Die Forsyte Saga. John Galsworthy

Die Forsyte Saga - John Galsworthy


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ging, ob es etwas Neues von Nicholas gab, ob die liebe June es geschafft hatte, Jolyon von einer früheren Heirat zu überzeugen, jetzt, wo Mr Bosinney ein Haus für Soames baute, ob die Frau des jungen Roger wirklich schwanger war, wie die Operation von Archie verlaufen war, und was Swithin wegen des leeren Hauses in der Wigmore Street unternommen hatte, wo der Mieter sein gesamtes Geld verloren und sich ihm gegenüber so mies verhalten hatte. Aber am allerwichtigsten war ja, wie es bei Soames aussah. Wollte Irene – wollte sie noch immer getrennte Zimmer? Und jeden Morgen sagte sie zu Smither: »Heute Nachmittag komme ich nach unten, Smither, so gegen zwei Uhr. Sie werden mich stützen müssen nach all diesen Tagen im Bett!«

      Nachdem sie es Tante Ann erzählt hatte, hatte Tante Juley streng vertraulich mit Nicholas’ Frau darüber gesprochen. Die wiederum hatte Winifred gefragt, ob das wahr sei, denn natürlich war sie davon ausgegangen, dass diese als Soames’ Schwester alles darüber wissen würde. Über Winifred war es dann auch schnell James zu Ohren gekommen. Er war recht aufgeregt deswegen.

      Nie sage man ihm etwas, meinte er, und anstatt direkt zu Soames selbst zu gehen, dessen schweigsame Verschlossenheit er fürch­tete, nahm er seinen Regenschirm und ging zu Timothy.

      Er traf die Tanten Juley und Hester an (Hester hatte man es gesagt – bei ihr waren Geheimnisse sicher, sie fand es ermüdend, zu sprechen), und sie waren bereit, genauer gesagt, ganz versessen darauf, über die Neuigkeit zu sprechen. Es sei sehr nett vom lieben Soames, so ihre Meinung, Mr Bosinney zu beauftragen, aber auch sehr riskant. Wie hatte ihn George genannt? »Der Pirat«, wie drollig! Aber George sei ja immer so drollig! Aber es würde alles in der Familie bleiben ‒ sie müssten Mr Bosinney jetzt wohl tatsächlich als Teil der Familie betrachten, auch wenn es ihnen komisch vorkäme.

      Da unterbrach sie James: »Keiner weiß irgendetwas über ihn. Ich verstehe nicht, was Soames mit einem so jungen Kerl will. Es würde mich nicht wundern, wenn Irene da die Hände im Spiel gehabt hat. Ich rede mal mit …«

      »Soames«, fiel ihm Tante Juley ins Wort, »hat Mr Bosinney gesagt, dass niemand davon erfahren solle. Er würde nicht wollen, dass darüber geredet wird, da bin ich mir sicher. Und wenn Timothy das wüsste, würde er sich sehr aufregen. Ich …«

      James legte die Hand hinters Ohr: »Wie?«, sagte er. »Ich werde wirklich taub. Ich glaube, ich verstehe die Leute nicht mehr. Emily hat Probleme mit ihrer Zehe. Wir werden wohl erst Ende des ­Monats nach Wales aufbrechen können. Irgendwas ist immer!« Und nachdem er die Information erhalten hatte, wegen der er gekommen war, nahm er seinen Hut und ging.

      Es war ein schöner Nachmittag und er ging durch den Park zu Soames, wo er zu Abend essen wollte, da Emily wegen ihrer Zehe das Bett nicht verlassen konnte und Rachel und Cicely für einen Besuch aufs Land gefahren waren. Er ging schräg von der Bayswater-Seite der Rotten Row zum Knightsbridge Gate, durch eine Wiese mit kurzem, verbranntem Gras, gesprenkelt mit schwarzen Schafen und übersät mit sitzenden Pärchen und seltsamen verwahrlosten Gestalten, die bäuchlings und mit dem Gesicht nach unten dalagen wie die Leichen auf einem Feld, das von einer Schlacht überrollt worden war.

      Er ging zügigen Schrittes, den Kopf nach unten gebeugt, ohne nach links oder rechts zu schauen. Das Bild dieses Parks, des Zentrums seines eigenen Schlachtfeldes, wo er schon sein ganzes Leben lang kämpfte, rief keinerlei Gedanken bei ihm hervor, ließ ihn keine Betrachtungen anstellen. All diese Leichen, die das Gewühl und das Chaos des Kampfes hier ausgespuckt hatten, all diese aneinandergeschmiegten Liebespaare, die der Monotonie ihrer Tretmühlen für eine Stunde müßiger Glückseligkeit entkommen waren, erregten seine Fantasie nicht. Dieser Art der Vorstellungskraft war er entwachsen. Seine Sinne waren wie die Sinne eines Schafes auf die Wiese gerichtet, auf der er graste.

      Einer seiner Mieter war in letzter Zeit immer wieder mit der Miete im Rückstand gewesen, und nun stellte sich ihm die sehr ernste Frage, ob er ihn nicht besser umgehend rauswerfen sollte, womit er aber Risiko laufen würde, vor Weihnachten nicht neuvermieten zu können. Swithin war erst vor Kurzem schlimm über den Tisch gezogen worden, aber er hatte es auch nicht anders verdient gehabt - er hatte zu lange gewartet.

      Darüber dachte er nach, als er zügig dahinschritt, den Regenschirm in der Hand, stets darauf bedacht, ihn am Holz festzuhalten, genau unterhalb der Griffbeuge, um nicht mit der Spitze den Boden zu berühren und nicht die Seide in der Mitte abzunutzen. Seine schmalen, hohen Schultern waren gebeugt, seine langen Beine bewegten sich mit schneller mechanischer Präzision. Dieser Spaziergang durch den Park, in dem die Sonne mit heller Flamme so viel Müßiggang beschien – so viele lebendige Beweise des gnadenlosen Kampfes um Besitz, der auch außerhalb seiner Arena tobte –, war wie der Flug eines Landvogels über das Meer.

      Er spürte eine Berührung am Arm, als er den Park am Albert Gate verließ.

      Es war Soames, der auf seinem Heimweg von der Kanzlei von der Schattenseite der Piccadilly herübergekommen und plötzlich ­neben ihm aufgetaucht war.

      »Deine Mutter liegt im Bett«, sagte James. »Ich bin gerade auf dem Weg zu euch, aber ich will euch nicht stören.«

      Von außen betrachtet, war die Beziehung zwischen James und seinem Sohn von der typischen Forsyte’schen Emotionslosigkeit gekennzeichnet, doch die beiden hingen durchaus aneinander. Mag sein, dass sie einander als Investition betrachteten, auf alle Fälle waren sie jedoch um des anderen Wohlergehen besorgt und freuten sich über dessen Gesellschaft. Sie hatten niemals auch nur zwei Worte über die eher persönlichen Angelegenheiten des Lebens gewechselt oder in Gegenwart des anderen erkennen lassen, dass es da irgendwelche tiefen Gefühle gäbe.

      Sie verband etwas, das sich nicht mit Worten erklären ließ, etwas, das tief verborgen im innersten Kern von Nationen und Familien liegt – denn Blut, so heißt es, ist dicker als Wasser, und sie waren beide nicht kaltblütig. Um genau zu sein, war für James die Liebe zu seinen Kindern nun sogar das, was ihn im Leben am meisten antrieb. Menschen zu haben, die ein Teil von ihm selbst waren, denen er sein erspartes Geld vererben konnte, das war überhaupt der zugrunde liegende Zweck seines Sparens. Und was blieb ihm denn auch schon mit fünfundsiebzig Jahren, das ihm Freude bereitete, als zu sparen? Sein Hauptlebensinhalt lag genau darin – Geld für seine Kinder zu sparen.

      Wenn das Hauptmerkmal von Vernunft, wie es immer heißt, Selbsterhaltung ist (wenngleich Timothy zweifelsohne zu weit ging), so gab es, trotz seiner ständigen Unkerei, keinen vernünftigeren Mann als James Forsyte in ganz London, der Stadt, von der so viel in seinem Besitz war und die er als das Zentrum seiner Möglichkeiten mit solch stummer Liebe liebte. Er besaß jene großartige instinktive Vernunft der Mittelschicht. In ihm – mehr als in Jolyon mit seiner herrischen Bestimmtheit und seinen weichen und philosophischen Momenten, mehr als in Swithin mit seiner schlimmen Verschrobenheit, mehr als in Nicholas, dem mit Fähigkeiten gebeutelten, und auch mehr als in Roger, dem Opfer seines Unternehmergeistes – schlug das wahre Herz des Kompromisses. Von all den Brüdern war er in Bezug auf Geist und Persönlichkeit am wenigsten bemerkenswert und damit hatte er die besseren Chancen auf ein ewiges Leben.

      Für James war »die Familie«, mehr als für alle anderen, lieb und teuer. Seine Einstellung zum Leben hatte immer etwas Primitives und Heimeliges gehabt. Er liebte den heimischen Herd der Familie, er liebte das Gerede und er liebte das Gemecker. All seine Entscheidungen waren aus dem Rahm geformt, den er von den Ansichten der Familie abschöpfte und damit von den Ansichten tausend anderer Familien ähnlicher Art. Jahr für Jahr, Woche für Woche ging er zu Timothy, um im vorderen Empfangszimmer seines Bruders zu sitzen – die Beine verschlungen, sein glattrasierter Mund von den langen weißen Koteletten umrahmt – und zuzusehen, wie der Familientopf köchelte und der Rahm nach oben stieg. Und wenn er dann wieder fortging, fühlte er sich stets behütet, erfrischt und beruhigt, und er ging mit einem undefinierbaren Gefühl des Trostes.

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