Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk. Jaroslav Hašek

Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk - Jaroslav Hašek


Скачать книгу
sein?«

      »Die Uhr ist nicht mein Herr«, entgegnete der melancholische Mann.

      »Hier is es nicht so übel«, fuhr Schwejk im Gespräch fort, »die Pritsche ist aus gehobeltem Holz.«

      Der ernste Mann antwortete nicht, stand auf und fing an, rasch in dem kleinen Raum zwischen Tür und Pritsche auf und ab zu gehen, als hätte er Eile, etwas zu retten.

      Schwejk betrachtete inzwischen mit Interesse die auf die Wände gekritzelten Inschriften. Da gab es eine Inschrift, in der ein unbekannter Arrestant einen Kampf mit der Polizei auf Leben und Tod gelobte. Der Text lautete: »Ihr werdet es euch auslöffeln.« Ein anderer Arrestant hatte geschrieben: »Steigt mir am Buckel, Hornochsen.« Ein anderer wiederum stellte einfach die Tatsache fest: »Ich bin hier am 5. Juni 1913 gesessen, und man ist anständig mit mir verfahren. Josef Maretschek, Kaufmann aus Wrschowitz.« Ferner gab es hier eine Inschrift, die durch ihre Tiefe erschütterte: »Gnade, großer Gott –« und darunter: »Leckts mich am A.« Der Buchstabe »A« war jedoch durchgestrichen, und an der Seite stand mit großen Buchstaben »Rockschoß«. Daneben hatte irgendeine poetische Seele Verse geschrieben: »Ich sitz traurig an dem Bache, am Himmel zeigt sich schon der Mond, und blicke auf die dunklen Berge, wo mein teures Schätzchen wohnt.«

      Der Mann, der zwischen Tür und Pritsche auf und ab lief, als wollte er den Marathonlauf gewinnen, blieb stehen, setzte sich abgehetzt wieder auf seinen alten Platz, legte das Haupt in die Hände und brüllte plötzlich auf: »Laßts mich heraus!

      Nein, sie lassen mich nicht frei«, redete er vor sich hin, »sie lassen mich nicht und nicht frei. Ich bin schon seit sechs Uhr früh hier.«

      Er bekam einen Anfall von Mitteilsamkeit, richtete sich auf und fragte Schwejk: »Haben Sie nicht zufällig einen Riemen bei sich, damit ich Schluß mache?«

      »Damit kann ich Ihnen herzlich gern dienen«, antwortete Schwejk, während er seinen Riemen abknöpfte, »ich hab noch nie gesehen, wie sich Leute in der Separation auf einem Riemen aufhängen.

      Es is nur ärgerlich«, fuhr er fort, indem er umherblickte, »daß kein Haken hier is. Die Klinke am Fenster wird Sie nicht erhalten. Außer Sie hängen sich kniend an der Pritsche auf, wies der Mönch im Kloster in Emaus gemacht hat, der was sich wegen einer jungen Jüdin am Kruzifix aufgehängt hat. Ich hab Selbstmörder sehr gern, also nur lustig ans Werk.«

      Der düstere Mann, dem Schwejk den Riemen zusteckte, schaute den Riemen an, schleuderte ihn in einen Winkel und begann zu weinen, wobei er die Tränen mit den schwarzen Händen verschmierte und folgende Schreie aus sich hervorstieß: »Ich habe Kinderchen, ich bin hier wegen Trunkenheit und unsittlichem Lebenswandel. Jesusmaria, meine arme Frau, was wird man mir im Amt sagen? Ich habe Kinderchen, ich bin hier wegen Trunkenheit und unsittlichem Lebenswandel« usw. ohne Unterlaß.

      Zum Schluß beruhigte er sich doch ein bißchen, ging zur Tür und begann in sie zu stoßen und mit den Fäusten auf sie zu trommeln. Hinter der Tür ließen sich Schritte vernehmen, und eine Stimme ertönte: »Was wolln Sie?«

      »Laßts mich heraus!« sagte er mit einer Stimme, als bliebe ihm keine Lebenshoffnung mehr. »Wohin?« ertönte es fragend von der andern Seite. »Ins Amt«, entgegnete der unglückliche Vater, Gatte, Beamte, Säufer und Lüstling.

      Ein Lachen, ein fürchterliches Lachen in der Stille des Korridors, und die Schritte entfernten sich wieder.

      »Mir scheint, der Polizist haßt Sie, daß er Sie so auslacht«, sagte Schwejk, während der hoffnungslose Mann sich wieder neben ihn setzte. »So ein Polizist, wenn er Wut hat, kann vieles machen, und wenn er noch größere Wut kriegt, is alles imstand. Sitzen Sie nur ruhig, wenn Sie sich nicht aufhängen wolln, und warten Sie, wie die Dinge sich entwickeln. Wenn Sie Beamter sind, verheiratet und Kinder ham, so is es schrecklich, das geb ich zu. Sie sind wahrscheinlich überzeugt, daß man Sie aus dem Amt entlassen wird, wenn ich mich nicht irr.«

      »Das kann ich Ihnen nicht sagen«, seufzte der Mann, »weil ich mich selbst nicht mehr erinner, was ich aufgeführt hab, ich weiß nur, daß man mich irgendwo hinausgeworfen hat und daß ich wieder hineingehen wollt, um mir eine Zigarre anzuzünden. Aber erst hats so schön angefangen!

      Unser Abteilungsvorstand hat seinen Namenstag gefeiert und hat uns in eine Weinstube eingeladen, dann gings in die zweite, in die dritte, in die vierte, in die fünfte, in die sechste, in die siebente, in die achte, in die neunte.«

      »Soll ich Ihnen vielleicht zähln helfen?« fragte Schwejk. »Ich kenn mich drin aus, ich war mal in einer Nacht in achtundzwanzig Lokalen. Aber alle Achtung, nirgends hab ich mehr gehabt als höchstens drei Biere.«

      »Kurz«, fuhr der unglückliche Untergebene des Vorstands fort, der seinen Namenstag so großartig gefeiert hatte, »als wir etwa in einem Dutzend solcher verschiedener Beiseln gewesen waren, bemerkten wir, daß uns der Vorstand verlorengegangen war, obwohl wir ihn an einem Spagat1 angebunden hatten und hinter uns führten wie ein Hunterl. So sind wir ihn wieder überallhin suchen gegangen, und zu guter Letzt haben wir uns einer dem anderen verloren, bis ich zum Schluß in einem Nachtcafé auf den Weinbergen, einem sehr anständigen Lokal, einen Likör direkt aus der Flasche getrunken hab. Was ich dann gemacht hab, dran erinner ich mich nicht mehr, ich weiß nur, daß die beiden Herren Polizisten hier auf dem Kommissariat, wie man mich hergebracht hat, schon gemeldet hatten, daß ich betrunken war und mich unsittlich benommen hab. Außerdem soll ich eine Dame verprügelt und mit dem Taschenmesser einen fremden Hut zerschnitten haben, den ich vom Kleiderrechen genommen haben soll. Dann soll ich die Damenkapelle vertrieben und den Oberkellner vor allen des Diebstahls einer Zwanzigkronennote beschuldigt haben. Dann hab ich angeblich die Marmorplatte an dem Tisch, an dem ich gesessen bin, zerschlagen und einem unbekannten Herrn am Nebentisch absichtlich in den schwarzen Kaffee gespuckt. Mehr hab ich nicht gemacht, wenigstens kann ich mich nicht dran erinnern, daß ich noch was angestellt hätt. Und glauben Sie mir, ich bin so ein anständiger, intelligenter Mensch, der an nichts andres denkt als an seine Familie. Was sagen Sie da dazu? Ich bin doch kein Exzedent!2«

      »Hats Ihnen viel Arbeit gegeben, bevor Sie die Marmorplatte zerbrochen ham?« fragte Schwejk mit Interesse statt einer Antwort, »oder ham Sie sie mit einem Schlag zerdroschen?«

      »Mit einem Schlag«, antwortete der intelligente Herr.

      »Dann sind Sie verloren«, sagte Schwejk melancholisch. »Man wird Ihnen beweisen, daß Sie sich durch fleißiges Training drauf vorbereitet ham. Und der Kaffee von diesem fremden Herrn, in den Sie gespuckt ham, war Rum drin oder nicht?«

      Und ohne eine Antwort abzuwarten, legte er dar:

      »Wenn Rum drin war, so wirds ärger sein, weil der teurer is. Bei Gericht wird alles berechnet und summiert, damits zumindest auf ein Verbrechen herauskommt.«

      »Bei Gericht …«, flüsterte der gewissenhafte Familienvater kleinlaut, ließ den Kopf hängen und verfiel in den unangenehmen Zustand, in dem Gewissensbisse an einem fressen.3

      »Und weiß man zu Haus«, fragte Schwejk, »daß Sie eingesperrt sind, oder wird mans erst erfahren, bis es in der Zeitung stehn wird?«

      »Sie glauben, daß es in der Zeitung stehen wird?« fragte das Opfer des Namenstages seines Vorgesetzten naiv.

      »Das is mehr als gewiß«, lautete die unverblümte Antwort, denn Schwejk hatte nicht die Gewohnheit, etwas vor einem anderen zu verbergen. »Der Bericht über Sie wird allen Zeitungslesern sogar sehr gefalln. Ich les auch gern die Rubrik von den Besoffenen und ihren Ausschreitungen. Neulich beim ›Kelch‹ hat ein Gast nichts andres angestellt, als daß er sich selbst mit seinem Glas den Kopf zerschlagen hat. Er hats in die Höh geworfen und sich druntergestellt. Man hat ihn weggeschafft, und früh ham wirs schon zu lesen bekommen. Oder ich hab im ›Bendlovka‹ einmal einem Funebrak4 einen Watschen heruntergehaut, und er hat sie mir zurückgegeben. Damit wir uns versöhnen, hat man uns beide einsperrn müssen, und gleich wars im Mittagsblatt. Oder wie ein gewisser Herr Rat im Kaffeehaus ›Zum Leichnam‹ zwei Tassen zerbrochen hat, glauben Sie, man hat ihn geschont? Er war auch gleich am nächsten Tag in der Zeitung. Sie können höchstens aus dem Gefängnis


Скачать книгу