Urlaubsküsse - Liebesroman. Thomas Tippner

Urlaubsküsse - Liebesroman - Thomas Tippner


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Ja, es war ihm, als würde er einem inneren Impuls folgen, der ihm riet, sich mit solch einem abartigen, seine Knie weich werdenden Gedanken gar nicht mehr zu befassen. Er wischte ihn einfach beiseite, indem er sich vorzustellen begann, wie sein Leben einmal verlaufen würde.

      Er sah viel.

      Unendlich viel!

      Frauen! Heiße Wagen! Unmengen von Geld! Eine steil verlaufende Karriere! Einfach alles, was er sich je erträumt hatte!

      Und so war die Angst zur Furcht und schließlich zu einem sich im Sonnenlicht auflösenden, diffusen Nebel geworden, aus dem ihm zugewispert wurde, es besser zu machen!

      Immer weiter gehen!

      So war es bei ihm immer gewesen.

      Spürte er Unsicherheit, musste er sich Hals über Kopf ins Abenteuer stürzen.

      Egal, ob beim Lernen fürs Abitur, beim Fußball, wenn er allein auf den Torwart zulief, oder bei starken, schönen Frauen, die ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, wegstoßen konnten.

      Eben diese Angst, dass diese ihn ätzend finden oder ihm intellektuell überlegen sein konnten, hatte ihn dazu getrieben, aufs Ganze zu gehen.

      „Schieß den Ball da rüber“, hatte er zu Tom gesagt und auf die Gruppe Mädchen gedeutet, in deren Mitte sich Chantal aufhielt. Sie war gerade dabei, ihr Handtuch auf dem feinen, gelben Sand auszubreiten. Sie, in der weißen, knapp sitzenden Hose, die ihren apfelförmigen Hintern so einladend betonte, dass man sich zurückhalten musste, um ihr nicht auf den Po zu hauen.

      Und dann ihre Beine!

      Himmel!

      Was waren das für Beine!

      Lang, braun gebrannt, am Knöchel ein golden schimmerndes Kettchen, das Zartheit und Grazie ihrer Füße noch mehr betonte und Oliver meinen ließ, komplett den Verstand zu verlieren. Und so war er also aus dem Wasser gestampft, hin zu dem Ball, um ihn Tom zuzuwerfen.

      „Du machst die besten Abschläge“, stellte er fest und erinnerte Tom daran, weshalb sie in ihrem letzten gemeinsamen Spiel gewonnen hatten. „Durch dich konnte ich das Tor erzielen.“

      „Was hast du vor?“, wollte Tom wissen.

      „Er will, dass du den Ball zu den Mädchen da hinten schießt und er stolpert, um in ihre Mitte fallen zu können“, sagte Conny mit gelangweiltem, geringschätzigem Ton und warf Oliver einen vernichtenden Blick zu.

      „Bingo!“ Oliver grinste und tat so, als würde er auf Conny mit seinem Zeigefinger schießen.

      „Echt jetzt?“ Skeptisch sah Tom ihn an.

      „Tu mir den Gefallen, Alter. Ich bitte dich drum.“

      „Das ist echt peinlich!“

      „Die Mädels brauchen mich“, hielt er entgegen und setzte seinen Schmollmund auf.

      Eine Waffe, die ihm das Aussehen eines Eichhörnchens verlieh und die jeden dazu brachte, sämtliche Vorbehalte zu vergessen.

      Dass er dadurch reichlich albern aussah, hatte Tom ihm schon mehr als einmal gesagt – und dennoch das getan, worum Oliver ihn gebeten hatte. So wie auch jetzt, da er den Kopf schüttelte, lachte und den Ball aufhob, der in einem Wäschekorb gelegen hatte. Die Jungs hatten ihn sich von der Rezeption geliehen und nahmen ihn immer zum Strand mit, um allen Menschen auf der Promenade zu zeigen, dass sie es hier mit individuellen, echten und aus dem Leben gegriffenen Spinnern zu tun hatten.

      Kein anderer schleppte einen Wäschekorb mit sich herum.

      Nicht einmal die coolen Jungs aus Kiel, die mit ihrem Handballclub hier waren und morgens schon so laut und besoffen waren, dass man annahm, es handele sich bei ihnen um waschechte Barbaren aus einem einschlägigen Film.

      Selbst die Coolsten hatten KEINEN Wäschekorb!

      Die hatten Rucksäcke, Umhängetaschen oder einfach nur ihre Arme, um alles Mögliche hinunter zum Strand zu schleppen.

      So sah er dann, wie Tom den Ball, der wie funkelndes Gold im Sonnenlicht strahlte, aufhob, kurz hinüber zu den Mädchen schaute und dann zu einem seiner gefürchteten Abschläge ansetzte.

      Oliver sprintete los.

      Er wirbelte Sand auf, stolperte über eine Unebenheit und kam dann doch noch rechtzeitig bei den Mädels an, um zu rufen: „Ich hab den Ball!“

      Mit einem viel zu lauten, viel zu aufgesetzten Schrei ließ er sich in die Gruppe der Mädchen fallen.

      Die kreischten wie am Spieß.

      Was Musik in seinen Ohren war.

      Als er sich schließlich vom Rücken auf die Seite rollte und sich das Knie hielt, fragten sie: „Alles gut bei dir?“

      Bei ihm war nicht nur alles gut, bei ihm war alles bestens! Aber er würde einen Teufel tun und ihnen das sagen.

      Und jetzt, da Chantal neben ihm stand, er sie anschaute und sich nicht sattsehen konnte an ihren dunklen Augen, glaubte er, im Himmel angekommen zu sein.

      Sie war alles, was er heute Abend wollte.

      Und so fragte er: „Noch einen?“ und sah mit einem zufriedenen Lächeln, dass sie ihm mit einem schwerer und schwerer werdenden Kopf zunickte und mit leichtem Lallen meinte: „Klar!“

      „Noch einen!“, rief er dem Barkeeper zu, der soeben zwei dunkelhaarigen Frauen Cocktails gereicht hatte.

      Frauen, wie Oliver – den Verstand in Testosteron versunken – feststellte, die noch heißer, noch lasziver, noch begehrenswerter waren als Chantal. Frauen, die kein T-Shirt trugen wie die blonde Mainzerin, die gerade den Kurzen anhob, sondern blankes Fleisch zur Schau stellten.

      Ihre Trägerhemdchen waren ein Hauch von Nichts und bedeckten nur ansatzweise die runden, prallen Brüste. Sie ließen die Nippelchen hervorstechen, als wollten sie mit dem Stoff die kleinen, hübschen Dinger mehr betonen als verbergen.

      Oliver schluckte.

      Er war im Paradies …

      „Prost!“, rief Chantal ihm zu, und er antwortete nur mit einem heiseren „Prost“, trank den Sauren Apfel in einem Schluck, um die Trockenheit seiner Kehle zu vertreiben, die sich in ihm ausgebreitet hatte wie die Dürre in einem Flussbett.

      „Lass uns tanzen!“, rief Chantal, packte ihn am Arm, zog ihn vom Tresen weg und bemerkte nicht, dass Oliver den beiden Frauen nachstarrte. Diese zogen sich in eine dunkle, nicht von dem grell blitzenden Licht der Discokugel erleuchtete Ecke zurück und setzten sich dort, ihrer Schönheit bewusst, an einen der runden Tische.

      Als wollte das Schicksal, dass er von nun an nur noch Augen für Chantal hatte, entdeckte er plötzlich Conny bei den beiden Frauen auftauchen, im Schlepptau Katrin, die hinter seinem stämmigen Körper wie verloren wirkte.

      Katrin, lustiger, als Oliver es sich jemals vorgestellt hätte, rief Conny irgendetwas zu, während sie sich rhythmisch im Takt der Musik bewegte und dadurch etwas zeigte, das er selbst nicht genau beschreiben konnte.

      Sie hatte etwas, das ihn verunsicherte.

      Oder besser gesagt: etwas, das ihm fremd war.

      Natürlich, er war ein Aufschneider, ein Großmaul, immer die Nase auf die nächste Party gerichtet.

      Katrin war ihm da ähnlich, wenn auch deutlich unterschwelliger. So, als wollte sie nicht durch ihre Frechheit auffallen, sondern durch ihr Selbst.

      Oliver konnte das nicht genau beschreiben.

      Aber gerade jetzt, da er sie hinter Conny her tanzen sah, fiel es ihm erneut auf. Sie bewegte sich zu elegant, zu grazil, hatte die Arme in die Höhe gerissen und die Augen halb geschlossen. Den Mund zu einem verführerischen O halb geöffnet und in den Haaren eine viel zu große Sonnenblume.

      Sie war …

      … anders.

      Und er wurde plötzlich geküsst …


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