Kinderärztin Dr. Martens 67 – Arztroman. Britta Frey
wollte er wissen.
»Die sind gerade nach Hause gegangen«, erwiderte Ute.
»Schade. Ich hätte gern noch ein wenig mit ihnen gespielt«, erklärte der Arzt.
Ute stellte die Schüssel, in der noch zwei Wiener Würstchen lagen, auf den Tisch zurück. »Dann hättest du nicht so lange wegbleiben dürfen, Klaus«, warf sie ihrem Mann vor.
»Aber Ute, ich hatte in der Klinik zu tun«, wehrte sich Dr. Mettner. Er war ganz erschrocken über den Ausbruch seiner Frau. Bisher hatte sie doch immer Verständnis für ihn und seinen Beruf gehabt.
Utes Nasenflügel vibrierten. »Fällt dir eigentlich gar nicht auf, daß du für deine Familie kaum noch Zeit hast?« fragte sie mit nur mühsam unterdrückter Erregung.
Bevor Dr. Mettner eine Antwort geben konnte, ertönte vom ersten Stockwerk des Hauses eine Kinderstimme. »Papi ist wieder da. Inka, Papi ist da!«
Der Arzt hob den Kopf. Er sah, wie sich seine Tochter Ramona zum Fenster hinausneigte. Ihre hellblonden Locken waren verwuschelt, ihre runden Wangen glühten und ihre Augen strahlten.
Gleich darauf erschien auch Inka. »Papi, wo warst du denn nur so lange? Wir haben so auf dich gewartet«, erklärte sie. Dabei beugte sie sich so weit vor, daß der schmale Reif, mit dem sie ihr helles Haar zurückgehalten hatte, hinunterfiel.
Dr. Mettner fing ihn auf. »Lehnt euch nicht zu weit aus dem Fenster, Inka und Ramona. Ich komme zu euch«, rief er seinen Kindern zu.
Zu seiner Frau gewandt meinte er: »Laß uns später in Ruhe über alles sprechen, Ute.« Er lächelte, aber Ute gab das Lächeln nicht zurück. Ihr schönes, klares Gesicht blieb verschlossen.
Dr. Mettner seufzte innerlich tief auf und lief dann die Treppe zum ersten Stockwerk seines Hauses hinauf, wo das Kinderzimmer, das Schlafzimmer der Eltern und ein Raum lagen, der für Gäste vorgesehen war.
Bevor er den obersten Treppenabsatz erreichte, kam Inka angestürmt und fiel ihm um den Hals. »Endlich bist du da, Papi«, sagte sie noch einmal.
Dr. Mettner hob das Geburtstagskind auf seine Arme und trug es ins Kinderzimmer. Dort zog seine Tochter Ramona ihrer Puppe gerade ein frisches Jäckchen an. Seine Schwiegermutter war dabei, die Betten der Kinder aufzuschütteln.
Dr. Mettner stellte Inka auf den Boden. »Guten Tag, Mutter«, sagte er zu seiner Schwiegermutter. Ramona strich er über das Haar. »Hallo, kleine Maus«, grüßte er sie.
»Hallo, Papi«, antwortete Ramona.
Dr. Mettner setzte sich auf einen der beiden Korbstühle, die neben dem Fenster standen. »Seid ihr denn zufrieden mit eurer Geburtstagsfeier?« fragte er seine Kinder.
»Es war ganz toll, Papi. Ich war nur ein bißchen traurig, weil du in die Klinik gehen mußtest«, gestand Inka, während sie sich ihrem Vater auf den Schoß setzte und einen Arm um seinen Hals legte.
»Es tut mir leid, Inka-Liebes«, erwiderte der Arzt.
Fünf Minuten später verwandelten Inka und Ramona das Badezimmer in eine Art Schwimmbad. Ihr Vater versuchte, sie abzuduschen. Sobald sie jedoch der Strahl der Dusche traf, sprangen sie laut juchzend und kreischend aus der Badewanne und hüpften im Badezimmer hin und her.
Schließlich erschien Ute. »Was ist denn hier los?« fragte sie. Entsetzt betrachtete sie die Wasserpfützen auf dem Kachelfußboden. »Papi ist unser Bademeister, und wir wollen uns nicht von ihm abduschen lassen«, erklärte Ramona und hüpfte wieder aus der Dusche.
»Ramona, geh bitte in die Wanne zurück. Und beeilt euch ein bißchen, damit ihr ins Bett kommt«, bestimmte Ute.
Danach ließen sich Inka und Ramona von ihrem Vater nicht nur brav abduschen. Sie standen auch ganz ruhig, als ihr Vater sie mit einem großen Badetuch abruffelte und danach erst Inka und dann Ramona ins Kinderzimmer trug.
Während sie sich dort ihre Schlafanzüge anzogen, wischte der Arzt schnell den Boden des Badezimmers auf. Als er zu seinen Töchtern kam, lagen Inka und Ramona mit rosigen Gesichtern im Bett und sahen ihm erwartungsvoll entgegen.
»Hier ist mein neues Buch, das Omi und Opi mir zum Geburtstag geschenkt haben. Liest du uns daraus vor?« bat Inka und reichte ihrem Vater ein dickes Buch.
Dr. Mettner nahm es. »Ah, Grimms Märchen«, sagte er.
»Am liebsten möchten Inka und ich das Märchen von Rapunzel hören«, erklärte Ramona.
»Also schön, Rapunzel. Seite 175«, erwiderte Dr. Mettner und begann zu lesen. »Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die wünschten sich schon lange vergeblich ein Kind.«
*
Nachdem sie auf den weißlackierten Korbsesseln Platz genommen hatten, wollte sich Utes Vater eine Pfeife anzünden. »Aber Fritz, erst wollen wir doch auf das Wohl unserer Kinder trinken«, mahnte seine Frau.
»Entschuldigung, Da hast du ganz recht, Marga«, erwiderte Utes Vater und legte seine Pfeife beiseite.
Dr. Mettner goß den Wein ein und reichte jedem ein Glas. »Auf die Kinder, und daß wir noch viele glückliche Geburtstage feiern können«, meinte er.
»Das wünsche ich euch auch von ganzem Herzen«, stimmte seine Schwiegermutter zu.
Nachdem sie getrunken hatten, setzte Utes Vater seine Pfeife in Brand. Genüßlich sog er daran und blies dann den Rauch von sich. »Ich wollte dir, liebe Ute, und dir, Klaus, einen Vorschlag machen«, begann er dann.
»Was denn, Papa?« fragte Ute sofort.
»Wie ihr wißt, haben Mutter und ich vor, zwei bis drei Wochen an der Ostsee zu verbringen. Das Hotel, in dem wir uns eingemietet haben, hat noch Zimmer frei. Hättet ihr nicht Lust, ein paar Tage oder auch länger mit uns Urlaub zu machen? Mutter und ich würden euch gern einladen«, erklärte er.
»Papa, das wäre ganz wunderbar«, erwiderte Ute spontan. »Weil Klaus und ich über Ostern mit den Kindern auf Sylt waren, hatte wir eigentlich vor, die Sommerferien zu Hause in der Heide zu verbringen und Ausflüge zu machen. Aber warum sollten wir nicht für ein paar Tage zu euch an die Ostsee kommen? Wir könnten dort zusammen so viele schöne Dinge unternehmen. Außerdem würde die Luftveränderung den Kindern bestimmt guttun.«
»Was meinst du dazu, Klaus?« erkundigte sich Utes Vater bei seinem Schwiegersohn.
»Ich würde gern mitkommen, Vater. Zur Zeit ist mir das aber leider nicht möglich. Wir haben im Augenblick in der Klinik so viel zu tun, daß ich unmöglich verreisen kann. Ich bin aber dafür, daß Ute und die Kinder euch besuchen, nicht nur wegen der Luftveränderung. Wir haben es hier zwar wunderschön in der Heide, aber es tut immer gut, wenn man mal wieder etwas Neues kennenlernt«, gab der Arzt zur Antwort.
Utes Nasenflügel vibrierten. »Du willst also nicht mitkommen?« fragte sie.
»Ich kann nicht, Ute«, bekräftigte Dr. Mettner.
Seine Frau holte tief Luft. Ihr war anzumerken, daß es ihr sehr schwer fiel, äußerlich ruhig und gelassen zu bleiben. »Du kannst also nicht«, meinte sie.
»Nein, ich kann die Klinik zur Zeit nicht verlassen, Ute«, bestätigte ihr Mann.
Ute schluckte. »Es ist schon bald so, daß du mehr mit der Klinik als mit mir verheiratet bist«, stieß sie hervor.
Bevor ihr Mann eine Antwort geben konnte, mischte sich ihr Vater ein. »Entschuldige bitte, daß ich dazwischenfunke, Ute«, sagte er. »Aber ich finde, daß du deinem Mann Unrecht tust.«
Bevor er noch etwas hinzufügen konnte, rief Ute: »Unrecht? Ich tue Klaus Unrecht?«
Ihr Vater legte ihr eine Hand auf den Arm. »Ute, bitte bleibe ruhig«, bat er.
»Papa, du weißt ja gar nicht, wie es bei uns zugeht«, brach es aus Ute hervor. »In den letzten Wochen habe ich meinen Mann kaum noch zu Gesicht bekommen. Wir können uns gar nichts vornehmen, weil Klaus doch nie Zeit hat. Heute hatte er Inka zum Beispiel