Die Geheimnisse von Paris. Эжен Сю

Die Geheimnisse von Paris - Эжен Сю


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»daran habe ich nicht gedacht. Aber gut wäre es doch, wir machten ein Fenster auf? Der Rauch wird unerträglich in dem engen Abteil.«

      Rudolf ließ, ohne auf Antwort zu warten, das Fenster herunter und ließ dabei den Zettel, auf den er unter seiner Bluse ein paar Worte geschrieben, und den er zusammenzudrehen verstanden hätte, hinausfallen. Murph hatte den Wagen nicht aus den Augen gelassen; Rudolfs Beginnen war ihm nicht entgangen. Als er das zusammengedrehte Stück Papier aus dem Fenster fallen sah, war er sogleich zur Stelle, es aufzuheben.

      Als der Wagen etwa eine Viertelstunde weit gefahren war, rief Bakel dem Kutscher zu, nach der Place de Madeleine zu fahren, da er sich anders besonnen hätte. – Rudolf sah ihn verdutzt an. – »Nun«, meinte Bakel, »von diesem Platze aus kann man überallhin gelangen, mein junger Herr, und wenn man uns molestieren wollte, so dürfte zum wenigsten die Aussage des Kutschers belanglos sein.«

      Als der Wagen sich dem Weichbilde näherte, galoppierte ein lang aufgeschossener Mann in weißleinenem Oberrock, den Hut tief in die Stirn gedrückt, so daß das an sich braune Gesicht fast schwarz aussah, auf stolzem Rappen vorüber. – Rudolf, sich aus dem Wagen beugend und Murph nachblickend, sagte: »Das muß man sagen, ein schönes Pferd ohne stattlichen Reiter ist immer eine halbe Sache. Seh einer, wie der Hüne jagt! Haben Sie den Mann gesehen?« – »Er, war zu schnell vorbei«, erwiderte Bakel, »als daß man ihn hatte sehen sollen.« – Rudolf ließ sich nichts von seiner Freude darüber merken, daß Murph seinen Zettel gefunden und die fast hieroglyphischen Zeichen darauf glücklich entziffert hatte. Bald hielt der Wagen auf der Place de Madeleine. Einen Augenblick hatte der Regen ausgesetzt; die Wolken aber hingen noch so schwer am Himmel, daß es fast bereits Nacht war. Die drei Personen gingen nach dem Cours-la-Reine ... »Da fällt mir etwas ein«, sagte der Räuber; »man sollte sich doch überzeugen, ob auch alles zutrifft, was Sie mir von dem Hause in der Rue des Veuves erzählt haben. Wozu hat man denn eine Frau?« – »Sie wollen sie wohl auf Kundschaft ausschicken?« fragte Rudolf. – »Allerdings.« –

      Die Eule zitterte förmlich vor Ungeduld. – »Nr. 17 wars, nicht wahr?« fragte sie; »ich habe freilich bloß ein Auge; aber sehe besser darauf, wie andere auf beiden. Da, nimm den Schirm, Dicker«, sagte sie zu ihrem Manne, »in einem halben Stündchen bin ich wieder da. Verlaß dich drauf. Was gemacht werden kann, das wird gemacht.« – »Wir setzen uns die Zeit über ins Blutige Herz, gleich hier in der Nahe. Findest du den Lahmen unterwegs, dann bring ihn mit. Er kann Schmiere stehen, während du drinnen visitierst.« – »Richtig. Der Lahme ist pfiffig wie ein Fuchs, und wenn er auch erst zehn Jahre alt ist, so hat er doch ...«

      Bakel blinzelte ihr zu, und die Eule schwieg. – »Was für eine Schenke ist denn das Blutige Herz?« fragte Rudolf. – »Darüber müssen Sie sich selbst beim Wirte erkundigen«, antwortete Bakel. – »Wie heißt er?« – »Sie können ihn nennen, wie es Ihnen paßt«, antwortete Bakel, »denn er hat überhaupt keinen Namen, steht aber Rede und Antwort auf jeden. Aber da sind wir schon zur Stelle, und gerade zur rechten Zeit, denn es fängt schon wieder zu regnen an.« – »An Ort und Stelle? Wie meinen Sie das?« sagte Rudolf, »wo soll denn das Wirtshaus stehen? Ich sehe ja keins.« – »Aber gucken Sie sich nur ordentlich um!« – »Na, aber wo denn?« – »Na, muß denn alles über der Erde liegen? Blicken Sie doch mal unter sich! Da werden Sie gleich erblicken, was Sie suchen!«

      Rudolf war es entgangen, daß er vor einem jener Wirtshäuser unter der Erde stand, deren es vor einigen Jahren noch an manchen Stellen der Champs Elysées, namentlich in der Nähe des Cours-la-Reine, gab. Zu einer Art Grube führte eine in dem fetten Erdreiche angelegte Treppe hinunter. An sie lehnte sich ein niedriger, schmutziger Bau, dessen Dach, mit Ziegeln hergestellt, auf denen dichtes Moos wucherte, kaum zur Erdoberfläche hinauf reichte. Als Keller und Schuppen dienten der erbärmlichen Spelunke ein paar wurmstichige Bretterhütten. Ein halbzerbrochenes Blechschild, ein von einem Pfeile durchbohrtes blutiges Herz darstellend, rasselte, vom Winde geschüttelt, hin und her.

      »Na, wie gefällt Ihnen unsere Stammkneipe?« fragte Bakel, Rudolf mit spöttischen Blicken messend; »aber ehe wir hinuntergehen, muß ich erst zusehen, ob der Wirt auch da ist.« – Dabei gab er mit der Zunge einen seltsamen Schnalzlaut von sich. Gleich darauf erklang von unten herauf ein ebensolcher Klang. – »Na, der Wirt ist also da« sagte Bakel; »Pardon, junger Mann! Immer den Damen das Vorrecht! Lassen Sie die Eule vorangehen. Ich schließe mich als letzter Ihnen an.

      Viertes Kapitel. Das blutende Herz

      Der Wirt dieser seltsamen Spelunke trat, nachdem er den Schnalzlaut des Gastes erwidert hatte, auf die Schwelle. Es war jener Mann, den Rudolf schon mehrere Tage in Alt-Paris gesucht hatte, und den er bisher bloß unter seinem Spitznamen Rotarm kannte. Es war ein bleicher, hagerer Mensch von etwa fünfzig Jahren, mit einem Gesicht, das mit seiner spitzen Nase und starken Backenknochen an dasjenige eines Marders erinnerte. Die kleinen schwarzen Augen mit ihrem scharfen, durchdringenden Blicke gaben ihm einen erstaunlichen Ausdruck von Schlauheit und Verstand. Auf dem schon stark ergrauten Hinterkopfe saß eine alte, schon stark vergilbte Perücke, die von seiner gelben Haut kaum abstach. Er trug, wie die Kellner in Weinschenken, eine graue Jacke und lange, schwärzliche Schürze.

      Kaum waren die drei Gäste die Treppe hinunter, als ein Kind von höchstens zehn Jahren, klein, lahm und verwachsen, aber mit klugem, wenn auch bleichem, kränklichem Gesicht, zu dem Wirte trat. Auf den ersten Blick sah man, daß es dessen Sohn war, denn es sah ihm wie aus dem Augen geschnitten ähnlich, hatte denselben scharfen, durchdringenden Blick, auch seine Stirn verschwand fast unter dem Walde von gelblichen, harten, borstenähnlichen Haaren. Das braune Beinkleid und die graue Kutte, die er anhatte, wurden durch einen Ledergürtel über der Taille gehalten.

      »Na, da ist er ja, unser kleiner Hinkefuß«, sagte Bakel, »Finette, tummle dich! Der Abend bricht herein. Wir müssen die Zeit, so lange es noch hell ist, wahrnehmen.« – Zu Rotarm gewandt, setzte er hinzu, dessen mit dünner Fistelstimme gesprochenen Gruß durch ein paar Klapse auf die Schulter erwidernd: »Hörst du, meine Frau braucht auf eine Viertel- oder halbe Stunde deinen Jungen. Sie hat auf dem Wege hierher etwas verloren. Er soll ihr suchen helfen.« – Rotarm blinzelte dem Räuber zu und befahl seinem Jungen, der Eule zu folgen. – Der häßliche Junge, durch das boshafte und häßliche Gesicht der Eule angezogen, hinkte zu ihr heran und ließ ihr seine Hand ... »Na, solche artigen Kinder läßt man sich doch gefallen,« sagte die Einäugige; »da war ich freilich mit meinem Balge schlimmer dran; die ekelhafte Jöhre zog immer, wenn ich sie rief, ein Gesicht, als wenn sie Essig geschluckt hätte. Na, dann komm, Hinkebein! Männchen,« dann wandte sie sich an Bakel, »ich werde auf der Stelle wieder da sein.«

      Rudolf mußte sich, um den Weg zur Tür herein zu finden, bücken. Als er in die wunderliche Schenke trat, sah er auf den ersten Blick, daß sie aus zwei getrennten Räumen bestand. Zwei schmale Fenster mit kleinen, von Spinnweben überdeckten Fenstern erhellten sie kaum. An ihren Wänden hing feuchter Schimmel. Rotarm und Bakel hatten, während Rudolf sich durch die Tür zwängte, Zeit gefunden, schnell ein paar leise Worte, von mancherlei geheimen Zeichen begleitet, zu wechseln ... »Ich trinke einen Becher Schnaps«, sagte der Räuber, sich an einen der kleinen grünen Tische setzend, die in der andern Stube standen.

      Hier unten wurde es so dunkel, daß niemand den dort gähnenden Eingang zu den fast immer durch eine Falltür geschlossenen Keller hätte sehen können. Dicht bei ihm stand der Tisch, an den sich der Räuber setzte, und zwar so, daß er das dunkle tiefe Loch mit dem Rücken vor Rudolfs Augen vollständig verdeckte. Rudolf blickte, um die Unruhe, die ihn quälte, zu verbergen, zum Fenster hinaus. Er hatte Bange, daß Murph doch die wenigen, zudem undeutlich geschriebenen Worte auf dem zusammengeknüllten Papiere nicht völlig verstanden haben möchte, und daß ihm in letzter Stunde noch die Gelegenheit, Kenntnis von den Geheimnissen zu erhalten, die ihn so lebhaft beschäftigten, entgehen möchte. Daß er es mit einem hinterlistigen Mörder zu tun hatte, der vor keiner Gewalttat zurückschreckte, und dessen Kraft und Gewandtheit der seinigen kaum nachstehen mochten, darüber war er sich keine Sekunde im Zweifel.

      Anderseits waren ihm starke Aufregungen derart zum Bedürfnis geworden, daß er in den Hindernissen,


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