwende standen, diese hundertjährigen Gebäude, die voller Fingerabdrücke des Lebens waren. Ich schlenderte durch die Hinterhöfe, den Sinn offen für neue Eindrücke und Stimmungen. Ich ging ohne Ziel und ohne den üblichen Rahmen von Zeit. Es war es dieses angenehme Gefühl des Sichtreibenlassens, das sich in mir ausbreitete. Ich liebte die Offenheit, die mit diesem Gefühl Hand in Hand ging, und auch diesen leichten Hauch von Melancholie. Man besah sich die Dinge mit einer besonderen Tiefe.
Vor einem kleinen Schaufenster blieb ich selbstvergessen stehen. Es fiel mir eine wunderbar geschmeidige, hölzerne Figur auf – eine Antilope. Als ich aufsah, erkannte ich zu meiner Überraschung Moe, der in dem Laden stand und mich hereinwinkte.
»Hier