Dr. Norden Bestseller 334 – Arztroman. Patricia Vandenberg
raffte das Geld zusammen, und als er Zeit gewinnen wollte, gab der Räuber einen Schuß ab, der die Schalterbeamtin an der Schulter traf. Die Kunden hatten sich auf den Boden legen müssen, und es war verständlich, daß ihre Angst jetzt noch größer wurde. Geistesgegenwärtig und so, als wäre sie schwerverletzt worden, hatte Rita Drexler, die Getroffene, sich zu Boden fallen lassen. Dadurch mochte sie den Räuber zusätzlich irritiert haben, aber ihr gelang es, den Alarmknopf zu drücken, während er nun das Geld zusammenraffte und flüchtete, während er noch zwei Schüsse, die ungezielt waren, abgab.
Kurze Zeit später vernahm man auch in Dr. Nordens Praxis das Martinshorn. Die neue Patientin Sally Kirk stand am Fenster des Sprechzimmers und starrte auf die Straße.
Marlies Höller lag im Labor und bekam Blut abgenommen. Sie sollte auf jeden Fall gründlichst untersucht werden, da Dr. Norden eine schon beträchtliche Entzündung um den Zeckenbiß herum festgestellt hatte, obwohl Marlies gesagt hatte, daß sie das blöde Tier abgestreift hatte. Dr. Norden hatte sie aufgeklärt, daß dies nichts nutze, wenn sich der Kopf der Zecke bereits festgesaugt hätte.
Dieter Sommer hatte durch Franzi bestellen lassen, daß er im Café Fenstergucker auf Marlies warten würde, und so was richtete man gern aus. In der Praxis von Dr. Norden waren schon manchmal herzliche Freundschaften entstanden, und dreimal hatten Bekanntschaften auch zur Heirat geführt.
Daß sich aber ein Bankräuber in die Praxis flüchtete, geschah zum ersten Mal, und Dorthe hatte völlig arglos und unbefangen auf den Türöffner gedrückt, als der Türgong ertönte.
Im gleichen Augenblick stand auch Sally Kirk in der Tür des Sprechzimmers, und sie hatte auch so einen Revolver in der Hand wie der junge Mann, der durch die Tür eingetreten war.
»Ruhe bewahren, sonst schießen wir«, sagte Sally Kirk. »Hier ist doch auch noch was zu holen.«
Dorthe mahnte sich zur Ruhe. »Ein paar hundert Euro«, sagte sie. »Bei uns läuft alles über Konto.« Ihre Stimme klirrte. Sie sprach laut. Sie hatte die Sprechanlage zu Dr. Nordens Sprechzimmer eingeschaltet, ohne daß es bemerkt worden war. Dr. Norden konnte also hören, was sie sagte. Und auch sein Patient, Gustav Conrad, hörte es.
»Da scheint sich etwas zu tun, womit nicht zu rechnen war«, sagte er. Zufällig war er Privatdetektiv und konnte sofort kombinieren. »Jetzt heißt es nur Ruhe bewahren, Dr. Norden.«
»Meine Patienten, Dorthe und Franzi dazu, ich kann doch nicht einfach abwarten«, sagte Daniel Norden heiser.
»Sie könnten aber alles nur schlimmer machen. Eine Waffe haben Sie wohl nicht?«
»Nein, wozu auch?«
»Das Telefon, Notruf, lassen Sie mich das machen.«
Aber Gustav Conrad konnte nichts erreichen. Die Leitung war bereits tot.
Dann stand Sally Kirk schon im Rahmen, mit der Waffe in der Hand.
»Ganz ruhig verhalten«, sagte sie, »sonst kracht es.«
Wo habe ich diese Stimme schon mal gehört? ging es Daniel Norden blitzschnell durch den Sinn.
Wo habe ich diese Frau schon mal gesehen, aber bestimmt nicht so, wie sie jetzt aussieht. Hinter seiner Stirn arbeitete es fieberhaft, aber er blickte auch auf die Waffe.
»Sie werden jetzt Ihrer Frau sagen, daß sie eine Million beschaffen soll, Dr. Norden«, sagte Sally, »oder Sie sprechen gleich mit Ihrem Bankdirektor. Eine Million in Hundertern.«
Daniel sah, wie ihm Gustav Conrad zuzwinkerte. Und der drehte sich jetzt um.
»Ich könnte die Million schon beschaffen, wenn Sie etwas Geduld haben«, sagte er.
»Wir haben Zeit«, sagte sie zynisch.
Profis sind das wenigstens nicht, dachte Daniel Norden, doch da vernahm er einen Schuß und schrak zusammen.
Aber auch diese Fremde, die sich Sally Kirk nannte, schien erschrocken.
»Was ist los, Mike?« rief sie, mit der Pistole herumfuchtelnd. Vielleicht hätten die beiden Männer sie überwältigen können, aber sie waren zu überlegt. Sie wollten keine anderen in Gefahr bringen, aber wie es schien, dachte der andere nicht so.
Dorthe wurde durch die Tür geschoben. Sie blutete stark oberhalb der rechten Brust. Sie taumelte, hielt sich aber bewundernswert tapfer.
»Wildwest in der Arztpraxis«, murmelte sie, »der Bursche ist high.«
Sally Kirk hatte das wohl nicht gehört, oder sie war durch das Blut irritiert.
»Du paßt auf die drei auf, ich halte die Leute im Wartezimmer in Schach«, sagte der Mann. »Telefonieren können sie nicht. Und Norden wird nicht riskieren, daß ich seine Patienten umlege.«
»Das werde ich bestimmt nicht«, sagte Daniel, »aber vielleicht sagen Sie mir, warum Sie ausgerechnet mich ausgesucht haben. Ich bin nicht reich.«
Er hatte noch keine Ahnung, was vorher geschehen war, denn die Funkstreifen fuhren hier oft genug mit Martinshorn vorbei. Dorthe hatte schon eher eine Ahnung, daß da vorher schon was gewesen sein mußte, aber sie hatte schon so viel Blut verloren, daß sich alles um sie drehte.
Dr. Norden leistete Erste Hilfe und wurde daran auch nicht gehindert. Sally schien Blut tatsächlich nicht sehen zu können. »Wenn Sie auf uns hören, passiert nichts«, murmelte sie.
»Das hier langt mir schon«, sagte Daniel zornig. »Denken Sie daran, daß auf Mord lebenslänglich steht.«
Sie duckte sich. »Die wird doch nicht gleich sterben.«
»Es kann möglich sein«, übertrieb er, »wenn ich sie nicht richtig versorgen kann, aber sie müßte in die Klinik.«
Er merkte schon, daß sie nervös wurde. »Mach bloß nicht mehr solchen Blödsinn, Mike«, schrie sie, »damit erreichst du nichts!«
Aber immerhin erreichten sie, daß sich niemand nach draußen verständigen konnte. Noch nicht. An Franzi aber dachte nur Dr. Norden.
Sie hatte sich geistesgegenwärtig verhalten. Sie war mit Marlies Höller im Labor, das am Ende des langen Ganges lag, und als der Schuß fiel, hatte sie die Tür verschlossen.
Sie hatte schon gemerkt, daß da etwas vor sich ging, aber sie hatte sich nicht auf die Stimmen konzentriert gehabt.
»Verhalten Sie sich ruhig«, sagte sie zu der Patientin. »Ich werde jetzt telefonieren.«
Marlies dachte mehr an ihren Zeckenbiß als an andere Gefahren, und auch an den netten Dieter Sommer dachte sie. Durch die Spritzen war es ihr auch ein bißchen schwummerig, an einen Überfall dachte sie überhaupt nicht. Dr. Nordens Praxis war auch sehr weitläufig, und darauf baute Franzi. Aber als sie dann auch merken mußte, daß die Telefonleitung tot war, wurde es ihr doch anders. Sie trat ans Fenster. Es ging zur Hofseite hinaus, und da parkten auch meist nur Autos, und Menschen hielten sich nur kurz auf. Aber zu ihrer Freude sah sie einen Polizeibeamten.
Sie öffnete das Fenster und warf ein leeres Fläschchen hinunter, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Und tatsächlich hatte sie ziemlich genau gezielt.
Er blickte hinauf, und sie winkte. Dann schrieb sie rasch etwas auf einen Zettel, knüllte ihn zusammen und warf ihn auch aus dem Fenster, doch der Wind trug ihn weiter. Aber der Beamte lief dem Papierknäuel nach und konnte es auch auffangen.
Er las: Hilfe – Überfall! blickte hinauf zu Franzi und nickte.
Sie sah, wie er sich entfernte und schloß das Fenster.
»Ganz ruhig sein«, sagte sie zu Marlies. »Haben Sie Angst?«
»Momentan nur wegen der Zecken«, murmelte Marlies, obwohl es ihr auch nicht mehr geheuer war, denn man hörte auch hier ein lautes Schreien. »Ich will raus hier, ich will zu meinen Kindern.« Und dann fiel wieder ein Schuß.
Für Daniel Norden waren das schreckliche Minuten, die zur Ewigkeit wurden, aber er nahm alle Energie zusammen und sagte zu