Du hast mich nie gewollt - Liebesroman. Thomas Tippner

Du hast mich nie gewollt - Liebesroman - Thomas Tippner


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      Lukas hatte einen guten Geschmack …

      Er hat eben beim Besten gelernt, lobte Sebastian sich selbst und erinnerte sich daran, wie er Lukas damals das erste Mal wahrgenommen hatte. Als er vor ihm gestanden hatte, in dem viel zu großen, von der Stange bei C&A gekauften Anzug. Wie er nervös mit seinen Händen gespielt hatte und sich fragte, warum Sebastian ihn so offen musterte.

      Er hatte ihn angeschaut, ihn betrachtet und sich dann dazu entschieden, Lukas in seine Geheimnisse einzuweihen. Und so waren sie nach gut einem halben Jahr eng befreundet, arbeiteten seitdem immer an den gleichen Projekten und stiegen nach und nach in der Firma auf.

      Lukas, der zuerst gar nicht so gewirkt hatte, als würde er Karriere machen wollen, hatte sich schnell an den Erfolg gewöhnt. Er war an ihm gewachsen und er hatte seine Scheu abgelegt, als würde er aus einer Hose schlüpfen, die ihm zu eng geworden war.

      Zusammen hatten sie alles erreicht.

      Sie waren unzertrennlich.

      Lukas war der Einzige, auf den Sebastian sich blind verlassen konnte.

      Er war es auch, dem Sebastian es gönnte, eine heiße Frau abzuschleppen, die so bezaubernd aussah wie die, die er gerade am Schaufenster angesprochen hatte. Lukas durfte bei ihm alles.

      In dem Moment, als Sebastian sich den vor ihm liegenden Akten zuwenden wollte, die er bis zum Nachmittag in Reinschrift gebracht haben wollte, um sie morgen einem Kunden vorlegen zu können, geschah es. Erst dachte er, sich getäuscht zu haben. Dass ihm seine Augen nur einen Streich spielten und seine in Aufruhr geratenen Gedanken ihm vorgaukelten, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen.

      Aber als er blinzelte und über den Rand seiner randlosen Sonnenbrille hinunter zu dem Hafenbecken schaute, an dem sich gerade unzählige Menschen niedergelassen hatten, um den beginnenden Sommer zu genießen, hatte er die blonde, drahtige Frau in der Menschenmasse auftauchen sehen. Einer Meeresschaumkrone gleich, die auf der obersten Wellenspitze tanzte und das Sonnenlicht in sich brechen ließ. Es kam ihm so vor, als würde sie ihm geradewegs präsentiert werden. So, als würde die Menschenmenge sich vor ihm teilen, um ihm einen ungehinderten Blick auf die hochgewachsene Frau werfen zu lassen, dessen erneute Begegnung er stets gescheut hatte.

      Sie war der Stachel in seinem Fleisch.

      Sie war das, was er einen seelischen Schatten nannte. Eine Niederlage, die er nur schwer verdauen konnte.

      Sie jetzt dort entlangschlendern zu sehen, an der Hand zwei Kinder, die vielleicht sechs oder sieben Jahre alt waren, versetzte ihm einen Stich. Nicht, weil sie zwei Kinder hatte, sondern deshalb, weil sie ein offenes Kapitel in seinem Leben war.

      Er erschauderte, als er mitbekam, wie sich eines der Kinder losriss und zu einem der Schaufenster rannte, in dem die neusten Star Wars-Spielzeuge zu sehen waren. Es war Sebastian unmöglich, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wie es wohl gewesen wäre, wenn das da … Nein, das konnte und wollte er nicht.

      Hatte er ihr nicht den Tipp gegeben? War er es nicht, der sagte, sie wäre ohne das alles da besser dran?

      Kinder waren nie sein Ziel gewesen.

      Sie behinderten einen dabei, die selbstgesteckten Pläne zu verwirklichen. Kinder hinderten einen daran, sich im Leben zu positionieren. Wäre er Vater geworden – Himmel – er hätte weder einen BMW oder Porsche. Er würde einen Skoda Octavia fahren, Kindersitze kutschieren und Anzüge tragen, die er bei C&A hätte kaufen müssen.

      Das konnte und wollte er nicht. Allein der Gedanke daran ließ ihn einen kalten Schauer des Entsetzens spüren, der ihm vom Magen aus weit bis in den Brustkorb drang.

      Was ihm nun aber einen Stich versetzte, war nicht das Kind, das sich von ihrer Hand losriss, sondern der Mann, der plötzlich aus der Menschenmenge geschossen kam, den Kleinen unter den Armen kitzelte und lachend rief: „Sollst du einfach weglaufen, Pirat?“

      Sebastian lief es kalt den Rücken herunter.

      Das hatte er nicht erwartet.

      Sebastian war mit sich plötzlich uneins. Es dauerte etwas, bis er begriff, dass es auch nicht der Mann, der plötzlich im Szenario auftauchte, war, der ihn störte. Es war ein Gedanke, ähnlich jenem, den er gehabt hatte, als Nancy den Brief las und er meinte, seine Schüchternheit wieder zu spüren. Jetzt, da er Denise dort stehen sah, ihren Mann neben sich, den Ruf auf den Lippen, dass der Kleine zu ihr kommen sollte, kam der Gedanke wieder. Heftiger, durchdringender, als er ihn bisher je gespürt hatte.

      Sebastian versuchte, sich wieder zu konzentrieren. Er wollte seine Blicke von Denise und ihren Mann losreißen. Wollte das: „Sollst du einfach weglaufen, Pirat?“, aus seinem Verstande bannen. Er schauderte.

      Das da hätte er sein …

      Frauen wie Nancy …

      Er versuchte, die Stimme seiner Mutter zu ignorieren. Er zwang sich dazu, den Blick wieder zu senken.

      Die Papiere waren wichtig. Ungeheuer wichtig.

      Wenn er den Deal über die Bühne brachte, winkte nicht nur eine saftige Provision, sondern auch die Chance, ins höhere Management aufsteigen zu können. Das, was er immer gewollt hatte. Das, was er brauchte, um sich selbst besser zu fühlen.

      Der Erfolg gab ihm recht.

      Alles andere war nur bitterer Beigeschmack.

      Und doch erwischte er sich dabei, wie er zu Denise hinüberschaute, die ihr zweites Kind noch immer an der Hand hielt. Die wiederum zu ihrem Mann schaute, der dem Jungen am Schaufenster zurief: „Kommt schon. Wir wollten doch ein Eis essen gehen!“

      „Yeah!“, rief der Junge mit den haselnussbraunen Haaren und streckte wie ein Sieger die Faust in die Höhe. „Eis essen!“

      „Dann mal los, Pirat. Dort entlang!“

      „Yeah!“, rief der Bengel noch einmal und war dann, wie sein Vater und sein Geschwisterchen in der Menschenmenge verschwunden.

      Nur sie blieb noch einen Augenblick deutlich sichtbar für ihn auf der Promenade stehen. Beinahe so, als merkte sie, dass die Blicke der Vergangenheit auf sie gerichtet waren.

      Ich habe ihr den besten Rat ihres Lebens gegeben, sagte er sich selbst. Ich habe ihr den am besten ausgehandelten Vertrag ihres Lebens vor die Nase gehalten. Ich habe ihr Leben bereichert. Es geradliniger gemacht.

      Ich …

      … war derjenige, der maßlos und egoistisch gewesen war. Ich habe mich über alles und jeden gestellt. Ich meinte, der wichtigste Mensch auf Erden zu sein.

      Sebastian verzog die Lippen zu einem freudlosen Lächeln.

      Er versuchte sich einzureden, dass er damals richtig gehandelt hatte. Dass all seine Entscheidungen fehlerlose gewesen waren. Jetzt, da er dasaß und sie noch immer wie angewurzelt dort stehen sah, beschlichen ihn Zweifel, ob damals wirklich alles korrekt gewesen war.

      War es, nickte er sich zu und schob die Sonnenbrille wieder die Nase hinauf. Wo würde ich denn sonst heute stehen?

      Ich wäre ein Niemand! Ein kleiner Angestellter, der froh darüber sein konnte, unbefristet angestellt zu sein, damit er die laufenden Kosten gerade so gedeckt bekam, um nicht den Dispokredit in Anspruch nehmen zu müssen.

      So einer wäre ich gewesen.

      So einer wollte ich niemals sein.

      Gewinnen, ja, das war mein Ziel. Dort gehörte ich hin. Auf die Gewinnerstraße.

      Und wer war sie schon, dass sie mich jetzt zum Zweifeln bringen konnte?

      „Denise“, murmelte er … und fügte in Gedanken hinzu: ist es, die mich zum Zweifeln bringt.

      „Hey!“, begrüßte Nancy Sebastian mit einer schüchtern wirkenden Geste. Er gestattete sich ein Lächeln. Es war klar gewesen, dass er sie noch einmal treffen würde. Frau Hartmann hatte ihr Kommen ein weiteres Mal angekündigt, um ihn die neusten Entwürfe des Umbaus zu zeigen, den sie für ihn geplant hatte.


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