Der Bergpfarrer 253 – Heimatroman. Toni Waidacher
Urlaub geklappt hat«, meinte Waltraud Behringer im Gespräch. »Ich mein’, du, Robert, kannst es dir als selbstständiger Unternehmer ja einrichten. Aber bei Hanna stell’ ich’s mir schon ein bissel schwieriger vor.«
Die junge Frau schluckte, während Andreas sie überrascht ansah. Hanna bemerkte siedend heiß, dass sie etwas ganz Wichtiges vergessen hatten.
Sie hatten nicht über Robert Gerkes Beruf gesprochen!
Sie schüttelte unmerklich den Kopf und bedeutete ihm, nicht weiter darauf zu reagieren. Ihre Mutter ging aber auch nicht weiter auf das Thema ein. Sie schenkte Kaffee nach und forderte die beiden auf, noch mehr zu essen.
»Es ist wirklich alles sehr lecker«, sagte Andreas und lehnte sich zurück. »Aber jetzt geht nix mehr rein.«
Er sah Hanna an.
»Ich würd’ gern’ einen Spaziergang machen, Spatzl«, erklärte er. »Hast’ net Lust, mir ein bissel die Gegend zu zeigen?«
Sie nickte. Doch die Bäuerin machte einen anderen Vorschlag, der Hanna zusammenzucken ließ.
»Wollt ihr net erst mal euer Zimmer bezieh’n?«, fragte sie. »Vater hat extra die Kammer neben dem Dachboden für euch hergerichtet.«
Hanna sah Andreas an.
Schmunzelte er etwa?
Na warte, Bursche, wenn du dir da was ausrechnest, dann bist’ aber schief gewickelt, dachte sie.
Nie und nimmer schlaf’ ich mit dir in einem Bett!
*
Die Kammer erwies sich als recht geräumig. Früher, erinnerte sich Hanna, waren dort alte ausrangierte Möbel, Koffer und Kartons gelagert worden. Jetzt hatte sie einen neuen Anstrich bekommen, eine Lampe hing anstelle der nackten Glühbirne von der Decke, und vor dem großen Fenster hing ein bunter Vorhang. An der Wand stand ein großer Kleiderschrank, rechts hatten Tisch und zwei Sessel Platz gefunden.
Links stand, zu Hannas Entsetzen, das alte Doppelbett ihrer Eltern!
Es war frisch bezogen. Durch das geöffnete Fenster drangen frische Luft und Vogelgezwitscher herein. Es roch noch ein wenig nach der neuen Farbe.
Andreas hatte die beiden Koffer hereingetragen. Er setzte sie ab und schaute sich um.
»Ein richtiges Hochzeitsbett«, meinte er und ging ans Fenster und schaute hinaus.
»Bild’ dir bloß keine Schwachheiten ein!«, versetzte Hanna, froh darüber, dass ihre Mutter und die Oma zwei Stockwerke tiefer in der Küche saßen und die Unterhaltung nicht mithören konnten. »Wenn du denkst, dass wir beide da drin’ schlafen, dann bist’ ganz schön im Irrtum!«
Andreas drehte sich zu ihr um, einen seltsamen Ausdruck im Gesicht, den sie sich nicht erklären konnte. Er trat zu ihr und nahm ihre Hände.
»Was denkst du denn von mir?«, fragte er kopfschüttelnd und mit einem leicht amüsierten Unterton. »Selbstverständlich rechne ich mir nix aus.«
»Dann ist ja gut«, sagte Hanna.
Sie sah ihn an und fragte sich, warum bloß sie plötzlich den Wunsch hatte, von ihm geküsst zu werden …
Ein Geräusch ließ sie herumfahren. Hannas Mutter stand in der Tür und schaute ein wenig verlegen. Im Arm hatte sie einen Stapel Handtücher.
»Ich wollt’ net stören«, entschuldigte sie sich. »Die Handtücher …«
Hanna nahm sie ihr ab.
»Dank’ schön, Mutter«, sagte sie. »Und du störst ganz sicher net.«
Sie deutete auf die Koffer.
»Wenn wir ausgepackt haben, machen wir erst mal einen Spaziergang.«
»Ist recht. Lisa hat übrigens angerufen und gefragt, ob ihr schon da seid. Thomas hat einen Anzug gefunden, und sie machen sich auf den Heimweg.«
»Schön. Ich freu’ mich, die beiden wiederzusehen.«
»Und ich freu’ mich, meine Schwägerin und den zukünftigen Schwager endlich kennenzulernen«, meinte Andreas.
Waldtraud Behringer nickte.
»Gut. Dann lass ich euch erst mal allein’.«
Hanna legte die Handtücher in den Schrank. Ihre Mutter war wieder nach unten gegangen. Sie räumten die Koffer aus und stellten sie anschließend auf den Kleiderschrank, damit sie aus dem Weg waren.
»Du hast wirklich eine nette Familie«, bemerkte Andreas, als sie wenig später über den Hof spazierten. »Zumindest, was ich bis jetzt davon kennengelernt hab’.«
Hanna lächelte. Sie freute sich, wieder daheim zu sein. Und darüber, dass Andreas sich so gut mit der Mutter und der Großmutter verstand. Vielleicht würde der Besuch zur Hochzeit ihrer Schwester doch nicht so schlimm, wie sie es befürchtet hatte. Ihr »Mann« jedenfalls, kam bisher gut an. Ihre Mutter schien Robert nicht mehr übelzunehmen, dass er daran schuld war, dass die Tochter damals mit ihm nach München gegangen war.
»Sag’ mal, wir haben gar net darüber gesprochen, was dieser Robert eigentlich beruflich macht«, sagte Andreas.
»Stimmt. Beim Frühstück wär’s beinah’ schiefgegangen, als Mutter darauf zu sprechen kam. Also, du bist selbstständig und hast eine kleine Firma für Softwareentwicklung.«
Andreas Felber nickte.
»Und der richtige Robert …?«
Hanna machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Ich hab’ keine Ahnung, womit er sein Geld verdient«, antwortete er. »Vermutlich lebt er auf Kosten einer Frau, die genauso dumm und blind ist, wie ich es war.«
Der bittere Unterton in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Andreas nahm ihre Hand, und sie ließ es geschehen.
»Du warst verliebt damals«, sagte er. »Du hast ihm vertraut und bist hereingefallen. Aber jetzt darfst’ dich deswegen net mehr grämen. Vergiss den Kerl einfach.«
Hanna verzog die Mundwinkel.
»Wenn das so einfach wär’«, entgegnete sie. »Du siehst doch, wie auf fatale Weise die Vergangenheit wieder lebendig geworden ist. Ob ich will oder net, Robert Gerke bestimmt immer noch über mein Leben.«
Andreas hielt weiter ihre Hand und drückte sie.
»Aber jetzt bin ich bei dir, und zusammen werden wir die Sache hier überstehen«, sagte er, mit einem zuversichtlichen Lächeln.
Hanna sah ihn dankbar an.
»Ich werd’ auch nie vergessen, dass du das für mich tust.«
Sie standen an der Rückseite des Bauernhauses. Vor ihnen war eine Weide, auf der die Kühe des Hofes standen, weit hinten ragten die Berge in die Höhe. Es war ein Postkartenidyll, und Hanna merkte schmerzlich, wie sehr sie diesen Anblick vermisst hatte. Andreas ließ ihre Hand los und legte seinen Arm um sie. Hanna ließ das geschehen, dankbar für diese Geste. Sie schloss die Augen, und für einen Moment war die Wirklichkeit ausgeblendet und vergessen.
*
Lisa Behringer und ihr Verlobter kamen bald darauf auf den Hof gefahren. Die Schwestern lagen sich in den Armen.
»Schön, dass du da bist!«, sagte die jüngere der Behringertöchter.
Hanna begrüßte ihren zukünftigen Schwager. Thomas Bergmeister strahlte. Ihm und Lisa stand das Glück über die bevorstehende Hochzeit richtig ins Gesicht geschrieben.
»Grüß dich, Hanna«, sagte er und reichte auch Andreas die Hand. »Und du bist der Robert?«
Andreas Felber nickte. Irgendwie war ihm sein falscher Name schon in Fleisch und Blut übergegangen.
Sie gingen ins Haus. In der Küche war der große Tisch schon für das Mittagessen gedeckt, jetzt wartete man nur noch auf den Bauern.