Der Landdoktor Classic 35 – Arztroman. Christine von Bergen

Der Landdoktor Classic 35 – Arztroman - Christine von Bergen


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in eine andere Dimension ein, eine andere Farbe. Von jetzt an würde nie wieder etwas so sein, wie es gewesen war. Das wusste sie. Einfach so, tief im Herzen. Der Mann, den sie um die Dreißig schätzte, trat jetzt aus dem Wasser und kam auf sie zu. Sie fühlte sich unfähig sich zu bewegen. Wie angenagelt blieb sie stehen, konnte sich seiner Anziehungskraft, die sie selbst auf diese Entfernung spürte, nicht entziehen. Er war groß und schlank und ging mit langen federnden Schritten am Ufer vorbei. Er machte den Eindruck, als würde er genau wissen, wohin er wollte. Sie schluckte. Ihr Herz schlug schneller.

      Kam er wirklich auf sie zu? Sie hatte den Eindruck. Was mochte er von ihr wollen? Oder lagen seine trockenen Sachen nur irgendwo in ihrer Nähe?

      Diese Gedanken schossen ihr durch den Kopf, während sie dem Fremden entgegen sah. Nur noch wenige Meter, dann hatte er sie erreicht. Ihr Herzschlag beschleunigte sich noch einmal. Sie erwartete, dass er an ihr vorbeigehen würde, im Abstand von zwei, drei Metern, vielleicht ein freundliches »Hallo« dabei murmelnd. Aber er blieb stehen, drei Schritte von ihr entfernt, und schenkte ihr ein Lächeln, das ihr weiche Knie machte.

      »Hey«, sagte er mit einer Stimme, die sehr dunkel, sehr weich klang.

      Jetzt erkannte sie, dass um seine tatsächlich tiefblauen Augen ein Kranz von Fältchen lag. Auch zu beiden Seiten seines sensibel geschnittenen Mundes zogen sich zwei scharfe Linien hinunter, die von einem ereignisreichen Leben erzählten.

      »Hey«, antwortete sie und lächelte zurück. Sie konnte gar nicht anders. Ihr Mund lächelte ganz von selbst, und sie war sich sicher, dass sich dieses Lächeln auch in ihren Augen widerspiegelte.

      Er gefiel ihr. Nein, es war viel mehr. Er faszinierte sie.

      »Ein schöner Tag«, sagte er leichthin. Dabei schien er es als ganz natürlich zu empfinden, dass er nur Badeshorts trug. Er verhielt sich so natürlich, als wäre er ein Stück dieser Natur.

      »Und so warm«, erwiderte sie mit belegter Stimme.

      Ihre Antwort hörte sich in ihren Ohren dümmlich an, aber ihr war nichts anderes, nichts Sinnvolleres eingefallen, obwohl sie sonst nicht auf den Mund gefallen war.

      »Das Bad war erfrischend«, führte er das Geplänkel fort, wieder mit diesem Lächeln, das sie gänzlich gefangen nahm. Dann schüttelte er den Kopf und warf sein Haar zurück. Schließlich ließ er sich ganz unbekümmert im Gras nieder, neben seinem Kleiderbündel, das sie übersehen hatte.

      »Erst mal abtrocknen«, sagte er wie zu sich selbst. Er schaute zu ihr hoch. »Setz dich doch. Der See ist für alle da.«

      Wie hypnotisiert folgte sie seiner Einladung, mit zwei Meter Abstand zwischen ihnen. Er blickte über die Wasserfläche, auf die die Mittagssonne funkelnde Reflexe warf.

      Mit hämmerndem Herzen folgte sie seinem Blick. Unbehagen machte sich in ihr breit, eine Gefühl von Beklemmung. Sie schwiegen, und dieses Schweigen mit einem ihr völlig unbekannten Menschen machte sie nervös.

      »Die kleinen Wellen zu beobachten ist faszinierend, gell?«, sagte der Fremde nun.

      Sie räusperte sich, um ihrer Stimme einen festen Klang zu geben.

      »Ja. Es hat so etwas Beruhigendes an sich«, antwortete sie, ohne ihn anzusehen. »Etwas Elementares. Das Wasser wird sich auch noch in Jahrhunderten bewegen.«

      Was rede ich denn da für einen Schwachsinn, schalt sie sich den Bruchteil einer Sekunde später. Sie spürte, wie ihr vor Peinlichkeit über diesen verbalen Müll die Röte in die Wangen stieg. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass er sie von der Seite ansah.

      »Das hast du gut ausgedrückt«, sagte er zu ihrer großen Überraschung ernst.

      Wieder schauten sie auf die Wasserfläche und wieder schwiegen sie. Sie bemerkte, wie er in die Tasche seiner zusammengelegten, abgewetzten Jeans griff und eine zerdrückte Zigarettenpackung sowie Streichhölzer herausnahm. Die Streichholzpackung trug die Aufschrift eines der teuersten Hotels im Tal, was sie verwunderte. Die verfärbten Turnschuhe neben der Hose wie auch das lappige schwarze T-Shirt sahen nicht gerade danach aus, als könnte er sich eine Übernachtung in dieser Nobelherberge leisten.

      Er bot ihr eine Zigarette an. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, danke.«

      »Stört es dich, wenn ich …?« Unsicher sah er sie an.

      Sie lächelte. »In dieser Weite schadet der Rauch niemandem.«

      Beim Anzünden der Zigarette fielen ihr seine schön geformten Hände auf. Sie waren groß, schlank, mit flachen gepflegten Nägeln. Sensible Hände. Am Handgelenk trug er eine Sportuhr. Er steckte Zigaretten und Streichhölzer zurück in die Jeans und rauchte mit entspannter Miene.

      »Wohnst du im Wiesler?« Sie konnte sich diese Frage nicht verkneifen.

      In seinem Blick lag Erstaunen. »Wie hast du das denn erraten?«

      Sie musste lachen. »Die Streichholzpackung …«

      Da schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und lachte auch. »Klar. Wäre ich ein international gesuchter Verbrecher, hättest du mich jetzt schon dingfest gemacht.«

      »Wahrscheinlich wärst du nicht so dumm, um mit deinem richtigen Namen dort einzuchecken, oder?« Sie warf ihm einen belustigten Blick zu.

      »Was ich in diesem Fall aber getan habe«, antwortete er augenzwinkernd.

      »Dann bist du auch kein international gesuchter Verbrecher. Zumindest kein besonders cleverer.«

      »Wer weiß?« Er sah sie intensiv an. »Womöglich bin ich so clever, dass ich dich jetzt hier gleich aus dem Weg räume, weil du mich verraten könntest.« Der Ausdruck in seinen blauen Augen wechselte plötzlich. Der gerade noch belustigte machte einem ernsten Platz, einem Blick voller Intensität.

      Sie schluckte, sah sich instinktiv um.

      Weit und breit war niemand zu sehen. War das jetzt Ernst oder Spiel?

      Eine Gänsehaut kroch ihr den Rücken hinauf. Sie stellte sich schon im Geiste die Schlagzeile in der Zeitung vor: Weibliche Leiche an einem Weiher im Ruhweiler Tal gefunden. Vom Täter fehlt jede Spur.

      Da hörte sie das angenehm klingende Lachen des Fremden, das tief aus dem Bauch kam.

      »Keine Angst, ich bin ganz harmlos«, beruhigte er sie, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Er streckte ihr die Hand entgegen und stellte sich vor: »Sebastian Klerner.«

      Sie blinzelte.

      Sebastian Klerner? So hieß einer ihrer Lieblingsmaler. Nein, das konnte unmöglich sein.

      »Michaela Lehmann«, entgegnete sie und drückte seine Hand, die sich trocken und warm anfühlte. Eine Hand, die Vertrauen einflößte.

      »Bist du von hier oder machst du hier Urlaub?«, erkundigte er sich, nachdem er an seiner Zigarette gezogen hatte.

      »Ich lebe und arbeite hier. Vor drei Tagen erst bin ich zurückgekommen.«

      »Warum?« Offen lag sein Blick auf ihrem Gesicht.

      »Warum?« Die Frage verwirrte sie. »Nun, weil ich die Gegend liebe, weil ich mich entschlossen habe, hier zu leben.«

      »Was machst du beruflich?«

      »Ich bin Hebamme.«

      Er nickte mit anerkennender Miene. »Ein seltener Beruf, aber ein schöner. Er hat etwas mit Leben zu tun.«

      Sie nickte.

      Genau dies war der Grund, warum sie Hebamme geworden war. Sie erfreute sich an jedem Baby, das sie ans Licht der Welt bringen durfte.

      »Und du? Bist du auf der Durchreise?« Voller Neugier sah sie ihn an.

      »Sind wir das nicht alle?« Sein tiefer Blick irritierte sie genauso wie diese philosophisch anmutende Frage.

      »Irgendwie schon«, stimmte sie ihm zu und schwieg.

      Sebastian Klerner schien ein ernsthafter Mensch zu sein, der sich Gedanken


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