Ekkehard. Joseph Victor von Scheffel
An jenem nebligen Tag stand Frau Hadwig im Kabinett ihrer Burg und schaute in die Ferne hinaus. Sie trug ein stahlgrau Unterkleid, das in leichten Wellen über die gestickten Sandalen wallte, darüber schmiegte sich eine bis zum Knie reichende schwarze Tunika; im Gürtel, der die Hüften umschloß, glänzte ein kostbarer Beryll. Ein goldfadengesticktes Netz hielt das kastanienbraune Haar umfangen, doch unverwehrt umspielten sorgsam gewundene Locken die lichte Stirn.
Auf dem Marmortischlein am Fenster stand ein phantastisch geformtes dunkelgrün gebeiztes Metallgefäß, drin brannte ein fremdländisch Räucherwerk und wirbelte seine duftig weißen Wölklein zur Decke des Gemachs. Die Wände waren mit buntfarbigen gewirkten Teppichen umhangen.
Es gibt Tage, wo der Mensch mit jeglichem unzufrieden ist, und wenn er in den Mittelpunkt des Paradiesgartens gesetzt würde, es wär' ihm auch nicht recht. Da fliegen die Gedanken mißmutig von dem zu jenem und wissen nicht, wo sie anhalten sollen – aus jedem Winkel grinst ein Fratzengesicht herfür, und wenn einer ein fein Gehör hat, so mag er auch der Kobolde Gelächter vernehmen. Man sagt dortlands, der schiefe Verlauf solcher Tage rühre gewöhnlich davon her, daß man frühmorgens mit dem linken Fuß zuerst aus dem Bett gesprungen sei, was bestimmtem Naturgesetz zuwider.
Die Herzogin hatte heute ihren Tag. Sie wollte zum Fenster hinausschauen, da blies ihr ein feiner Luftzug den Nebel ins Angesicht; das war ihr nicht recht. Sie hub einen zürnenden Husten an. Wenn Sonnenschein weit übers Land geglänzt hätte, sie würde auch an ihm etwas ausgesetzt haben.
Der Kämmerer Spazzo war eingetreten und stand ehrerbietig am Eingang. Er warf einen wohlgefälligen Blick auf seine Gewandung, als wär' er sicher, seiner Gebieterin Augen heut auf sich zu lenken, denn er hatte ein gestickt Hemde von Glanzleinwand angelegt und ein saphirfarbiges Oberkleid mit purpurnen Säumen, alles nach neuestem Schnitt; erst gestern war des Bischofs Schneider von Konstanz damit herübergekommen.5
Der Wolfshund dessen von Fridingen hatte zwei Lämmer der Burgherde zerrissen, da gedachte Herr Spazzo pünktlichen Vortrag zu erstatten und Frau Hadwigs fürstliches Gutachten einzuholen, ob er in friedlichem Austrag sich mit dem Herrn des Schädigers vergleichen oder am nächsten Gaugericht Wehrgeld und Buße einklagen solle.6 Er hub seinen Spruch an. Aber eh' und bevor er zu Ende gekommen, sah er, daß ihm die Fürstin ein Zeichen machte, dessen Bedeutung einem verständigen Mann nicht fremd bleiben konnte. Sie fuhr mit dem Zeigefinger der Rechten erst nach der Stirn, dann wies sie mit gleichem Finger nach der Tür. Da merkte der Kämmerer, daß es seinem eigenen Witz anheimgestellt sei, nicht nur den Bescheid wegen der Lämmer zu finden, sondern sich mit möglichstes Beschleunigung zu entfernen. Er verbeugte sich und ging.
Mit heller Stimme rief Frau Hadwig jetzt: Praxedis! – Und wie's nicht sogleich die Stufen zum Saal herauf huschte, rief sie noch einmal schärfer: Praxedis!
Es dauerte nicht lange, so schwebte die Gerufene ins Kabinett herein.
Praxedis war der Herzogin in Schwaben Kammerfrau, von griechischer Nation, ein lebend Angedenken, daß einst des Byzantiner Kaisers Basilius Sohn um Hadwigs Hand geworben.7 Der hatte das des Gesangs und weiblicher Kunstfertigkeit erfahrene Kind samt vielen Kleinodien und Schätzen der deutschen Herzogstochter geschenkt und als Gegengabe einen Korb erbeutet. Man konnte damals Menschen verschenken, auch kaufen. Freiheit war nicht jedem zu eigen. Aber eine Unfreiheit, wie sie das Griechenkind auf der schwäbischen Herzogsburg zu tragen hatte, war nicht drückend.
1 .. Purchardus autem, dux Suevorum, Sueviam quasi tyrannice regens. Ekkehardi IV. casus S. Galli cap. 3 bei Pertz Monumenta Germaniae historica II. 104. hic cum esset bellator intolerabilis. Witukind lib. I. c. 27.
2 .. cum iam esset decrepitus. Ekkeh. casus S. Galli cap. 10.
3 Hadawiga, Henrici ducis filia, Suevorum post Purchardum virum dux vidua, cum Duellio habitaret, femina admodum quidem pulchra, nimiae severitatis cum esset suis, longe lateque terris erat terribilis. Ekkeh. casus S. Galli cap. 10 bei Pertz II. 122.
4 camisias cliuzana. pallium canum vel saphirinum. Das Kostüm der Vornehmen war mannigfacher Veränderung durch die Mode unterworfen. Zu Karls des Großen Zeiten trug man an den Füßen Schuhe, um die Beine hohe, kamaschenartig zugeschnürte Binden, ein hemdartig linnenes Unterkleid und ein wollenes Oberkleid oder einen langen von den Schultern bis zu den Absätzen reichenden Mantel, der durch Ausschnitt an den Seiten den Armen freie Bewegung ließ. Der lange Mantel wurde aber bald gegen einen kürzeren vertauscht, der sich indes auch nicht als zweckmäßig bewährte. Vergl. des monachus San Gallensis gesta Karoli M. lib. I. c. 34 bei Pertz Mon. II. 747. Den Miniaturbildern sanktgallischer Handschriften, z. B. des psalterium aureum, ist mannigfacher Aufschluß über gleichzeitige Trachten zu entnehmen.
5 Wehrgeld – nach mittelalterlichem Strafrecht, wonach fast alle Vergehen und Verbrechen mit Geld zu sühnen waren, ist ein dem Verletzten zu persönlicher Genugtuung, Buße (Wette, fredum), ein zur Sühne des gestörten Friedens dem Volk, später dem Landesherrn zu entrichtendes Strafgeld. Die alten Volksrechte verzeichnen auch bei allen Gattungen von Tieren sorgfältig deren Wehrgeld, das im Fall von Tötung oder Beschädigung der Eigentümer zu erheben hatte. Wenn übrigens der Schaden mehr durch Zufall zugefügt wurde, lag kein Friedbruch vor, und es würde Herrn Spazzo sehr schwer gefallen sein, die Verurteilung des für seinen Wolfshund verantwortlichen Herrn von Fridigen zu einer Buße durchzusetzen.
6 Brautbewerbungen zwischen dem byzantinischen Hofe und den deutschen Großen kamen in dieser Zeit wiederholt und wechselseitig vor. Oft wurden deutsche Bischöfe in solcher Mission nach Konstantinopel gesendet, z. B. Bernward von Würzburg für Kaiser Otto III., Werner von Straßburg für den Sohn Kaiser Konrads II. In einer Notiz des sanktgallischen liber benedictionum wird es sehr getadelt, daß die vornehme Männerwelt sich mit Hintansetzung der deutschen Töchter Frauen aus Italien und Griechenland holte. Die Vorliebe der deutschen Herren für byzantinische Damen begreift sich aber nach den Schilderungen derer, die Augenzeugen des neuen Tones und der liebenswürdigen Geselligkeit waren, welche durch Ottos II. griechische Gemahlin Theophano an dem deutschen Kaiserhof eingeführt wurden. Sogar der ernsthafte Scholastiker Gebert, nachmals Papst Sylvester II., sah sich veranlaßt, dem Zauber byzantinischer Frauensitte seine Anerkennung auszusprechen. »Da mir diese gemütlichen Gesichter,« sagte er, »diese sokratischen Unterhaltungen entgegen kamen, vergaß ich allen Kummer und mich schmerzte nicht mehr der Gedanke meiner Auswanderung.«
Praxedis war ein blasses feingezeichnetes Köpfchen, aus dem zwei große dunkle Augen unsäglich wehmütig und lustig zugleich in die Welt vorschauten. Das Haar trug sie in Flechten um die Stirn geschlungen; sie war schön.
Praxedis, wo ist der Star? sprach Frau Hadwig.
Ich werd' ihn bringen, sagte die Griechin. Und sie ging und brachte den schwarzen Gesellen, der saß so breit und frech in seinem Käfig, als wenn sein Dasein im Weltganzen eine klaffende Lücke auszufüllen hätte. Der Star hatte bei Hadwigs Hochzeit sein Glück gemacht.8
Nostratim fari »Pater et noster« recitare Usque »qui es in coelis« lis, lis, lis triplicatis. |
Der Star war aber tiefer gebildet. Er konnte außer dem gereimten Klingklang auch das Vaterunser hersagen. Der Star war auch hartnäckig und konnte seine Grillen haben, so gut wie eine Herzogin in Schwaben.
Heute mußte dieser eine Erinnerung an alte Zeit durch den Sinn geflogen sein, der Star sollte den Hochzeitsspruch sagen. Der Star aber hatte seinen frommen Tag. Und wie ihn Praxedis ins Gemach trug, rief