Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk. Jaroslav Hašek

Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk - Jaroslav Hašek


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gaben.

      Auf den Gängen war der gemessene Schritt der Wachposten vernehmbar, von Zeit zu Zeit öffnete sich die Klappe in der Tür, und der Aufseher schaute durchs Guckloch.

      Auf dem mittleren Kavallett ließ sich leise eine erzählende Stimme vernehmen: »Bevor ich weglaufen wollt und bevor sie mich dann hergegeben ham zwischen euch, war ich auf Nummer 12. Dort sind nämlich die Leichtern. Einmal ham sie euch einen Menschen hingebracht, von irgendwo am Lande. Der liebe Mann hat vierzehn Tage gefaßt, weil er Soldaten bei sich hat schlafen lassen. Zuerst hat man gedacht, daß es eine Verschwörung is, aber dann hat sichs aufgeklärt, daß ers für Geld gemacht hat. Er hat zwischen den Leichtesten eingesperrt wern solln, aber weil dort voll war, so is er zu uns gekommen. Aber was der sich alles von zu Haus mitgebracht hat und was man ihm noch geschickt hat, weil er weiß Gott wie erlaubt gehabt hat, daß er sich selbst verköstigen und zubessern kann. Sogar rauchen hat er dürfen! Er hat zwei Schinken gehabt, solche Riesenlaiber Brot, Eier, Butter, Zigaretten, Tabak, na, kurz, an was man sich erinnert, hat er in zwei Rucksäcken mitgehabt. Und der Kerl hat geglaubt, daß ers allein auffressen muß. Wir ham angefangen, ihn anzubetteln, wies ihm nicht eingefalln is, mit uns zu teiln, wie die andern geteilt ham, wenn sie was gekriegt ham, aber der geizige Kerl hat gesagt, daß herich nicht, daß er vierzehn Tage eingesperrt sein wird und daß er sich mit Kohl und verfaulten Erdäpfeln, was man uns als Minasch gibt, den Magen verderben möcht. Daß er uns seine ganze Minasch und das Kommißbrot geben wird, das mag er herich nicht, das solln wir uns herich unter uns teiln oder der Reihe nach abwechseln. Ich sag euch, das war so ein feiner Mensch, daß er sich nicht mal aufn Kibl setzen wollt und bis am nächsten Tag aufn Spaziergang gewartet hat, daß ers im Hof auf der Latrine macht. Er war so verwöhnt, daß er sich sogar Klosettpapier mitgebracht hat. Wir ham ihm gesagt, daß wir ihm auf seine Portion pfeifen, und ham ein, zwei, drei Tage gelitten. Der Kerl hat Schinken gefressen, hat sich Butter aufs Brot geschmiert, hat sich Eier geschält, kurz, hat gelebt. Er hat Zigaretten geraucht und niemandem nicht mal einen Schluck geben wolln. Wir dürfen herich nicht rauchen, und wenns der Aufseher sehn möcht, daß er uns einen Schluck gibt, möcht man ihn herich einsperren. Wie gesagt, wir ham drei Tage zugeschaut. Am vierten Tag in der Nacht is es losgegangen. Der Kerl is früh aufgekommen, und das hab ich euch zu sagen vergessen, daß er immer früh, mittag und abend, bevor er sich anzustopfen angefangen hat, gebetet hat, lang gebetet hat. Er hat also gebetet und sucht seine Rucksäcke unter der Pritsche. Ja, die Rucksäcke waren dort, aber ausgetrocknet, zusammengeschrumpft wie eine gedörrte Pflaume. Er hat angefangen zu schreien, daß er bestohln is, daß man ihm nur Klosettpapier dortgelassen hat. Dann hat er wieder fünf Minuten lang geglaubt, daß wir uns einen Jux machen, daß wirs wohin versteckt ham. Er sagt noch so lustig: ›Ich weiß, ihr seid Schwindler, ich weiß, ihr werdet mirs zurückgeben, aber gelungen is es euch.‹ – Da war euch dort unter uns ein Liebner, und der sagt: ›Wissen Sie was, decken Sie sich mit der Decke zu und zähln Sie bis zehn. Und dann schaun Sie in Ihre Rucksäcke.‹ – Er hat sich zugedeckt wie ein folgsamer Junge und zählt: Eins, zwei, drei … Und der Liebner sagt wieder: ›Sie dürfen nicht so schnell, Sie müssen recht langsam.‹ – Und so zählt er unter der Decke langsam, in Pausen: Eins – zwei – drei … Wie er zehn gezählt hat, is er vom Kavallett gekrochen und hat sich seine Rucksäcke nachgeschaut. – Jesusmariandjosef, Leutln, hat er zu schrein angefangen, sie sind ja leer wie früher. – Und dabei sein blödes Gesicht, wir ham alle vor Lachen platzen können. Aber der Liebner sagt: ›Probieren Sies noch mal.‹ – Und werdet ihrs glauben, daß er von dem allen so blöd war, daß ers noch mal probiert hat, und wie er gesehn hat, daß er wieder nichts dort hat wie Klosettpapier, hat er angefangen in die Tür zu dreschen und zu schrein: ›Sie ham mich bestohlen, sie ham mich bestohlen, Hilfe, machts auf, um Christi willen!‹ Also sind sie gleich hineingestürzt, ham den Stabsprofos und Feldwebel Řepa gerufen. Wir alle, einer wie der andre, sagen, daß er verrückt geworn is, daß er gestern bis lang in die Nacht gefressn hat und daß er das alles aufgefressen hat. Und er hat nur geweint und fort gesagt: ›Es müssen doch irgendwo Bröserl sein.‹ – Also hat man die Bröserl gesucht und nicht gefunden, weil so gescheit waren wir auch. Was wir selbst nicht ham auffressen können, hamr per Post auf einer Schnur in den zweiten Stock geschickt. Sie ham uns nichts nachweisen können, obzwar der Trottel fort wiederholt hat: ›Die Bröserl müssen doch irgendwo sein.‹ – Den ganzen Tag hat er euch nichts gefressen und hat achtgegeben, ob niemand was ißt oder nicht raucht. Am nächsten Tag mittag hat er auch noch nicht die Minasch angerührt, aber abends hat er sich die verfaulten Erdäpfel und den Kohl schmecken lassen, nur daß er nicht mehr gebetet hat wie früher, bevor er sich an den Schinken und die Eier gemacht hat. Dann hat dort einer von uns von draußen Dramas bekommen, und da hat er mit uns zum erstenmal zu sprechen angefangen, damit wir ihm einen Schluck geben. Dreck hamr ihm gegeben.«

      »Ich hab schon Angst gehabt, daß ihr ihm einen Schluck gegeben habt«, bemerkte Schwejk, »das hätt die ganze Erzählung verdorben. So einen Edelmut gibts nur in Romanen, aber im Garnisonsarrest unter solchen Umständen wärs ein Blödsinn.«

      »Und eine ›Decke‹ habt ihr ihm nicht gegeben?« ließ sich eine Stimme vernehmen.

      »Dran hamr vergessen.«

      Eine leise Debatte hub an, ob er obendrein noch eine »Decke« hätte bekommen solln oder nicht. Die Mehrzahl stimmte dafür.

      Das Gespräch verstummte allmählich. Sie schliefen ein, während sie sich unter den Achseln, auf der Brust und auf dem Bauche kratzten, wo sich in der Wäsche die meisten Läuse halten. Sie schliefen ein, indem sie sich die verlausten Decken über die Köpfe zogen, damit das Licht der Petroleumlampe sie nicht störe.

      Früh um acht Uhr forderte man Schwejk auf, in die Kanzlei zu gehen.

      »Auf der linken Seite bei der Kanzleitür is ein Spucknapf, dort wirft man die Zigarettenstummel hinein«, belehrte Schwejk ein Arrestant. »Und im ersten Stock gehst du auch an einem vorbei. Man kehrt den Gang erst um neun, es wird was dort sein.« Aber Schwejk enttäuschte ihre Hoffnung. Er kehrte nicht mehr nach Nummer 16 zurück. Neunzehn Unterhosen kombinierten und vermuteten mancherlei.

      Ein sommersprossiger Landwehrsoldat, der am meisten Phantasie besaß, verbreitete, Schwejk habe seinen Hauptmann angeschossen und man habe ihn auf den Exerzierplatz in Motol zur Hinrichtung geführt.

       10

       I

      Schwejks Odyssee begann von neuem unter der ehrenvollen Begleitung zweier Soldaten mit »Bajonett auf«, die ihn zum Feldkuraten bringen sollten.

      Seine Begleiter waren Männer, die einander gegenseitig ergänzten. War der eine von ihnen lang und hager, so war der andere klein und dick. Der Lange hinkte auf dem rechten Fuß, der kleine Soldat auf dem linken.

      Beide dienten im Hinterlande, weil sie früher, bis zum Krieg, vom Militärdienst vollständig befreit gewesen waren.

      Sie gingen ernsthaft auf der Fahrbahn und blickten von Zeit zu Zeit von der Seite auf Schwejk, der in der Mitte schritt und jedem zweiten salutierte. Seine Zivilkleider waren im Magazin des Garnisonsarrestes verlorengegangen, samt seiner Militärkappe, mit der er zur Assentierung gegangen war. Bevor man ihn entließ, hatte man ihm eine alte militärische Montur gegeben, die einem Dickwanst gehört haben mußte, der um einen Kopf größer war als Schwejk.

      In die Hosen, die er trug, wären noch drei Schwejks hineingegangen. Endlose Falten von den Füßen bis über die Brust, wohin die Hosen reichten, erweckten unwillkürlich die Verwunderung der Schaulustigen. Eine ungeheure Bluse mit Flicklappen auf den Ellbogen, voller Fettflecke und schmutzig, schlotterte an Schwejk wie ein Rock an einer Vogelscheuche. Die Hosen hingen an ihm herunter wie ein Kostüm an einem Zirkusclown. Die Militärkappe, die man ihm gleichfalls im Garnisonsarrest ausgetauscht hatte, reichte ihm bis über die Ohren.

      Auf das Gelächter der Vorübergehenden antwortete Schwejk mit einem weichen, warmen Lächeln und der Sanftmut seiner gutmütigen Augen.

      Und so marschierten sie nach Karolinenthal, zur Wohnung des Feldkuraten.

      Als erster


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