Dr. Laurin Classic 40 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Er hatte ihr immer genügend Geld überwiesen, aber Birgit war geistig viel zu rege, um die Tage so verstreichen zu lassen.
Mitternacht war längst vorbei, als Birgit ihre letzte Arbeit beendet hatte, die allerletzte, denn die kommenden Tage würde sie doch für die Vorbereitungen zur Reise brauchen.
*
Schwester Marie hatte am folgenden Tag Gelegenheit, neue Erkenntnisse über Dr. Petersen zu sammeln, nachdem er es tatsächlich fertiggebracht hatte, Frau Wenniger jede Angst vor der Operation zu nehmen. Sie war schon soweit gewesen, aus der Klinik davonzulaufen, und hatte damit einige Aufregung verursacht.
Inzwischen hatte sich Frau Wenniger entschieden. Für die Operation! Dr. Petersen hätte sie überzeugt, erklärte sie.
»Womit haben Sie sie überzeugt?« fragte Dr. Laurin. »Doch nicht etwa mit falschen Hoffnungen?«
»Nein«, erwiderte der andere ruhig. »Ich habe ihr die Situation ganz sachlich erklärt. In diesem Fall hat es doch keinen Sinn, falsche Hoffnungen zu wecken. Das Risiko ist zu groß. Ich habe es Frau Wenniger gesagt. Sie weiß jetzt, daß sie nur eine geringe Chance hat, Kinder zu bekommen, aber sie will diese Chance wahrnehmen.«
Dr. Laurin blieb skeptisch, aber als er selbst mit Frau Wenniger sprach, änderte sich das. Dr. Petersen schien tatsächlich Überzeugungskraft zu haben.
Die Operation wurde für den nächsten Tag festgesetzt. Frau Wenniger hatte ihre schriftliche Einwilligung gegeben, doch am Spätnachmittag kam ihr Mann, und auch er äußerte Dr. Laurin gegenüber seine Skepsis.
»Dieser Dr. Petersen hat meine Frau wohl hypnotisiert«, sagte er zu Dr. Laurin. »Sie haben mir doch selbst gesagt, daß wir uns nicht zuviel Hoffnung machen sollen, Herr Doktor. Und Sie sind der Chef.«
»Dr. Petersen hat meines Wissens Ihrer Frau auch gesagt, wie gering die Chance ist«, sagte Dr. Laurin. »Sie ist sich darüber im klaren.«
»Das ist es ja eben. Sie ist so optimistisch, obgleich sie es nun weiß. Ich verstehe das nicht.«
»Immerhin wäre der Allgemeinzustand Ihrer Frau ernsthaft gefährdet, wenn die Operation nicht durchgeführt wird«, sagte Dr. Laurin. »Das wollen Sie doch nicht?«
»Um Himmels willen«, sagte Wilhelm Wenniger. »Wenn es eben nichts nützt, dann adoptieren wir ein Kind, hat sie gesagt. Davon durfte man früher gar nicht reden.« Er machte eine kleine Pause.
»Ich möchte gern selbst mal mit Dr. Petersen sprechen, Herr Doktor. Geht das?« fragte Herr Wenniger.
»Selbstverständlich. Ich werde ihn rufen lassen.«
Nicht die kleinste Unsicherheit war Dr. Petersen anzumerken, als er kam. Dr. Laurin ließ ihn mit Herrn Wenniger allein. Eine Viertelstunde später sah er die beiden nebeneinander durch die Halle gehen. Wilhelm Wenniger sah den Arzt unentwegt an, und dann schüttelte er kräftig dessen Hand. Es war nicht zu übersehen, daß Übereinstimmung zwischen ihnen herrschte.
Am Nachmittag kam Tamara Roth. Hanna Bluhme hatte sie angerufen, denn die drei Tage waren noch nicht vergangen.
Tamara war bestürzt gewesen. Sie hatte ihrem Mann nichts von dem Anruf gesagt, weil sie ganz plötzlich von einem beklemmenden Gefühl erfaßt wurde. Sie sagte ihm, daß sie Besorgungen machen wolle.
»Vielleicht gehe ich noch zum Friseur«, sagte Tamara, als sie sich verabschiedete. »Ich werde mir die Haare etwas kürzen lassen.«
Jürgen zwinkerte ihr zu. »Soll das ein Wink mit dem Zaunpfahl sein?« fragte er. »Willst du mir zuvorkommen?«
»I wo, so darfst du es nicht auffassen.« Tamara fühlte sich schuldbewußt, weil sie Jürgen etwas verheimlichte.
Einmal hatte sie ihm etwas verheimlicht. Etwas ganz Entscheidendes sogar, aber da war sie der Überzeugung gewesen, daß die Wahrheit ihr Glück gefährden könnte. Sie hatte sich fest vorgenommen, ihm niemals wieder etwas zu verheimlichen, und nun bedrückte sie selbst diese kleine Ausrede.
»Ich gehe morgen auch zum Friseur«, sagte er lächelnd.
Tamara gab ihrem Mann noch einen Kuß.
»Du gefällst mir immer, Jürgen«, sagte sie zärtlich.
Was wäre, wenn das Bild zerstört würde, das er sich von mir macht? dachte Tamara Roth, als sie den Weg zur Prof.-Kayser-Klinik einschlug. Ihr Herz klopfte schmerzhaft. Eine wahnsinnige Angst war plötzlich in ihr. Warum eigentlich?
»Wir haben die Befunde schon«, hatte Hanna Bluhme am Telefon gesagt. »Es würde zeitlich heute gut passen, wenn Sie kommen könnten.«
Das brauchte doch nichts Besonderes zu sein. Sie war nicht krank. Sie fühlte sich pudelwohl, wie Jürgen immer sagte.
Sie gestand sich nicht ein, daß sie mit solchen Gedanken andere verdrängen wollte. Und doch überfielen sie diese mit Macht.
Nichts werde ich sagen, dachte Tamara. Es gehört der Vergangenheit an. Es ist längst vergessen. Aus einer Blutuntersuchung konnte man bestimmt nicht entnehmen, daß eine Frau bereits einmal eine Fehlgeburt hatte.
Kalter Schweiß trat ihr bei dem Gedanken auf die Stirn, und sie war sehr blaß, als sie bei Hanna Bluhme eintrat, um sich anzumelden.
Hanna sah das sofort. Sie hatte ihre eigene Art, aufmunternd auf die Patientinnen einzureden, und meistens hatte sie auch Erfolg. Auch Tamara Roth beruhigte sich. Die Farbe kehrte in ihr Gesicht zurück, und als Dr. Laurin nach zehn Minuten kam, wirkte sie wieder halbwegs frisch.
Ganz wohl war es Dr. Laurin allerdings auch nicht, als sie sich dann in seinem Sprechzimmer gegenübersaßen.
»Sie brauchen jetzt nicht zu erschrecken, Frau Roth«, begann er betont ruhig. »Die Blutuntersuchung hat ergeben, daß Ihr Rhesusfaktor negativ ist. Ich muß es Ihnen sagen, aber da es Ihr erstes Kind ist, fällt es nicht so sehr ins Gewicht. Allerdings darf ich Ihnen nicht verschweigen, daß es für jedes weitere Kind eine Gefahr wäre.«
Tamara war wieder tief erblaßt. Ihre Hände preßten sich aneinander. Sie fühlten sich feucht an, und auch auf ihrer Stirn erschienen wieder kleine Schweißtropfen.
»Inwiefern?« fragte sie heiser.
»Machen Sie sich nicht zu viele Gedanken«, sagte Dr. Laurin beruhigend. »Wir sind heute in der Medizin schon so weit fortgeschritten, daß wir auch da Maßnahmen ergreifen könnten, um die Gesundheit des Kindes nicht zu gefährden. Man muß beizeiten einen Blutaustausch vornehmen.«
»In welcher Beziehung könnte ein zweites Kind gefährdet sein?« fragte Tamara.
»Damit brauchen Sie sich gar nicht zu belasten. Es ist ja Ihr erstes Kind«, sagte Dr. Laurin. »Um jedoch ganz sicherzugehen, möchte ich doch die Frage an Sie stellen, ob Sie eventuell schon eine Fehlgeburt hatten.«
»Nein!« stieß Tamara hervor.
Dr. Laurin stutzte. Forschend blickte er sie an. »Dann ist ja alles soweit in Ordnung«, sagte er, aber irgendwie fühlte er sich unbehaglich.
»Möchten Sie mir nicht näher erklären, was eine Fehlgeburt damit zu tun hätte?« fragte Tamara. »Ich möchte gern mehrere Kinder haben. Gesunde Kinder«, fügte sie nach einem tiefen Atemzug hinzu. »Mit dem Rhesusfaktor habe ich mich erst beschäftigt, seit ich neulich bei Ihnen war. Mein Mann hat mir erklärt, daß nur fünfzehn Prozent aller Menschen den Rhesusfaktor negativ haben.«
»Ja, das stimmt. Wer zerbricht sich darüber schon den Kopf, wenn er nicht weiß, daß er davon betroffen ist. Immerhin bestünde auch die Möglichkeit, daß Ihr Mann ebenfalls Rhesus negativ ist.«
»Aber angenommen, ich hätte schon eine Fehlgeburt gehabt, könnte es Komplikationen geben?« sagte sie gepreßt.
»Allerdings.«
»Wieso?«
»Wissenschaftlich kann man das so erklären: Rhesusunverträglichkeit bedeutet Zerstörung der Hämolyse, auf Deutsch, der roten Blutkörperchen bei Neugeborenen. Wie