Die junge Gräfin 21 – Adelsroman. Michaela Dornberg
Herzweh, Trennungsschmerz, das waren keine Gründe.
Als sie draußen in der Halle zufällig in einen der kostbaren alten Spiegel blickte und ihr bleiches Gesicht sah, eilte sie rasch nach oben. Sie musste nicht wie ein Häufchen Elend vor ihre Verhandlungspartner treten.
Eines konnten Frauen zum Glück.
Sie konnten sich die Spuren von Kummer ganz einfach wegschminken. Und genau das würde sie jetzt tun.
*
Vielleicht lag es an den erfolgreich verlaufenen Verhandlungen, aber vielleicht auch daran, dass Alexandra sich besprochen hatte, sich nicht so sehr hängen zu lassen.
Joe und Mike waren verloren, Marion und Michelle nicht aus der Welt.
Sie würde aus ihrem Leben das Beste machen, und das war für den Moment eigentlich schon, nicht jammervoll zu sein und das Beste aus der derzeitigen Situation zu machen.
Ansonsten hatte sie beschlossen, hoffnungsvoll in die Zukunft zu sehen. Negative Gedanken blockierten nur. Auf einem dürren, ausgetrockneten Boden konnte nichts wachsen.
Sie konnte weinen, jammern, mit dem Kopf gegen die Wand rennen. Es würde sich an der gegebenen Situation nichts verändern.
Von ihrem Vater hatte sie gelernt, immer nach vorne zu blicken. Das war gewissermaßen ein Markenzeichen der Waldenburgs, die hatten sich niemals durch überhaupt nichts von ihrem Weg abbringen lassen, selbst dann nicht, als das Schloss abgebrannt war und so viele Schätze unwiederbringlich verloren gegangen waren.
Sie hatten Schloss Waldenburg wieder aufgebaut, und es war ein wunderschönes, vor allem praktisches Kleinod entstanden, in dem es keine zugigen Gänge, unendliche Flure und Treppen mehr gab und auch nicht viele kleine Fenster, durch die kaum Licht ins Innere kam.
Jedes Ding hatte zwei Seiten …
Alexandra nickte, weil es stimmte.
Sie trat aufs Gas, und ihr Auto schoss die lange Auffahrt zum Schloss entlang.
Dort angekommen sah sie sofort das fremde Auto. Sie parkte direkt daneben. Das konnte nur Rautgundis sein, die allerdings zu früh gekommen war, weit vor der vereinbarten Zeit.
Alexandra rannte die Stufen empor, riss die schwere Eichentür auf und stürmte in die Halle, wo sie praktisch von einem der Mädchen abgefangen wurde.
»Frau von Waldenburg, Sie haben Besuch. Frau von Sevelen wartet in der Bibliothek auf Sie.«
Alexandra nickte dem Mädchen freundlich zu. Es war jemand aus Kaimburg, die Tochter einer Küchenhilfe, die unbedingt auch auf einem Schloss arbeiten wollte. Aber dieses junge Ding stellte sich geschickt an.
»Danke, Therese«, sagte sie, dann eilte sie in die Bibliothek, wo sich Rautgundis sofort aus einem Sessel erhob.
»Entschuldige, Alexandra, ich bin viel zu früh«, sagte sie sofort. »Hoffentlich hast du deine Termine hinter dir, wenn nicht, dann warte ich selbstverständlich oder komme später wieder.«
»Du bist nicht zu früh, meine liebe Gundis, sondern gerade zur rechten Zeit hier, und nun hör endlich auf, dich zu entschuldigen, sondern lass dich begrüßen. Schön, dass du da bist«, rief Alexandra und nahm ihre Besucherin erst einmal herzlich in die Arme, mit der sie schöne Studentenjahre verbracht hatte.
Als sie sich nach der Begrüßung gegenübersaßen, warf Alexandra ihrem Gegenüber einen prüfenden Blick zu.
Gundis war sehr blass, aber irgendwie wirkte sie verändert, auf jeden Fall anders, als sie sie zuletzt bei deren Verlobungsfeier erlebt hatte.
Die ihr gegenübersitzende junge Frau erinnerte sie an die Gundis, die sie kannte. Nicht in ein Kostümchen gepresst mit sorgsam frisiertem Haar, sondern in Jeans und Shirt, bequemer Weste darüber und kurz geschnittenem Haar.
»Schön, dass du Zeit für mich hast, Alexandra«, sagte Rautgundis. »In meinem Leben ist einiges passiert, und das muss ich dir unbedingt erzählen. Schließlich hast du den Stein ins Rollen gebracht, als wir uns auf Sevelen miteinander unterhielten.«
Ja, vor dieser Verlobungsfeier, da hatte sie lange mit Gundis geredet, alte Zeiten heraufbeschworen, ihr dringend angeraten, nur das zu tun, was sie wirklich wollte, sie hatte sie beschworen, ihr eigenes Leben zu führen, nicht das ihrer Eltern, ihre Wünsche zu erfüllen, nicht das zu tun, was ihre Eltern für sie richtig fanden.
Aber das konnte es nicht sein, Rautgundis Baroness von Sevelen hatte keine eigene Meinung, sie folgte, wie ein kleines Kind, den Anweisungen ihrer Eltern. Sie hatte sich von ihrer großen Liebe Miguel getrennt, und sie hatte sich, auch weil das ihre Eltern wollten, mit dem wesentlich älteren, nicht unsympathischen Grafen von Warenthien verlobt.
»Den Stein ins Rollen gebracht?«, wiederholte Alexandra und fühlte sich ein wenig unbehaglich. »Hoffentlich hast du meinetwegen keinen Ärger.«
Rautgundis lachte.
Alexandra atmete insgeheim auf, dann konnte es so schlimm nicht sein.
Rautgundis hielt ihr die rechte Hand entgegen.
Ein wenig verwirrt schaute Alexandra darauf. Was sollte das denn jetzt bedeuten?
Sie blickte Gundis an.
»Und? Bemerkst du nichts?«
Alexandra zuckte die Achseln.
»Deine Hand, deine schöne Hand, um die wir dich alle beneidet haben, weil du so richtige Pianistenfinger hast.«
Rautgundis kicherte.
»Alexandra, guck genauer hin«, forderte sie ihre Freundin auf.
Wieder ein Achselzucken.
»Ich sehe noch immer deine Hand.«
»Guck auf den Ringfinger«, rief Rautgundis.
Allmählich dämmerte es Alexandra.
Der Finger war nackt und leer, es fehlte der bombastische Verlobungsring mit dem dicken, funkelnden Brillanten.
»Dein Ring …, was ist damit? Hast du ihn verloren?«
»Nein, an Guntram zurückgeschickt.«
»Ja, aber …«
Rautgundis ließ sie nicht aussprechen.
»Zusammen mit einem langen Brief«, fuhr sie fort, »in dem ich ihm einiges erkläre, ihm schreibe, dass ich ihn nicht liebe und deswegen die Verlobung auflösen möchte, weil ich ihn viel zu sehr respektiere als ihm zuzumuten, mit einer Frau zu leben, die ihn niemals lieben wird.«
Alexandra hätte mit allem gerechnet, aber damit niemals!
Sie starrte ihr Gegenüber an, als habe Rautgundis soeben in irgendeiner exotischen Sprache zu ihr geredet.
Sie war sprachlos.
»Da staunst du, was?«, kicherte Rautgundis.
Irgendwann nickte Alexandra.
»Allerdings«, ächzte sie. Für die nächsten Worte brauchte sie einige Zeit. »Bitte, Gundis, verrate mir, wie es dazu gekommen ist. Was sagen deine Eltern? Hat der Graf sich bereits geäußert …, und wie ist es zu diesem Schritt gekommen?«
Rautgundis trank etwas von ihrem Tee, der inzwischen serviert worden war, griff nach dem feinen Gebäck, knabberte daran.
Sie stellte die Tasse ab und wandte sich Alexandra zu, die voller Spannung zu ihr hinüberblickte.
»Das Leben geht manchmal seltsame Wege«, sagte sie. »Ich brachte für meinen Vater ein Expressgut zum Bahnhof, ging dann noch in die Bahnhofsbuchhandlung, schlenderte durch und wollte eigentlich schon wieder gehen, als mein Blick auf eine spanische Architekturzeitung fiel, die ich ganz spontan kaufte, eigentlich in erster Linie, um meine Spanischkenntnisse zu erneuern.«
Wieder trank sie ein wenig von ihrem Tee.
Konnte sie das jetzt nicht lassen, dachte Alexandra, in deren Kopf es zu arbeiten begann, aber