Der Landdoktor Classic 35 – Arztroman. Christine von Bergen

Der Landdoktor Classic 35 – Arztroman - Christine von Bergen


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geschärftem Blick sah sie ihn an.

      Nein, sie hatte ihn früher noch nicht gesehen. Die Alten im Tal kannten sich, bei den Jungen war dies inzwischen anders.

      Wie gern hätte sie mehr über ihn erfahren. Seine verschlossene Miene riet ihr jedoch, keine weiteren Fragen mehr zu seiner Person zu stellen. Ob dieser Mann neben ihr vielleicht doch der berühmte Maler Sebastian Klerner war? Sie hatte schon einige Fotos von dem Künstler gesehen. Er war ebenfalls blond, groß und schlank, aber auf diesen Fotos hatte er kurzes Haar gehabt und eine Brille getragen. Außerdem waren es keine Nahaufnahmen gewesen. Der bekannte Maler stammte jedoch auch aus dem Süden Deutschlands.

      Sie räusperte sich und drückte entschlossen den Rücken durch.

      Jetzt wollte sie es wissen.

      »Sag mal, bist du etwa Sebastian Klerner, der Maler?«

      Zuerst wirkte er überrascht, dann lachte er. »Bingo.« Sein Blick lag mit belustigtem Ausdruck auf ihr. »Interessierst du dich für Malerei?«

      »Sehr. Du hast doch gerade eine Ausstellung in Hamburg oder irre ich mich?«

      »Du irrst nicht.«

      »Warum bist du dann hier und nicht dort?«

      »Weil ich meine Ausstellungen hasse. Wenn ich sie besuche, dann nur in Verkleidung. Ich mag es nicht, von den Leuten angesprochen zu werden. Gefragt zu werden, warum ich den Baum blau und nicht rot gemalt habe und welcher Sinn hinter dieser Farbwahl steckt.«

      Sie lachte.

      Sie konnte ihn gut verstehen. Sie war auch kein Typ für die Öffentlichkeit. Sie mied Partys oder Großveranstaltungen. Sie liebte die Zurückgezogenheit, die Natur und den Austausch mit nur wenigen Menschen, das Gespräch in kleiner Runde.

      »Ich habe mich hier in den Schwarzwald abgesetzt, weil ich dem Trubel entfliehen wollte«, hörte sie Sebastian weitererzählen. »Aber wenn ich ehrlich bin, weiß ich noch nicht, ob diese Entscheidung richtig war.«

      Verblüfft über diese Bemerkung sah sie ihn an. »Warum nicht?«

      »Weil es nicht immer gut ist, nach vielen Jahren der Abwesenheit an den Ort zurückzukehren, an dem man noch Träume hatte.«

      »Aber deine Träume sind doch wahr geworden«, stellte sie erstaunt fest. »Du bist ein bekannter Künstler.«

      »Zumindest meine beruflichen.« Seine Stimme enthielt einen verbitterten Unterton, der ihr den Mut nahm, weitere Fragen zu stellen. Stattdessen vertiefte sie sich in den Anblick der Schwalben, die über dem kleinen See ihre Runden drehten.

      »Mir wird kühl«, sagte Sebastian in ihr Schweigen hinein und stand auf.

      Sie stand ebenfalls auf. Sie standen sich gegenüber, sahen sich an, beide unsicher, beide abwartend und beide innerlich zitternd, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

      »Okay, nett, dich kennen gelernt zu haben«, verabschiedete sich Sebastian. »Vielleicht sehen wir uns noch einmal.« Er zuckte mit den Schultern, was für sie so viel hieß wie: »Vielleicht auch nicht.«

      »Ja, das wäre nett«, antwortete sie betont leichthin, obwohl sie sich nichts sehnlicher wünschte, als ihn wiederzusehen.

      *

      Am nächsten Tag erreichte Dr. Brunner in der Vormittagsstunde ein alarmierender Ruf.

      »Patricia hat einen schweren Anfall«, teilte ihm Schwester Gertrud durch die Gegensprechanlage mit. »Sie müssen sofort zu ihr. Elisabeth ist völlig hilflos. Das Spray zur Erweiterung der Bronchialen zeigt keine Wirkung mehr.«

      »Sagen Sie den Patienten im Wartezimmer Bescheid«, wies der Landarzt seine Sprechstundenhilfe an.

      »Ist schon geschehen. Ihre Notfalltasche steht auch schon bereit.«

      Ein paar Minuten später hielt Matthias vor Elisabeths kleinem schmuckem Haus. Die Holztür stand offen. Er kannte sich im Haus aus und fand seine kleine Patientin sowie deren Großmutter im Kinderzimmer.

      Elisabeth Söntker zitterte am ganzen Leibe. Patricia saß gekrümmt und zuckend im Bett. Sie nahm ihn gar nicht wahr. In den dunklen Kinderaugen stand Panik. Willig ließ sie sich von ihm das Spray in den Rachen sprühen. Doch selbst die doppelte Dosis brachte keine Linderung des Anfalls. Elisabeth hielt ihre Enkelin im Arm und sprach beruhigend auf sie ein. Doch auch die liebevolle Zuwendung spendete keine Besserung. Im Gegenteil, Matthias gewann den Eindruck, als würde sich der Anfall stetig verschlimmern.

      »Ich werde ihr Aminophyllin spritzen«, sagte er zu Elisabeth, die daraufhin nur stumm nickte.

      Trotz des Aminophyllins steigerte sich Patricias Atemnot. Immer schneller schnappte sie nach Luft. Ihr Puls lag jetzt bei hundertzwanzig. Matthias strich seiner kleinen Patientin die feuchten Haare aus der Stirn.

      »Pscht, ganz ruhig«, sagte er sanft, obwohl er wusste, dass diese Worte in einer solchen Situation nicht halfen. Jetzt blieb nur noch eine Chance, Patricia zu helfen. Er musste einen Tubus einführen für den Fall, dass ihre Luftröhre bald gänzlich blockierte. In einer solchen Situation würde er die Hohlsonde, die zur Sicherung der Atemwege diente, nicht mehr eingeführt bekommen. Und dann würde es bis zum Erstickungstod nur noch ein kleiner Schritt sein.

      Ganz vorsichtig bog er Patricias Kopf nach hinten und öffnete ihren Mund. Patricias bereits apathischer Zustand kam ihm zu Hilfe, ganz behutsam den Endotrachealtubus durch die verengten Atemwege schieben zu können. Er arbeitete hoch konzentriert. Er durfte keinen Fehler machen. Eine Fehlintubation in die Speiseröhre hätte den Tod für das Mädchen bedeutet. Nachdem der Endotrachealtubus die engste Stelle passiert hatte, seufzte er erleichtert auf. Nun konnte Patricia ausreichend beatmet werden. Schon nach ein paar Atemzügen verbesserte sich ihr Zustand.

      Elisabeth sah ihn mit feuchten Augen an. Ein dankbares Lächeln zitterte um ihre Lippen. Beide beobachteten, wie sich der Anfall abschwächte. Endlich konnte Matthias seine Patientin von dem Tubus befreien.

      »Ich möchte sie mit in die Miniklinik nehmen«, sagte er zu ihrer Großmutter. »Zur Beobachtung.«

      Elisabeth nickte. »Ich packe ein paar Sachen ein.«

      *

      Michaela hatte ein ganz schlechtes Gewissen. Das Kälbchen war geboren worden, während sie zur Entbindung in der Kreisstadt gewesen war. Als sie am Spätnachmittag nach Hause gekommen war, hatte ihr Onkel stolz von dem neuen Familienzuwachs berichtet.

      Schade, dachte Michaela voller Bedauern. Sie war sich sicher, dass Patricia auf ihren Anruf wartete, und nun musste sie das Mädchen enttäuschen. Da war sie wohl zu voreilig bezüglich ihrer Versprechungen gewesen. Einige Zeit überlegte sie hin und her. Schließlich rief sie Elisabeth Söntker an und erklärte ihr die Situation.

      »Machen Sie sich keinen Kopf«, beruhigte Patricias Großmutter sie. »Wir haben zurzeit andere Sorgen. Patricia liegt seit heute Vormittag in der Miniklinik. Drei Tage soll sie dort zur Beobachtung bleiben. Sie hatte einen schweren Asthmaanfall.«

      »Das tut mir leid«, kam es Michaela aus vollem Herzen über die Lippen. Und plötzlich kam ihr eine Idee. »Wissen Sie was, Frau Söntker? Ich werde Patricia dort besuchen und ihr persönlich sagen, dass das Kälbchen inzwischen geboren ist.«

      »Da wird sie sich bestimmt freuen. Jetzt, da es ihr besser geht, ist ihr natürlich langweilig. Ich bin zwar bis eben bei ihr gewesen und wir haben Spiele gemacht, aber ein bisschen Abwechslung wird ihr gut tun. Zumal sie heute auch noch Geburtstag hat.«

      Nach dem Telefonat blickte Michaela auf die Uhr. Nein, jetzt war es schon zu spät für einen Krankenbesuch. Sie würde sofort am nächsten Morgen in die Miniklinik fahren. Vorher jedoch wollte sie noch eine Kleinigkeit kaufen. Kinder freuen sich immer über Geschenke.

      *

      Die Überraschung stand Patricia auf dem Gesicht geschrieben, als Michaela das gemütlich eingerichtete Krankenzimmer der Miniklinik betrat.

      »Wird das Kälbchen heute geboren?«, lautete


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