Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk. Jaroslav Hašek

Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk - Jaroslav Hašek


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war der kleine Dicke, denn solche Menschen besitzen außer ihrem Optimismus eine große Neigung zum Epikureismus. Der Lange kämpfte eine Weile mit sich selbst. Und als er bereits seine Skepsis verloren hatte, verlor er allmählich auch seine Gemessenheit und den Rest von Überlegung.

      »Ich wer bißl tanzen«, sagte er nach dem fünften Bier, als er die Paare »Schlapak« tanzen sah.

      Der Kleine gab sich völlig dem Genusse hin. Neben ihm saß ein Fräulein, das schlüpfrige Dinge sprach. Seine Augen funkelten nur so.

      Schwejk trank. Der Lange beendete den Tanz und kam mit seiner Tänzerin zum Tisch zurück. Dann sangen sie, tanzten, tranken ununterbrochen, tätschelten ihre Nachbarinnen. Und in dieser Atmosphäre von käuflicher Liebe, Nikotin und Alkohol kreiste unauffällig der alte Wahlspruch: »Nach uns die Sintflut!«

      Nachmittags setzte sich ein Soldat zu ihnen und machte sich erbötig, ihnen für einen Fünfer eine Phlegmone und eine Blutvergiftung zu besorgen. Er habe die Injektionsspritze mit und werde ihnen ins Bein oder in die Hand Petroleum spritzen.3 Er erklärte, sie würden damit wenigstens zwei Monate zubringen und, wenn sie die Wunde mit Speichel behandelten, eventuell ein Jahr, und man werde sie zum Schluß gänzlich vom Militärdienst befreien müssen.

      Der Lange, der bereits sein seelisches Gleichgewicht verloren hatte, ließ sich auf dem Abort von dem Soldaten Petroleum unter die Haut am Bein spritzen.

      Als sich bereits der Abend herabsenkte, schlug Schwejk vor, den Weg zum Feldkuraten anzutreten. Der kleine Dicke, der schon zu lallen anfing, redete Schwejk zu, noch zu warten. Der Lange war auch der Ansicht, der Feldkurat könne warten. Schwejk gefiel es aber nicht mehr bei »Kuklik«, und deshalb drohte er ihnen, allein zu gehen.

      Sie gingen also, aber er mußte ihnen versprechen, daß sie alle noch irgendwo einkehren würden.

      Sie kehrten auf dem Florenz in einem kleinen Kaffeehaus ein, wo der Dicke seine silberne Uhr verkaufte, um sich noch weiter vergnügen zu können.

      Aus diesem Lokal führte sie Schwejk bereits unterm Arm. Das war eine schreckliche Arbeit. Ununterbrochen knickten ihnen die Knie ein, ununterbrochen wollten sie noch irgendwo einkehren. Der kleine Dicke hätte beinahe das Paket für den Feldkuraten verloren, weshalb Schwejk gezwungen war, das Paket selbst zu tragen.

      Schwejk mußte sie unausgesetzt auf die Offiziere aufmerksam machen, die ihnen entgegenkamen. Nach übermenschlicher Anstrengung und Mühewaltung gelang es ihm schließlich, sie zu dem Haus in der Königstraße zu schleppen, wo der Feldkurat wohnte.

      Schwejk selbst steckte ihnen die Bajonette auf die Gewehre und zwang sie durch Rippenstöße, ihn zu führen, statt sich von ihm führen zu lassen.

      Im ersten Stock, wo sich an der Wohnungstür die Visitenkarte »Otto Katz, Feldkurat« befand, öffnete ihnen ein Soldat. Aus dem Zimmer ertönten Stimmen und das Klirren von Gläsern und Flaschen.

      »Wir – melden – gehorsamst – Herr – Feldkurat«, sagte der Lange mühsam, indem er dem Soldaten salutierte, »ein – Paket – und ein Mann gebracht.«

      »Kommt herein«, sagte der Soldat, »wo habt ihr euch denn so zugerichtet? Der Herr Feldkurat is auch …« Der Soldat spuckte aus.

      Er verschwand mit dem Paket. Sie warteten lange im Vorzimmer. Dann öffnete sich die Türe, und der Feldkurat kam ins Vorzimmer, nicht geschritten, sondern geflogen. Er war nur in Hemdsärmeln und hielt in der Hand eine Zigarre. »Also Sie sind schon da«, sagte er zu Schwejk, »man hat Sie also hergebracht. Eh – haben Sie keine Streichhölzer?«

      »Nein, melde gehorsamst, Herr Feldkurat.«

      »Eh – und warum haben Sie keine Streichhölzer? Jeder Soldat soll Streichhölzer haben, damit er Feuer geben kann. Ein Soldat, der keine Streichhölzer hat, ist … Was ist er?«

      »Er is, melde gehorsamst, ohne Streichhölzer«, antwortete Schwejk.

      »Sehr gut, er ist ohne Streichhölzer und kann niemandem Feuer geben. So, also das wäre eins, und jetzt das zweite. Stinken Ihnen nicht die Füße, Schwejk?«

      »Melde gehorsamst, daß nicht.«

      »So, das wäre das zweite. Und jetzt das dritte. Trinken Sie Schnaps?«

      »Melde gehorsamst, daß ich nicht Schnaps trink, nur Rum.«

      »Gut, schaun Sie sich hier diesen Soldaten an. Den hab ich mir für heut vom Oberleutnant Feldhuber ausgeborgt, er ist sein Putzfleck. Und der trinkt nichts, er ist Ab-ab-ab-stinenzler und wird deshalb mit der Marschkompanie abgehen. W-weil ich so einen Menschen nicht brauchen kann. Das ist kein Putzfleck, das ist eine Kuh. Die trinkt nur Wasser und buht wie ein Ochs.«

      »Du bist Abstinenzler«, wandte er sich an den Soldaten, »daß du dich nicht schämst. Trottl. Du verdienst paar Watschen.«

      Der Feldkurat kehrte seine Aufmerksamkeit den beiden Helden zu, die mit Schwejk gekommen waren und in dem Bestreben geradezustehen hin und her wankten, wobei sie sich vergeblich auf ihre Gewehre stützten.

      »Ihr habt euch be-betrunken«, sagte der Feldkurat, »habt euch im Dienst betrunken, und dafür laß ich euch ein-einsperren. Schwejk, Sie nehmen ihnen die Gewehre ab und führen sie in die Küche und werden sie bewachen, bis die Patrouille kommt, um sie abzuführen. Ich werde gleich in die Kaserne telefonie-nie-nie-nie-nieren.«

      Und so fanden Napoleons Worte: »Im Kriege verändert sich die Situation jeden Augenblick«, auch hier ihre volle Bestätigung.

      Am Morgen hatten ihn die beiden »Bajonett auf« geführt, in der Angst, er könne ihnen weglaufen, dann hatte er selbst sie hergebracht, und zum Schluß mußte er sie selbst bewachen. Anfangs waren sie sich dieser Veränderung nicht gut bewußt, erst als sie in der Küche saßen und Schwejk mit Gewehr und Bajonett bei der Tür sahen, ging ihnen ein Licht auf.

      »Ich möcht was trinken«, seufzte der kleine Optimist, während der Lange wieder einen Anfall von Skeptizismus bekam und sagte, daß das alles ein elender Verrat sei. Er fing an, Schwejk laut zu beschuldigen, weil er sie in eine solche Lage gebracht habe, und warf ihm vor, daß er ihnen versprochen habe, er werde morgen gehängt werden; jetzt stelle sich heraus, daß alles nur ein Jux gewesen sei, die Beichte und das Hängen.

      Schwejk schwieg und ging vor der Tür auf und ab.

      »Ochsen waren wir!« schrie der Lange.

      Zum Schluß, nachdem er die beiden Beschuldigten angehört hatte, verkündete Schwejk: »Jetzt seht ihr wenigstens, daß das Militär kein Honiglecken is. Ich tu meine Pflicht. Ich bin grad so hineingefallen wie ihr, aber wie man in der Volkssprache sagt, mir war das Glück hold.«

      »Ich möcht was trinken«, wiederholte verzweifelt der Optimist.

      Der Lange stand auf und ging schwankenden Schritts zur Tür. »Laß uns nach Haus«, sagte er zu Schwejk.

      »Fahr ab«, entgegnete Schwejk, »ich muß euch bewachen. Jetzt kennen wir uns nicht.«

      In der Tür zeigte sich der Feldkurat. »Ich – ich kann nicht und nicht eine Verbindung mit der Kaserne bekommen, also gehts nach Hause und me-merkt euch, daß man im Dienst nicht sau-saufen darf. Marsch!«

      Zur Ehre des Herrn Feldkuraten sei gesagt, daß er nicht in die Kaserne telefoniert hatte, weil er gar kein Telefon besaß, sondern in eine Stehlampe gesprochen hatte.

      II

      Schwejk war bereits den dritten Tag Bursche beim Feldkuraten Otto Katz und hatte ihn während dieser Zeit nur einmal gesehen. Am dritten Tag kam der Bursche vom Oberleutnant Helmich und forderte Schwejk auf, er möge den Feldkuraten abholen.

      Unterwegs teilte er Schwejk mit, der Feldkurat sei mit dem Oberleutnant in Streit geraten und habe das Pianino zerbrochen; er sei bis zur Bewußtlosigkeit besoffen und wolle nicht nach Hause gehn.

      Oberleutnant Helmich sei ebenfalls besoffen, habe den Feldkuraten auf den Gang geworfen, und der sitze vor der Tür auf der Erde und schlummere.


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