Die junge Gräfin 21 – Adelsroman. Michaela Dornberg
nur einmal praktisch auf dem Silbertablett präsentiert worden, und sie hatte alles daran gesetzt, ihm nicht begegnen zu müssen und hatte damit ihre Schwester Sabrina geradezu zur Weißglut gebracht, weil die es sich in den Kopf gesetzt hatte, sie und Joe zusammenzubringen.
Wie hatte sie aber auch ahnen können, dass ihr unbekannter Joe und Joachim von Bechstein ein und dieselbe Person waren?
Das hatte sie erst an der Taufe der kleinen Elisabeth mitbekommen.
Alexandra trank einen großen Schluck des Cognacs, schüttelte sich wie ein junger Hund, ehe sie das Glas abstellte.
Du liebe Güte!
Nie würde sie den Augenblick vergessen, als er zur Tür hereingekommen war an der Seite seiner Verlobten Benita Komtess von Ahnenfeld!
Da war es ihr wie Schuppen von den Augen gefallen, aber da war es auch zu spät gewesen.
Ehe ihr klar war, dass Joe und Joachim identisch waren, war sie froh gewesen, von Sabrina zu erfahren, dass er sich verlobt hatte.
Sie trank noch einen Schluck, obwohl sie wusste, dass der Cognac keine Lösung ihres Problems brachte, auch dann nicht, wenn sie ihn literweise in sich hineinschüttete. Aber eine wohlige Wärme breitete sich in ihr aus, nahm ihr ein wenig von der inneren Kälte.
Verrückt, verrückt, verrückt …
Sie hätte ihn haben können und hatte ihr Glück mit Füßen getreten. Und nun saß sie zwischen allen Stühlen.
Joe, so würde sie ihn immer nennen, war ein Ehrenmann, der würde zu seinem Wort stehen und diese langweilige, grässliche Benita nie verlassen, die auf ihn aufpasste wie die Wächter auf den englischen Kronschatz im Tower.
Klar, würde sie auch tun, so etwas wie Joe lief einem nicht oft über den Weg. Sie würde auch auf ihn aufpassen.
Aber immerhin, Alexandra trank ihr Glas leer, Sabrina hatte ihr erzählt, dass zwischen Benita und Joe nicht alles zum Besten stand, dass zwischen ihnen nicht Friede, Freude, Eierkuchen herrschte.
Benita wollte unbedingt geheiratet werden, aber Joe plante offensichtlich, seinen Vertrag in den Vereinigten Emiraten zu verlängern, und er meldete sich auch nicht so häufig bei seiner Verlobten.
Alexandra stand auf.
Sie war jetzt innerlich so aufgewühlt, dass sie unbedingt noch einen kleinen Cognac brauchte. Vielleicht war es nicht einmal der Cognac, den sie jetzt brauchte, sondern einfach nur etwas, an dem sie sich festhalten konnte. Und da bot sich dieses wunderschöne Kristallglas doch an.
Ausrede!
Sie schüttete sich noch ein klein wenig ein, dann lief sie nicht sofort zu ihrem Sessel zurück, sondern trat an eines der Fenster und presste ihre glühend heiße Stirn gegen die kühle Scheibe.
Diese unerfüllte Liebe zerriss sie fast.
Auch die Ungewissheit, nicht zu wissen, was Joe fühlte und dachte.
Sie hatte ihm glücklicherweise sagen können, warum sie nicht zu dem Treffen hatte kommen können.
Er war bei der zweiten Begegnung nicht minder erstaunt gewesen, denn er hatte nicht damit rechnen können, ihr bei der Grafenfamilie von Greven zu begegnen, und er war aus allen Wolken gefallen, dass sich hinter der jungen Frau Alexa die Gräfin Alexandra von Waldenburg verbarg, die zudem Sabrinas Schwester war, die mit ihm befreundet war und ihn so sehr mochte, dass sie ihn zum Patenonkel ihrer jüngsten Tochter Elisabeth gemacht hatte.
War auch er noch von seinen Gefühlen überwältigt?
Beschränkte er deswegen die Anrufe zu seiner Verlobten auf das Notwendigste?
Wollte er ihretwegen länger in den Emiraten bleiben, um die Hochzeit mit Benita hinausschieben zu können?
»Er hat sich nach dir erkundigt«, hörte sie die Stimme ihrer Schwester, »er wollte alles über dich wissen. Wenn er nicht verlobt wäre, könnte man meinen, er sei an dir interessiert.«
Alexandra wandte sich ab, vergaß ihr Cognacglas auf der Fensterbank.
Sie durfte sich nicht verrückt machen!
Sie musste Joe vergessen.
Er war verlobt, würde Benita von Ahnenfeld heiraten, und dass er seinen Vertrag verlängern wollte, lag ganz bestimmt nicht daran, dass er vor lauter Sehnsucht nach ihr, Alexandra, verging, sondern weil man ihm so hervorragende Konditionen bot, dass es dumm wäre, nicht darauf einzugehen.
Die Entführung Michelles, die ihr noch in den Knochen saß, das Wissen, dass Marion mit ihr in den nächsten Tagen ausziehen würde, die Gewissheit, Joe für immer verloren zu haben, machte sie richtig jammervoll.
Wenn sie doch wenigstens Mike hätte. Mit dem wäre sie jetzt verlobt, er und sie waren ein gutes Team gewesen. Sie hatten sich ganz hervorragend verstanden, hatten miteinander lachen können. Mit Mike hatte sie über alles reden können, und er war aufmerksam, liebevoll und zärtlich gewesen.
Warum hatte sie ihre Klappe nicht halten können und ihm unbedingt von Joe erzählen müssen?
Warum hatte sie Mikes Frage, ob sie Joe noch liebe, mit Ja beantwortet?
Warum hatte sie das getan? Sie kannte Joe überhaupt nicht. Vielleicht verwechselte sie Liebe mit romantischer Verstrickung, mit Träumen, die einem Zusammenleben in der Realität nicht standhielten. Bei Mike wusste sie, was sie an ihm hatte, hinter Joe stand nur ein großes Fragezeichen. Wenn es dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis tanzen. Alexandra konnte sich überhaupt nicht erinnern, wie oft sie sich diesen Satz bereits in die Erinnerung gerufen hatte, seit sie von Mike getrennt war. Was hatte sie denn geglaubt? Dass er sich mit der Rolle als Ersatzspieler zufriedengeben würde? Doch nicht Mike! Das war einer, der immer in der ersten Liga spielen wollte, und das war sein legitimes Recht. Mike war ein Supertyp, der nur mit dem Finger zu schnippen brauchte, und schon hätte er die tollsten Frauen an seiner Seite. Ob er bereits eine Neue hatte?
Dieser Gedanke tat Alexandra so richtig weh. Sie mochte ihn nicht weiter fortspinnen, deswegen ging sie rasch in ihr Badezimmer, um sich für die Nacht fertig zu machen. Eigentlich konnte sie das auch bleiben lassen, denn sie wusste schon jetzt, dass sie – wenn überhaupt – nur sehr schlecht schlafen würde. Kein Joe, kein Mike. Ihre Freundin Lil hatte ihr Herz erstaunlich schnell wieder an einen anderen vergeben, obschon sie nach der Trennung von Dr. Lars Dammer außer sich gewesen war.
Doch das war für Lil vergessen, Schnee von gestern, sie war glücklich und sehr verliebt in ihren Neuen und schmiedete eifrig Zukunftspläne.
Ein erneutes Seufzen.
Beneidenswerte Lil!
Wenn sie doch auch so denken könnte.
So erfolgreich Alexandra in ihrem Job war, so gut sie den Waldenburgschen Besitz verwaltete, mit privaten Beziehungen tat sie sich schwer.
Sie war niemand, der sorglos wie ein Schmetterling von einer Blüte zur nächsten flattern konnte.
Würde sie sich überhaupt noch einmal verlieben können?
Ging das denn, wenn in einem die unerfüllte Liebe zu einem anderen brannte?
Sie betrachtete sich aufmerksam im Spiegel.
Sie musste nicht eitel sein um zu wissen, dass sie gut aussah, doch um ihre Augen lag ein müder Zug, und von der Nase zu ihren Mundwinkeln hatten sich feine Kummerfalten eingegraben, die unbedingt wieder verschwinden mussten.
Sie wollte nicht wie eine jammervolle, verhärmte Frau aussehen. Abgesehen von ihrem Liebeskummer war das Leben schön – Michelle war wohlbehalten zurückgekommen, sie führte ein so privilegiertes Leben, hatte wunderbare Eltern, eine Schwester, mit der sie sich ganz hervorragend verstand, sie liebte ihre Nichten, schätzte ihren Schwager und dessen Vater, und sie hatte Freunde, auf die sie sich verlassen konnte, und …
Jetzt begann Alexandra ein wenig zu strahlen.
Sie war eine Waldenburg, nicht nur einfach eine, sondern genau die, die für das