Der Bergpfarrer 253 – Heimatroman. Toni Waidacher

Der Bergpfarrer 253 – Heimatroman - Toni Waidacher


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n> Der Bergpfarrer – 253 –

      »Du lieber Himmel, wie schaust du denn aus?«

      Christel Waldmooser sah ihre Freundin und Kollegin erstaunt an. Hanna wischte sich müde über das Gesicht.

      »Frag’ bloß net«, erwiderte sie. »Ich hab’ die letzten beiden Nächte kein Auge zugemacht!«

      Christel ging an die kleine Anrichte, die neben dem Fenster des Büros stand, dort hatte die Kaffeemaschine ihren Platz. Die Sekretärin schenkte zwei Tassen ein und reichte eine an Hanna Behringer weiter.

      »Was ist denn bloß passiert?«

      Die junge Frau winkte ab.

      »Passiert ist eigentlich net viel«, entgegnete Hanna. »Bloß, dass ich einen Brief von daheim bekommen hab’ …«

      »Schlechte Nachrichten? Was Schlimmes?«, fragte Christel erschrocken.

      Hanna trank einen Schluck und nickte.

      »Kann man wohl sagen. Meine Schwester, die Lisa, die heiratet in ein paar Wochen.«

      Christel blickte sie erstaunt an.

      »Mehr net? Und deswegen hattest’ schlaflose Nächte? Ich dacht’ schon, es wär’ sonst was passiert!«

      »Ist es ja auch. Ich muss nämlich nach Hause!«

      Die Kollegin verstand sofort.

      »Auweia!«, entfuhr es Christel. »Du musst zur Hochzeit fahren …«

      »Genau, und einen Mann mitbringen, den ich net hab’.«

      Die Unterhaltung fand im Sekretariat der Firma »Brandt und Söhne« statt, einem Speditionsunternehmen, das in ganz Europa tätig war. Hier in München befand sich die Zentrale, in der alle Fäden zusammenliefen. Hanna Behringer und Christel Waldmooser teilten sich das Büro. Es war Montagmorgen, kurz nach acht Uhr in der Frühe, und ihr Dienst hatte gerade begonnen.

      Glücklicherweise kamen die Firmenchefs, Anton Brandt, sowie die beiden Söhne, Klaus und Manfred, nicht vor neun Uhr ins Büro, und die beiden Sekretärinnen konnten sich noch einen Moment unterhalten.

      »Was willst’ denn jetzt machen?«, fragte Christel.

      Hanna zuckte die Schultern.

      »Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht.«

      Seit am Samstagmorgen der Brief von ihrer Schwester gekommen war, hatte sie ein nervenaufreibendes Wochenende hinter sich. Hanna hatte stundenlang wach gelegen und hin und her überlegt, wie sie dieser drohenden Katastrophe entgehen konnte.

      Doch sie fand einfach keinen Ausweg. Zur Hochzeit ihrer Schwester musste sie nach Hause fahren, und die Familie, besonders die Eltern, erwartete, dass sie Robert mitbrachte, den Mann, dessentwegen Hanna vor drei Jahren ihre Heimat verlassen hatte und nach München gegangen war, um hier mit ihm – gegen den Willen ihrer Eltern – glücklich zu werden.

      Nur leider währte dieses Glück nicht viel länger, als ein paar Wochen, denn dann stellte sich Robert Gerke als Frauenheld und notorischer Fremdgänger heraus, und Hanna gab ihm den Laufpass.

      Dabei hatte alles so romantisch begonnen. Auf dem Tanzabend in St. Johann hatte sie ihn kennengelernt, und wie bei ihr, versicherte er, war es auch bei ihm Liebe auf den ersten Blick.

      Dass das ganz dreist gelogen war, merkte Hanna erst, als es zu spät war. Ihre Eltern hatten gleich keinen guten Eindruck von dem Mann, der es nicht für nötig erachtete, sich bei ihnen einmal vorzustellen.

      Zu undurchsichtig war Robert Gerke und auch gegenüber Hanna verstrickte er sich in Widersprüche, wenn er von seinem Beruf als angeblicher Finanzmakler redete, von seinem Haus in der vornehmen Villengegend in München.

      Doch Hanna war viel zu sehr verliebt, um über diese Widersprüche zu stolpern. Erst als sie in München ankamen, erfuhr sie, dass die Villa nicht Robert gehörte, sondern dem Chef seines Vaters, bei dem Richard Gerke als Chauffeur angestellt war. Er und seine Frau wohnten in einer kleinen Wohnung über den Garagen, Robert selbst hatte ein möbliertes Zimmer in einem ganz anderen Stadtteil.

      Die junge Frau verbarg ihre Enttäuschung und machte gute Miene zum bösen Spiel. Immerhin hatte sie sich mit den eigenen Eltern entzweit, um Robert zu folgen.

      Da konnte sie auf gar keinen Fall zurückgehen und sich daheim blamieren!

      Hanna suchte sich eine Arbeit. Bisher hatte sie auf dem elterlichen Hof gearbeitet. Nun fing sie in einer Fabrik an und lötete Elektroteile zusammen, die in Waschmaschinen eingebaut wurden. Eine eintönige Arbeit, aber immer noch besser, als auf der faulen Haut zu liegen – so wie Robert.

      Der kümmerte sich nicht um Arbeit und lebte schön auf Hannas Kosten. Und dann merkte sie sehr schnell, dass seine Liebe zu ihr stark abgeflaut war. Ja, Hanna kam dahinter, dass Robert sie betrog. In seiner Stammkneipe hatte er den Ruf eines Casanovas, und mehr als einmal sah Hanna ihn mit wechselnden Frauen im Arm.

      Klammheimlich packte sie ihre Sachen, schrieb ihm einen Abschiedsbrief und suchte sich eine Bleibe in einer Pension. Sie arbeitete fleißig, besuchte eine Abendschule und machte nach erfolgreichem Abschluss eine zweijährige Ausbildung zur Sekretärin. Mit ihren Englischkenntnissen fand sie rasch eine Anstellung in der Spedition, wo sie seit einem halben Jahr arbeitete.

      Beinahe drei Jahre hatte sie nicht mehr an Robert gedacht, und nun wurde er ihr ins Gedächtnis gerufen. Es hatte ungefähr sieben oder acht Monate gedauert, bis sie es wagte, Kontakt mit Zuhause aufzunehmen. Sie schrieb ihrer Mutter einen langen Brief, in dem sie um Verzeihung bat und sich wünschte, doch hin und wieder etwas von den Eltern und der Schwester zu hören.

      Tatsächlich kam ein Antwortbrief. Dann ein zweiter. Zuhause wollten sie wissen, wie es Hanna ging. Ob sie glücklich verheiratet sei, wann man mit ihrem und Roberts Besuch rechnen könne.

      Hanna ließ sich immer neue Ausreden einfallen, um diesen Besuch hinauszuzögern. Jetzt aber konnte es keinen Grund mehr geben, der die Heimfahrt verhinderte.

      »Deine Eltern kennen diesen Robert doch gar net, oder?«, fragte Christel.

      Hanna schüttelte den Kopf.

      »Sie haben ihn nie geseh’n.«

      Die Kollegin kratzte sich am Kopf.

      »Das vereinfacht die Sache natürlich«, schmunzelte sie.

      Hanna Behringer sah sie nicht verstehend an.

      »Wie meinst du das?«

      »Ganz einfach«, lachte sie. »Du bringst deiner Familie deinen Mann mit und stellst ihn endlich zu Hause vor.«

      Hanna sah die Freundin und Kollegin einen Moment an, als habe Christel den Verstand verloren.

      »Wie soll das denn bitt’ schön geh’n? Ich bin net verheiratet und hab’ keinen Mann! Schon vergessen?«

      Christel Waldmooser winkte ab.

      »Pah«, meinte sie, »heutzutage kann man alles mieten, warum net auch einen Ehemann?«

      *

      »Ich soll was?«

      Hanna wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.

      »Ich soll sozusagen einen Mann leasen?«, fragte sie noch einmal.

      »Klar. Wieso net? Es gibt da ganz seriöse Unternehmen, die männliche Begleiter vermitteln.«

      Hanna Behringer machte ein zweifelndes Gesicht.

      »Ich weiß net«, sagte sie, »ist das net ein bissel … anrüchig?«

      Ein anderes Wort fiel ihr nicht ein. Doch die Freundin schüttelte den Kopf.

      »Überhaupt net. Heutzutag’ gibt’s so viele Frauen in gehobenen Positionen, die haben meist gar keinen Mann, geschweige denn, dass sie verheiratet wären und eine Familie hätten. Denen geht die Karriere über alles. Und nun stell’ dir mal vor, so eine Geschäftsfrau ist aus irgendwelchen Gründen auf die Begleitung eines Mannes angewiesen. Dann nimmt sie eben solch einen Escortservice in Anspruch. Vielleicht ist besagte Dame auch nur einsam in ihrem Hotelzimmer


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