Der kleine Fürst Classic 37 – Adelsroman. Viola Maybach

Der kleine Fürst Classic 37 – Adelsroman - Viola Maybach


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      »Was ist denn, Kind?« Liliane drehte sich zu ihr um. »Was stehst du da und träumst?«

      »Ich träume nicht, Omi!«, behauptete Alina und beeilte sich, ihrer Großmutter zu folgen. Ludovica und Ernst waren bereits nicht mehr zu sehen.

      *

      Es war Zufall, dass Marius beobachtete, wie Gräfin Ludovica ihr Opernglas liegen ließ, nachdem Graf zu Stolberg ihr in die elegante Abendjacke geholfen hatte. Er widerstand dem Impuls, sich einfach nicht darum zu kümmern – das wäre nicht nett gewesen. Eigentlich hatte er keine große Lust, sie anzusprechen. Nach allem, was er von Gero gehört hatte, war sie keine Frau, deren Bekanntschaft er gern machen wollte.

      Er überwand sich dennoch, nahm das Opernglas an sich und sagte, bevor die Gräfin und ihr Begleiter das Gebäude verließen, höflich: »Verzeihung, ich glaube, Sie haben das hier liegen lassen.«

      Ludovica drehte sich um und sah ihn verwundert an. Sicherlich vermutete sie einen der zahlreichen Tricks, mit denen Männer versuchten, ihre Bekanntschaft zu machen. Dann sah sie das Opernglas in Marius’ Hand. »Oh, vielen Dank«, sagte sie. »Das ist sehr freundlich von Ihnen.«

      Ihr Lächeln war gewinnend, ihre Augen lockten ihn, sich vorzustellen und ihr zu zeigen, wie beeindruckt er von ihr war. Marius fühlte Ärger in sich aufsteigen. Mit mir machst du deine Spielchen nicht, dachte er. »Bitte sehr, das war doch selbstverständlich«, erwiderte er mit kühlem Lächeln, deutete eine knappe Verbeugung an, drehte sich um und kehrte zurück ins Foyer, wo Gero ihn bereits aufgeregt erwartete. »Was sollte das denn? Plötzlich warst du weg – und dann sehe ich dich mit Ludovica reden. Was hat sie gesagt? Weiß sie, dass du mit mir hier bist?«

      »Gero, es ging überhaupt nicht um dich, entschuldige bitte. Sie hatte ihr Opernglas liegen lassen. Ich habe es ihr gegeben, das war alles. Können wir jetzt gehen?«

      Gero schluckte, dann nickte er. »Jo hat gefragt, ob wir noch eine Kleinigkeit essen gehen wollen. Was meinst du?«

      »Nichts dagegen«, erwiderte Marius.

      Gleich darauf kam Johannes, und sie verließen die Oper. Marius war in sich gekehrt und hörte nicht zu, was seine Freunde redeten. Er ärgerte sich über sich selbst: Er hatte sich nicht beeindrucken lassen wollen von Ludovica, doch nun musste er feststellen, dass es ihm nicht gelang, sie wieder aus seinen Gedanken zu vertreiben.

      Das passte ihm nicht. Es passte ihm ganz und gar nicht.

      *

      Auf Schloss Sternberg klingelte das Telefon. Eberhard Hagedorn meldete sich, aber er kam nicht einmal dazu, seinen Namen ganz auszusprechen, als er auch schon von einer aufgeregten Männerstimme unterbrochen wurde. »Herr Hagedorn, hier ist Strobel, ich muss unbedingt den Herrn Baron sprechen. Ich weiß, es ist schon sehr spät, aber die Sache duldet keinen Aufschub!«

      Der Blick des alten Butlers glitt unwillkürlich zu der großen Standuhr an der Wand gegenüber – es war bereits nach elf Uhr abends. Er wartete darauf, dass die Herrschaften aus München zurückkehrten, aber er wusste, dass das noch gut und gern eine Stunde dauern konnte. »Ich bedauere, Herr Strobel«, erwiderte er höflich, »aber die Frau Baronin und der Herr Baron sind noch unterwegs.«

      »Er hat wieder zugeschlagen, Herr Hagedorn!« Klaus Strobel war Oberförster in dem Waldgebiet, das zu Schloss Sternberg gehörte, und Eberhard Hagedorn wusste leider nur zu genau, was diese Worte bedeuteten: Seit einiger Zeit machte ein Wilderer die Wälder unsicher. Der Oberförster erregte sich weniger über den Verlust, der dadurch entstand, als vielmehr über die Art und Weise, wie der Mann das Wild erbeutete: Er erlegte es nämlich nicht mit einer Kugel, sondern er stellte Fallen auf, die die Tiere verletzten und vor ihrem Tod unnötig leiden ließen. Klaus Strobel war dem Mann schon öfter direkt auf den Fersen gewesen, doch in letzter Minute war er ihm immer wieder entwischt.

      »Ich habe zwei Fallen gefunden, eine war leer, in der anderen quälte sich ein kapitaler Hirsch, den ich töten musste. Es ist Tierquälerei, was dieser Mann macht, Herr Hagedorn.«

      »Und Sie sind sicher, dass er allein ist, Herr Strobel? Es könnten doch auch mehrere sein.«

      »Der ist ein Einzelgänger, das weiß ich so sicher, als hätte er mir bereits seinen Namen verraten!«, rief der Förster. »Wann erwarten Sie den Herrn Baron zurück, Herr Hagedorn?«

      Der Butler traf seine Entscheidung innerhalb von Sekunden. Er wusste, dass Baron Friedrich in diesem Fall mit Sicherheit sofort informiert werden wollte – selbst nach einem Opernbesuch. »Wenn Sie sich herbemühen würden, Herr Strobel?«, fragte er höflich. »In spätestens einer Stunde dürften die Herrschaften wieder hier sein – und ich denke, der Herr Baron würde gern persönlich mit Ihnen sprechen.«

      »Ich mache mich gleich auf den Weg, vielen Dank, Herr Hagedorn.« Es klickte, damit war das Gespräch beendet.

      »Schlechte Nachrichten, Herr Hagedorn?«

      Der Butler drehte sich um. Es war Marie-Luise Falkner, die junge Köchin, die ihm diese Frage gestellt hatte. Er nickte. »Der Wilderer hat wieder zugeschlagen, Herr Strobel war sehr aufgeregt.« Er berichtete ihr, was der Förster ihm erzählt hatte.

      »Wozu macht der das?«, fragte Marie-Luise. »Können Sie mir das mal erklären? Wenn er Jäger wäre, könnte ich es noch verstehen, obwohl er sich auch dann strafbar machen würde. Aber diese grässlichen Fallen, die die Tiere verletzen …« Sie schüttelte den Kopf. »Hoffentlich kann man ihm bald das Handwerk legen.«

      »Ja, das hoffen wir alle.«

      »Ich habe Kaffee gekocht – möchten Sie einen? Ich weiß ja, dass Sie nicht zu Bett gehen, bevor die Herrschaften zurück sind.«

      Eberhard Hagedorn lächelte die junge Frau erfreut ein. »Einen Kaffee trinke ich sehr gern, Marie-Luise.«

      Er folgte ihr in die Küche, wo sie ihr Gespräch fortsetzten.

      *

      »Ein ungehobelter Klotz!«, fauchte Ludovica. »Sich einfach umzudrehen und zu gehen, das gehört sich nicht.«

      »Aber du hast doch selbst gesagt, dass er dir dein Opernglas wiedergebracht hat«, wandte Alina ein. »Ich finde das sehr nett von ihm – und sehr aufmerksam.«

      »Danach hat er sich einfach umgedreht und ist wieder gegangen, das ist doch keine Art!« Ludovica konnte sich gar nicht beruhigen.

      Es war schließlich Graf Ernst, der dem Wortwechsel ein Ende bereitete, indem er vorschlug: »Wir sollten uns auf den Weg machen. Oder bin ich etwa der Einzige, der hungrig ist?«

      »Nein, das sind Sie nicht, lieber Graf«, sagte Liliane und schenkte ihm ein dankbares Lächeln, weil er zumindest versuchte, ihre verärgerte Enkelin auf andere Gedanken zu bringen. Ihr selbst war nicht entgangen, dass der Überbringer des Opernglases Ludovica tatsächlich bemerkenswert kühl behandelt hatte – er wusste offenbar, wer sie war, und er hatte ihr zeigen wollen, dass sie ihn nicht beeindruckte. Sie bedauerte, dass sie den Mann nicht kannte, sein Gesicht und seine Art, mit Ludovica zu reden, hatten ihr sofort gefallen.

      Sie ließen sich also in das Restaurant bringen, in dem Graf Ernst einen Tisch reserviert hatte. Dort herrschte Hochbetrieb – offenbar hatten nicht wenige Premierengäste den gleichen Gedanken gehabt wie sie, denn sie erkannten etliche Gesichter wieder, die sie zuvor in der Oper gesehen hatten.

      Ludovica blieb gereizt, und es wurde noch schlimmer, als eine Viertelstunde nach ihrem Eintreffen drei junge Männer das Restaurant betraten – zu ihnen gehörte der ›ungehobelte Klotz‹. Da die drei jedoch offenbar nicht reserviert hatten, wandten sie sich beinahe umgehend wieder zum Gehen. Der Blick des Mannes, der Ludovica das Opernglas zurückgebracht hatte, streifte sie gleichmütig – er schien sie nicht zu erkennen. Dann war er mit seinen Freunden auch schon wieder gegangen.

      »Er ist mit Gero befreundet!«, sagte Ludovica. »Und mit Jo!«

      »Von wem sprichst du, Kind?«, fragte Liliane erstaunt.

      »Ich habe nur laut gedacht, Omi!«

      Liliane


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