Dr. Laurin Classic 40 – Arztroman. Patricia Vandenberg
schon mal eine Fehlgeburt gehabt hat«, sagte Leon nachdenklich. »Man kann ja nicht wissen. Ich werde sie fragen müssen. Du weißt ja selbst, daß die eigentliche Gefahr erst bei dem zweiten Kind gegeben ist, gleich, ob ein erstes ausgetragen wurde oder nicht.«
»Dann wollen wir hoffen, daß dies nicht der Fall ist«, sagte Antonia. »Und nun erzähl mal von Dr. Petersen.«
»Ja, was soll ich da schon sagen, Antonia. Wir haben Glück gehabt. Er kann mehr, als ich erhofft habe. Eigentlich wäre er der geborene Chefarzt. Sicher in der Diagnose, jeder Situation gewachsen.«
»Soll das etwa heißen, daß du dich zur Ruhe setzen willst?« scherzte Antonia.
»Nein, weiß Gott nicht, aber es bleibt zu fürchten, daß er uns nicht lange erhalten bleibt.«
»Oh, ich weiß nicht. Ich glaube nicht, daß er unbedingt Karriere machen will. Er sucht Ruhe.«
»Schön wäre es ja. Ich hoffe auch, daß wir ihm mit dem hübschen Haus die Stellung schmackhaft gemacht haben.«
*
Dieses Haus betrat Dr. Petersen erst gegen elf Uhr abends. Er hatte noch gewissenhaft die Krankenberichte zweier Patientinnen studiert, die an diesem Tag eingeliefert worden waren, und danach hatte er sich mit Dr. Thiele unterhalten, der in dieser Nacht Dienst tat. Es hatte sich ganz von selbst ergeben, weil sie sich beide Gedanken über Frau Wenniger machten, der ein Eierstock entfernt werden sollte und die aus diesem Grunde unter schweren seelischen Depressionen litt.
Sie war gerade erst siebenundzwanzig Jahre alt geworden und wünschte sich sehnlichst Kinder.
Seit ihr Mann sie in die Klinik gebracht hatte, weinte sie unaufhörlich. Dr. Petersen hatte sie endlich beruhigen können. Sie war eingeschlafen.
»Dafür gebührt Ihnen ein Orden«, sagte Dr. Thiele. »Das hat nicht mal der Chef fertiggebracht. Wie ist es Ihnen gelungen, Kollege?«
»Ich habe ihr eindringlich gesagt, daß sie die Hoffnung auf ein Kind nicht aufgeben müßte.«
»Das ist augenblicklich aber nur ein frommer Wunsch. Wir wissen noch nicht, ob der zweite Eierstock auch zu retten ist«, sagte Dr. Thiele skeptisch.
»Aber was nützt es, wenn sie völlig verzweifelt an diese Operation herangeht? Sie braucht jetzt ihre ganze Widerstandskraft und einen eisernen Lebenswillen. Manche Leiden kann man nicht mit einer Operation heilen.«
Natürlich mußte ihm Dr. Thiele recht geben, nur hätte er soviel Einfühlungsvermögen bei dem anderen nicht vorausgesetzt. Doch nach diesem Gespräch ahnte er bereits, daß man wohl noch manche Überraschung mit ihm erleben würde.
Nun betrat Dr. Petersen das hübsche Haus, das dicht am Wald gelegen war. Als er durch den Garten gegangen war, hatte er gedacht, daß Ronald sich hier wohl fühlen müßte. Immer fühlte er sich beklommen, wenn er an seinen kleinen Sohn dachte, den er so selten gesehen hatte. Er empfand auch ein Schuldbewußtsein seiner Schwester Birgit gegenüber, die Ronald nun schon von Geburt an betreute.
Endlich konnte er sie nun beide zu sich holen, und doch bedrückte es ihn, daß er nicht vollends glücklich bei dem Gedanken war.
Als er Ronald zum ersten Mal im Arm gehalten hatte, war der einzige Gedanke gewesen, daß sein Leben das Leben seiner Mutter gekostet hatte. Darüber war Lars Petersen bis heute nicht hinweggekommen.
Als er nun den hellen Wohnraum betrat, fiel sein erster Blick auf die Fotografie, die auf einem niedrigen Schränkchen stand.
Ein anmutiges Gesicht blickte ihn an.
Seine Finger schlossen sich so fest um den schmalen Silberrahmen, daß sie ganz weiß wurden.
»Malita«, flüsterte er, »warum hast du mich verlassen?«
Die Jahre, die seit ihrem Tode vergangen waren, hatten den Schmerz nicht verlöschen lassen. Wie sehr hatte er dieses junge Geschöpf geliebt, das nur für so kurze Zeit eine glückliche Frau sein konnte. Seine Frau, Ronalds Mutter!
Wie ähnlich ihr der Junge war! Wie sollte er es nur ertragen, ihn Tag für Tag zu sehen und immer an Malita dabei zu denken?
Er mußte damit fertig werden. Der Junge brauchte ihn. Er konnte nicht alles Birgit überlassen. Sie war jung. Sie hatte ein Recht auf ein eigenes Leben. Auch ein Recht auf eigene Kinder.
Wir werden jetzt eine Heimat haben, ging es ihm durch den Sinn, ein schönes, ein friedliches Haus. Hier gab es Menschen, die Ronald wegen seiner etwas dunkleren Hautfarbe nicht als Fremdling betrachten würden.
Er liebte sein Kind. Er wollte es um sich haben. Ronald war Malitas Vermächtnis, alles, was von ihr geblieben war, außer der Erinnerung an eine unendlich glückliche, doch viel zu kurze Ehe.
Jetzt verspürte Lars Petersen das brennende Verlangen, mit seiner Schwester zu sprechen. Selbst auf die Gefahr hin, sie aus dem Bett zu holen, rief er sie an.
*
Birgit Petersen hatte leise den Hörer aufgelegt und wollte in ihr Zimmer zurückgehen. Auch sie empfand eine tiefe innige Freude, nun bald bei ihrem Bruder sein zu können. Es hatte sie froh gestimmt, daß Lars ihr mit so liebevollen Worten gesagt hatte, wie sehr er sich auf ein Wiedersehen freute.
»Biggi«, tönte ein Flüsterstimmchen an ihr Ohr, als sie den schmalen Gang der kleinen Wohnung entlangging.
Schnell ging sie in das kleine Kinderzimmer.
»Ich habe es läuten gehört«, sagte er. »Hat Daddy angerufen?«
»Ja, mein Liebling«, erwiderte sie zärtlich. »Jetzt werden wir bald zu ihm fahren.«
»Freut er sich auch?« fragte Ronald.
»Er freut sich sehr, und er hat ein sehr schönes Haus mieten können, in dem du ein großes Kinderzimmer haben wirst.«
Mit seinen großen samtenen Augen sah Ronald sie an. »Aber du bleibst bei mir«, flüsterte er flehend.
»Natürlich bleibe ich bei dir«, erwiderte sie.
Seine Ärmchen legten sich um ihren Hals. »Ich habe dich so lieb«, sagte er.
»Daddy mußt du auch liebhaben, Ronald«, sagte Birgit leise. »Ja, und nun schläfst du schön, mein Liebling. Morgen fangen wir mit dem Packen an.«
Wer weiß denn, wie lange Lars dort an der Prof.-Kayser-Klinik bleiben wird, dachte sie. Vielleicht treibt es ihn doch bald wieder hinaus in die Fremde.
Wenn er doch nur endlich über Malitas Tod hinwegkommen würde! Sie seufzte schwer.
Ronald schaute sie fragend an.
»Hast du wieder Sorgen, Biggi?« fragte er.
»Nein, Ronald. Ich freue mich. Einen schönen großen Garten werden wir haben. Du bekommst einen Sandkasten und eine Schaukel.«
»Und du machst dir keine Sorgen mehr«, sagte Ronald.
Sorgen hatte sie in ihrem jungen Leben wahrhaftig zur Genüge gehabt. Den Vater hatten sie früh verloren, die Mutter war leidend gewesen. Ein paar Wochen nach ihrem Tod war Lars nach Südamerika gegangen und hatte die damals achtzehnjährige Birgit mitgenommen.
Birgit blickte auf das Kind, das nun wieder eingeschlafen war. Ronalds Wange lang auf ihrer Hand. Die zärtliche Liebe und Anhänglichkeit dieses kleinen Jungen bedeuteten ihr so unendlich viel.
Hatte sie nicht manchmal sogar Angst davor, daß Lars doch wieder eine Frau finden und ihr Ronald dann wegnehmen könnte?
Jetzt wollte sie ihn nicht mehr hergeben.
Birgit Petersen war jetzt vierundzwanzig Jahre alt und ein sehr attraktives Mädchen. Silberblondes Haar umgab ein ovales Gesicht, das von klaren graugrünen Augen beherrscht wurde. Obgleich ihr Spiegelbild einen sehr erfreulichen Anblick bot, widmete sie ihm nur einen kurzen Blick im Vorübergehen. Sie ging noch nicht zu Bett. Sie mußte noch einige Übersetzungen machen. Das tat sie schon geraume Zeit für eine Firma, die geschäftliche Verbindungen