Farben der Lust | Erotische Geschichten. Aimée Rossignol
dass Henris Mutter gern malte und das Atelier nutzte. Wie ich aus dem Internet weiß, sind seine Eltern schon lange tot. Sie starben bei einem Autounfall vor zehn Jahren in Paris.
Dieser Raum im obersten Stock des Hauses, mit Fenstern zu allen Seiten, ist perfekt für mich. Zwei Staffeleien, genug Regale, um all meine Utensilien auszubreiten, einige Hocker und Stühle und eine sehr bequeme Chaiselongue, auf der ich sitze und warte. Alles ist ausgepackt, die Farben und Leinwände verstaut, mein Skizzenblock bereit und mein weicher Bleistift gespitzt.
Im Gegensatz zu gestern habe ich mir heute über meine Kleidung keine Gedanken gemacht. Ich werde malen und deshalb reicht eine kurze Jeansshorts und ein enges, weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt.
Aber während ich hier sitze, überkommt mich der Gedanke, dass meine Kleidungswahl vielleicht unpassend sein könnte. Schließlich bin ich nicht allein in meinem Atelier zu Hause.
Erstaunlicherweise kann ich Henri spüren, bevor er die Tür öffnet, als würde seine Präsenz Mauern durchdringen und mich erreichen. Und da ist sie wieder: diese neue Erregung.
Ich atme tief durch. Diesmal ist Henri deutlich formeller gekleidet. Ein enger dunkelgrauer Anzug umschließt seinen Körper fast wie eine zweite Haut. Jeden Muskel kann ich unter dem Stoff erahnen. Über dem weißen Hemdkragen erhebt sich sein gebräuntes Gesicht. Ein leichtes Lächeln liegt auf seinen Zügen.
»Guten Morgen. Gut geschlafen?«
»Ja, danke«, sage ich und weiß, dass meine Augenringe mich Lügen strafen. Um davon abzulenken, füge ich noch schnell hinzu: »Sie sind spät dran.«
Meine Bemerkung amüsiert ihn, das kann ich sehen. Sein Lächeln wird breiter. »Ja, es tut mir leid. Auch hier im Sommerurlaub führe ich ein Unternehmen. Wollen wir beginnen, damit ich nicht noch mehr Ihrer kostbaren Zeit verschwende?«
Ungeniert wandert sein Blick über meinen Körper.
»Im Gegensatz zu mir haben Sie eine sehr legere Arbeitskleidung.«
Und schon wieder erröte ich. Durch seine spöttische Bemerkung komme ich mir vor wie ein Schulmädchen. »Ich kann mich auch umziehen, wenn es Ihnen nicht passt!«, gebe ich hastig und eine Spur zu laut zurück.
»Nein, nein.« Er spricht langsam und etwas Anzügliches liegt in seinem Tonfall. »Nicht meinetwegen. Soll ich eigentlich stehen oder sitzen oder liegen?«
Am liebsten hätte ich gerade, dass er einfach nur verschwindet. Henri verwirrt mich so, dass ich mir wünsche, ich hätte den Auftrag nicht angenommen. Ich wünsche mir die Klarheit meiner Gefühle zurück und nicht dieses permanente Beben, das ich in seiner Gegenwart spüre.
Ich schlucke. »Bitte setzten Sie sich doch für die ersten Skizzen auf den Hocker am Fenster. Ich muss mich mit Ihren Gesichtszügen vertraut machen, Ihren Ausdruck aufsaugen.«
Henri hebt amüsiert eine Augenbraue, sagt aber glücklicherweise nichts über meine Wortwahl. Vielleicht sollte ich gar nichts mehr sagen. Heute schliddere ich nur von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen. Der Schlafmangel tut mir nicht gut.
Eine Weile lang arbeite ich schweigend, doch die Striche auf dem Papier fügen sich nicht zufriedenstellend zusammen. Ich kann mich so nicht konzentrieren. Mein Körper ist zu eng für mich geworden. Kein Wunder, Henri sieht mich auch die ganze Zeit unverwandt an.
»Können Sie den Kopf etwas drehen?«, bitte ich ihn schließlich leise.
»So?«, fragt er.
»Nach rechts.«
Zu viel Licht fällt jetzt auf seine scharfen Wangenknochen.
»Nein«, ich schüttele den Kopf, lege Bleistift und Block beiseite. Meine Hand zittert ein wenig, als ich unter sein Kinn greife und sanft den Kopf nach rechts führe. Wir sind uns einen Augenblick so nahe, dass ich seinen warmen Atem auf meiner Wange fühlen kann. Ich bin mir sicher, dass er meinen Herzschlag hört.
Erst als ich wieder auf meinem Hocker sitze, atme ich aus.
Henris Blick ruht jetzt auf dem Meer. Es ist schwer, diesen Stolz, der darin liegt, einzufangen. Und da ist noch etwas anderes, das ich nicht greifen kann. Noch zwei, drei verwischte Linien auf dem Papier, dann wird es mir klar. Es ist etwas Dunkles, Trauriges darin.
Langsam werde ich ruhiger. Es hilft, dass er mich nicht mehr ansieht, mit seinen Augen nicht die Wölbung meiner Brüste entlangfährt.
»Das Portrait ist für Ihren Firmensitz in Paris?«, frage ich schließlich, um die Stille zu durchbrechen. »Halt! So bleiben!«, herrsche ich ihn an, als er den Kopf bewegt.
Stur sieht er wieder auf das Meer.
»Ja, ich bin der dritte Marchand, der das Champagner-Imperium führt. Dort hängen schon Gemälde von meinem Großvater und von meinem Vater.« Er macht eine kurze Pause. »Das Portrait ist übrigens nicht meine Idee. Der Aufsichtsrat besteht darauf. Firmentradition.«
Jetzt verzieht er den Mund zu einem vergnügten Lächeln. »Deshalb habe ich mich an Ihren Galeristen gewandt. Mir gefallen Ihre Bilder. Sie bilden die Realität ab und verfremden sie gleichzeitig mit abstrakten Linien.«
Langsam beginne ich zu begreifen. Ich fühle mich geschmeichelt. »Ah, und Sie wollen den Aufsichtsrat mit moderner Kunst ein wenig ärgern?«
»Genau!« Jetzt dreht er doch den Kopf und sieht mir tief in die Augen. »Aber ich hatte nicht geahnt, dass die Künstlerin hinter den Bildern selbst so außergewöhnlich ist.«
Sein Kompliment kommt so plötzlich, dass mir der Bleistift vor Schreck aus der Hand rutscht. Ich beuge mich vor, greife danach und als ich mich aufrichte, steht Henri direkt vor mir. So dicht, dass ich seine Haut riechen kann. Herb und holzig wie gestern. Seine Wärme umfängt mich, als würde mich sein Körper umschließen. Aber er steht einfach nur einen Moment vor mir und genießt meine höchste Verwirrung. Ob er weiß, dass ich feucht bin? Ob er das ahnen kann, riechen kann? So etwas ist mir mit einem Mann noch nie passiert. Ich presse die Oberschenkel fest zusammen, habe ich doch Angst, dieser Saft könnte der kurzen Shorts entfliehen und meine Beine hinabrinnen.
»Wir sehen uns später, beim Abendessen. Ich habe noch Termine.«
Kapitel 7
Eigentlich will mich Madame Bertrand mit meinem Lunch wieder auf der Terrasse platzieren, aber ich bestehe darauf, mit ihr zusammen in der Küche zu essen. Nachdem sie sich erst sträubt, habe ich aber den Eindruck, dass sie für meine Gesellschaft dankbar ist.
»Sind Sie eigentlich die einzige Angestellte hier?«, frage ich und beiße von einem köstlichen Käsebaguette ab. Tatsächlich habe ich außer Madame Bertrand noch nie jemanden im Haus gesehen.
»Aber nein!« Sie streicht sich über die blütenreine weiße Schürze, bevor sie sich zu mir an den Tisch setzt. »Wir haben noch vier Hausmädchen, die sich um die Wäsche kümmern und das Haus sauberhalten, einen Koch und mehrere Gärtner, die einmal die Woche kommen. Oh, und Monsieur Marchand beschäftigt noch einen Privatsekretär.«
Ich würde gern wissen, ob es eine besondere Frau im Leben von Henri gab oder gibt, aber ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll und frage Madame Bertrand stattdessen lieber, warum ihr Deutsch keinen französischen Akzent hat.
»Ich bin Deutsche!«, antwortet sie und lacht mich an. »Madame Marchand, Monsieur Marchands Mutter, war eine deutsche Gräfin. Ich habe schon als Haushälterin für ihre Familie gearbeitet. Sie hat mich dann mit nach Frankreich genommen, als sie geheiratet hat und ich habe hier auch meine Liebe gefunden. Mein Mann ist einer der Gärtner.«
Jetzt habe ich einen Anknüpfungspunkt.
»Monsieur Marchand hat seine Liebe wohl noch nicht gefunden«, sage ich leichthin und trinke einen Schluck Wasser.
»Er hatte sie gefunden, aber ...« Madame Bertrand unterbricht sich zu meiner Enttäuschung und steht auf.
»Aber?«, hake ich nach.
»Ach ...«, sagt sie, während sie ihr Geschirr in die