Die junge Gräfin 21 – Adelsroman. Michaela Dornberg

Die junge Gräfin 21 – Adelsroman - Michaela Dornberg


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tle>Die junge Gräfin – 21 –

      Alexandra von Waldenburg strich sich wie erwachend über die Stirn, als gelte es, einen bösen Spuk zu vertreiben. Aber das, was sie gerade erlebt hatte, war kein Spuk, und im Grunde genommen war es auch nichts Entsetzliches, sondern die Reaktion ihrer Schwägerin Marion auf ein traumatisches Erlebnis.

      Vielleicht hatte Marion etwas überreagiert, aber welche Mutter würde das nicht nach einer zum Glück glimpflich abgelaufenen Entführung ihrer Tochter tun.

      Ihr Bruder Ingo, der Vater der kleinen Michelle, hatte zwar nichts mit der Entführung zu tun, er hatte, ganz im Gegenteil, der Polizei wichtige Hinweise gegeben. Aber Fakt war auf jeden Fall, dass er die Entführer kannte aus seiner Zeit als Zocker.

      Er hatte zwar glaubhaft versichert, mit dem Spielen aufgehört zu haben, in einer Therapie zu sein, mit diesen Leuten nichts mehr zu tun zu haben.

      Sie hatte ihm das abgenommen, ihre Eltern auch. Aber beispielsweise ihre Schwester Sabrina glaubte nicht an die Läuterung Ingos.

      Und war es dann Marion, seiner geschiedenen Frau, zu verdenken, dass sie auch erhebliche Zweifel hatte?

      Dass sie Angst hatte, eine solche Entführung könne sich wiederholen?

      Die kleine Michelle war das schwächste Glied in der Kette. An Kinder kam man am schnellsten dran, das hatte man ja gesehen. Es wäre niemand auf den Gedanken gekommen, Michelle könnte aus dem Kindergarten entführt werden.

      Auch wenn Michelle nicht von Waldenburg hieß, sondern Bouvier, wie ihre Mutter, die nach der Scheidung ihren Mädchennamen wieder angenommen hatte. Man musste nicht mit übermäßigen Geistesgaben gesegnet sein, um zusammenzählen zu können, dass Michelle eigentlich ein Nachkömmling der reichen ­Grafenfamilie von Waldenburg war und demzufolge erfolgreich erpressbar.

      Alexandra bekam eine Gänsehaut, als sie daran dachte, welche Ängste sie ausgestanden hatten, als Michelle aus dem Kindergarten verschwunden war, abgeholt mit einer gefälschten Vollmacht.

      Marion hatte einen Nervenzusammenbruch erlitten, und ihre Nerven hatten auch blank gelegen. Niemand war von der Entführung unberührt geblieben. Selbst Ingo, der Kindesvater, der leider mit seiner Tochter bislang nichts am Hut gehabt hatte, war sofort angereist.

      Alexandra seufzte.

      Ingo, ihr Bruder …, ihr Halbbruder, wie sie mittlerweile wusste.

      Auch wenn der Anlass ein trauriger gewesen war, hatte es sie sehr gefreut, ihn wiederzusehen. Und es hätte sie glücklich gemacht, wenn er geblieben wäre.

      Meinte er es ernst damit, dass es ihn freuen würde, eine Beziehung zu seiner Tochter aufzubauen?

      Würde er sich bei ihnen melden?

      Würde er diese Therapie durchhalten und sein Leben verändern?

      Wie schön wäre das!

      Denn das würde auch bedeuten, dass sie den Krieg beenden konnten, der zwischen ihnen tobte, seit ihr Vater sie und nicht Ingo zu seiner Nachfolgerin bestimmt hatte.

      Irgendwann, und sie hoffte, der Zeitpunkt würde bald kommen, würde sie mit ihm darüber reden. Sie würde ihm sagen, dass sie sich nicht danach gedrängt hatte, die Chefin des Hauses Waldenburg zu werden, auch wenn es sie natürlich stolz und glücklich machte, die Tradition der Waldenburgs fortsetzen zu dürfen, alles für die nächste Generation zu bewahren.

      Ob Ingo, wenigstens für sich allein, tief in seinem Herzen, zugeben konnte, dass er einen großen Fehler gemacht hatte, als er schon in Verhandlungen getreten war, um den Waldenburgschen Besitz zu verkaufen, wenn er die Nachfolge angetreten hätte?

      Alexandra wusste es nicht, und sie mochte jetzt auch nicht daran denken.

      Es war vorbei, sie hatte sich oft genug den Kopf deswegen zerbrochen, manch schlaflose Nacht verbracht. Ihre Mutter war an der Geschichte beinahe zerbrochen.

      Was Ingo anbelangte, da mussten sie jetzt ganz einfach nach vorne sehen und darauf hoffen, dass ihm die Therapie etwas bringen würde. Waldenburg stand ihm offen, trotz allem war er immer ihr großer Bruder gewesen. Und das würde er auch bleiben.

      Alexandra stand auf, um sich etwas zu trinken zu holen, dabei fiel ihr Blick auf die Fotos ihrer kleinen Nichten, die sie aus alten, schweren Silberrahmen anlachten.

      Anna, Celia, Melanie und Elisabeth, die Mädchen ihrer Schwester Sabrina und Michelle, Marions und Ingos Kind.

      Alexandra nahm Michelles Bild in die Hand, und ihre Augen füllten sich mit Tränen, wenn sie daran dachte, dass ihr Lachen nun bald nicht mehr durch das Schloss hallen würde.

      Sie würde nicht mehr auf ihren Schoß klettern, um sie zu bitten, etwas vorgelesen zu bekommen, sie würden nicht mehr miteinander spielen, nicht mehr puzzeln, und sich nicht mehr in dem weitläufigen Schloss Waldenburg verstecken.

      Alexandra stellte das Foto wieder weg und wischte sich energisch die Tränen aus dem Gesicht.

      Jetzt war sie es, die überreagierte.

      Marion zog mit Michelle nicht bis ans Ende der Welt, sondern nach Kaimburg zu Olaf Christensen.

      Irgendwann wäre das doch ohnehin geschehen, denn Marion und Olaf waren miteinander verbandelt.

      Außerdem war er auch ihr ein guter Freund, und sie wusste, dass sie in seiner Wohnung jederzeit herzlich willkommen war. Und Marion würde absolut nichts dagegen haben, wenn sie sich Michelle ab und zu auf Schloss Waldenburg holte.

      Sie reagierte so, weil sie Angst vor der Einsamkeit hatte, die sie nach dem Auszug der beiden umhüllen würde wie ein schwarzes Tuch.

      Es war so schön und unbeschwert gewesen mit Marion und Michelle.

      Sicherlich wäre alles viel erträglicher, wenn sie noch mit Mike zusammen wäre, der sie verlassen hatte, weil sie Joe, der eigentlich Joachim Graf von Bechstein hieß, nicht vergessen konnte.

      Wie verrückt!

      Schon die erste Begegnung mit Joe hatte ausgereicht, sein Bild in ihrem Herzen tief einzubrennen, und das unverhoffte zweite Zusammentreffen hatte ihr den Boden unter den Füßen weggezogen und all ihre Gefühle wieder nach oben gespült, wie ein Tsunami, dem man machtlos ausgesetzt war.

      Jetzt brauchte sie kein Wasser, jetzt musste etwas Anderes her, etwas Stärkeres!

      Welch ein Glück, dass sie die Karaffe mit dem Cognac noch nicht wieder nach unten gebracht hatte.

      Ihre Freundin Liliane hatte sie irgendwann einmal mit nach oben geschleppt, und sie hatte vergessen, sie wieder nach unten zu bringen.

      Das exquisite Kristallglas stand auch noch da.

      Alexandra hielt es prüfend gegen das Licht, es blinkte blitzsauber. Vermutlich hatte eines der Mädchen es gespült und wieder hingestellt.

      Wie auch immer, gut war, dass der Cognac hier noch stand.

      Alexandra nahm den silbernen, fein zisilierten Stopfen von der Karaffe und goss etwas von dem bernsteinfarbenen Cognac in das Glas.

      Sie schwenke das Glas, schnupperte daran. Dieser alte Cognac roch ganz wunderbar.

      Sie nippte daran, Lil hatte ihn geradezu enthusiastisch gelobt und vor lauter Entzücken die Augen verdreht.

      Sie konnte dem nicht so viel abgewinnen, weil sie ganz einfach lieber Wein trank und etwas Stärkeres nur im Notfall. Und das jetzt war auf jeden Fall einer, dachte sie, während sie, mit dem Glas in der Hand zu einem Sessel ging und sich hineinfallen ließ.

      Joe.

      Mit Schmerz und Verzücken dachte sie an den Mann, in den sie sich mit einer nicht zu beschreibenden Urgewalt verliebt hatte.

      Ihm war es auch nicht anders ergangen.

      Warum hatte das Schicksal ihnen einen Streich gespielt, und ein weiteres Treffen verhindert?

      Halt!

      Stop!

      Alexandra wies sich selbst zurecht.

      Es


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