Dr. Laurin Classic 41 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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Dr. Leon Laurin hatte die Morgenvisite noch nicht ganz beendet, als er dringend von Hanna Bluhme verlangt wurde. Es mußte schon etwas Wichtiges sein, wenn Hanna ihn durch die Sprechanlage rufen ließ.
»Macht ohne mich weiter«, sagte er zu seinem Team und eilte zur Aufnahme.
»Na, wo brennt’s denn?« fragte er. Hanna hatte den Telefonhörer noch in der Hand.
»Irgendwo ist eine Frau zusammengebrochen«, erwiderte sie. »Sie sind mit dem Notarztwagen schon unterwegs. Gleich müssen sie eintreffen.«
Da hörten sie auch schon die Sirene. »Dabei sind wir ausgebucht«, stöhnte Hanna.
»Ruhe bewahren«, sagte Dr. Laurin. Die Türen des Notarztwagens waren schon geöffnet, und er sah eine bewußtlose junge Frau.
»Kleberg«, stellte sich der junge Arzt vor, der bereits ausgestiegen war. »Scheint sich um eine Fehlgeburt zu handeln.«
Dr. Petersen war, von Hanna herbeizitiert, in der Tür erschienen.
»OP fertigmachen«, rief Dr. Laurin ihm zu.
»Nicht gerade typisch für eine Fehlgeburt«, sagte Dr. Laurin nachsichtig.
»Sie hat viel Blut verloren«, sagte Dr. Kleberg.
Dr. Laurin hatte es eilig. Schwester Marie, die Getreue, hatte alles schon bereitgelegt. Die Bewußtlose war auf den Untersuchungstisch gelegt worden.
Wenige Minuten später machte Dr. Laurin die erste Injektion selbst. »Blutgruppe feststellen«, ordnete er dann an.
»Die Personalien auch. Die Angehörigen müssen verständigt werden. Leider sehe ich da nur eine winzige Überlebenschance. Ich möchte wissen, wer das verbockt hat.«
Was er damit meinte, erfuhr Dr. Lars Petersen später. Leider hatte man die Personalien der jungen Frau noch nicht feststellen können, denn sie hatte keine Papiere bei sich.
»Sie muß vor drei bis vier Monaten ein Kind zur Welt gebracht haben«, sagte Dr. Laurin zu Dr. Petersen.
»Die Nachgeburt ist nicht genau kontrolliert worden. Folge davon ist eine Sepsis. Gebe Gott, daß wir sie durchbekommen.«
Dr. Petersen hegte nicht den geringsten Zweifel an Dr. Laurins Diagnose. Während der Monate, die er an der Prof.-Kayser-Klinik tätig war, hatte er feststellen können, daß die Diagnosen seines Chefs stimmten.
»Dann war es möglicherweise eine Hausentbindung?« überlegte Dr. Petersen. Dr. Laurin runzelte die Stirn. »Nach dem Äußeren, der Kleidung und dem Schmuck der Patientin, kann man schließen, daß sie der sogenannten gehobenen Gesellschaft zugehört. An eine Hausentbindung glaube ich nicht, sondern an eine ganz verdammte Nachlässigkeit, und leider…«, er unterbrach sich kurz, weil Hanna wieder in Erscheinung trat.
»Da ist eben ein Anruf von einem Polizeirevier gekommen, Chef. Eine Frau wird vermißt. Sie wird von ihrem Mann gesucht. Der Name ist Höhne. Ich habe gesagt, daß hier eine Patientin eingeliefert worden ist, deren Namen wir noch nicht wissen. Herr Höhne wird kommen.«
»In Ordnung«, sagte Leon Laurin, und zu Dr. Petersen gewandt: »Wir sprechen später noch über derartige Fälle.«
*
Pünktlich halb ein Uhr, wie jeden Tag, war Helmut Höhne aus seinem Büro daheim angekommen. Der Bungalow war ein Meisterwerk moderner Architektur, bestechend durch seine glatten Linien. Helmut Höhne war ein genialer Architekt. Der Bungalow war gerade noch rechtzeitig vor der Geburt seines ersten Kindes fertig geworden.
Als er die Tür aufschloß, hörte er das Baby weinen. Das junge Kindermädchen kam mit verstörtem, unglücklichem Gesicht aus dem Kinderzimmer.
»Patrick läßt sich nicht beruhigen«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Er will sein Fläschchen nicht trinken. Frau Höhne ist noch immer nicht vom Arzt zurück.«
»Das kann doch nicht möglich sein«, sagte Helmut erschrocken. »Sie wollte doch gleich morgens fahren.«
»Das ist sie ja auch«, sagte Traudel. »Ich mache mir ja schon solche Sorgen, Herr Höhne.«
Helmut Höhne kümmerte sich jetzt nicht um seinen kleinen Sohn, den er doch über alles liebte. Er rief in der Privatklinik Dr. Schollmeier an. Er fragte nach seiner Frau. Sein Gesicht verdüsterte sich, als er erfuhr, daß sie zwar zum vereinbarten Termin dort gewesen sei, Dr. Schollmeier aber durch eine Operation verhindert gewesen sei, sie zu empfangen.
»Und einen anderen Arzt haben Sie wohl nicht«, stieß er erregt hervor. »Jedenfalls ist meine Frau noch nicht daheim, und wenn ihr etwas zugestoßen ist, kann Ihr Dr. Schollmeier etwas erleben.«
Dann knallte er den Hörer auf. Das Temperament ging leicht mit ihm durch, und jetzt war er von Angst gejagt.
Wieder nahm er den Telefonhörer zur Hand und wählte die Nummer seiner Mutter. Überstürzt berichtete er von seinen Sorgen.
Marga Höhne versprach, sofort zu kommen. Sie teilte die Sorge ihres Sohnes. Sie hatte ihre Schwiegertochter gern und sich in letzter Zeit schon manche Gedanken um deren Gesundheitszustand gemacht.
Marga Höhne war eine jugendliche Fünfzigerin. Ihr kleiner Enkel war ihr ganzes Glück. Er war ein kräftiges, gesundes Kind. Man hatte gestaunt, daß eine so zarte Frau wie Katja einen so strammen Buben zur Welt gebracht hatte. Aber leider schien die Geburt sie sehr geschwächt zu haben. Allerdings hatte Marga Höhne auch andere Bedenken gehegt. Ihr hatte nämlich so manches in der Schollmeier-Klinik nicht gefallen.
Mit dem Wagen brauchte sie eine knappe Viertelstunde, um in den südlich von München gelegenen Villenvorort zu gelangen, aber als sie dort ankam, war Helmut schon unterwegs und Traudel in Tränen aufgelöst. Marga Höhne mußte sich höllisch zusammennehmen, aber jetzt galt es erst, den kleinen Patrick zu beruhigen, der schon krebsrot und heiser war vom Schreien.
»Er ist gewöhnt, von seiner Mami gefüttert zu werden«, sagte Traudel entschuldigend. »O Gott, o Gott, des wird doch nichts passiert sein? Sie hat ja so schlecht ausgesehen heute morgen.«
Marga Höhne fand es überflüssig, jetzt etwas dazu zu sagen. Sie nahm den Kleinen auf und sprach beruhigend auf ihn ein. Ihre weiche Stimme schien ihn doch zu beruhigen, und endlich begann er auch an seinem Fläschchen zu saugen. Das wenigstens hatte sie erreicht.
Helmut war indessen bei der Prof.-Kayser-Klinik angekommen.
»Ich suche meine Frau, ich suche Katja«, stieß er hervor.
Dr. Laurin hielt sich nicht damit auf, sich eine Beschreibung von dieser Frau geben zu lassen. Er führte Helmut Höhne zu dem Raum, in den man das Bett mit der Unbekannten geschoben hatte, da ein Zimmer augenblicklich mit bestem Willen nicht verfügbar war.
»Katja«, stöhnte Helmut auf. »Mein Gott, was ist geschehen? Sag doch etwas, Liebling.«
Dr. Leon Laurin hatte Verständnis für einen solchen Gefühlsausbruch. Unwillkürlich dachte er, wie es wohl ihm zumute wäre, wenn seine Frau Antonia solches geschähe. Wenn er sie suchen müßte und sie dann in einem solchen Zustand fände.
»Ihre Frau ist bewußtlos, Herr Höhne«, sagte er leise. »Wir werden alles tun, um ihr Leben zu erhalten. Mehr kann ich jetzt nicht sagen.«
Entsetzen malte sich auf den Gesichtszügen des Mannes. »Ihr Leben erhalten? Wollen Sie sagen, daß Katja… Nein, sie darf doch nicht sterben, sie darf mich nicht verlassen. Mein Gott, so sagen Sie doch…« Er konnte nicht mehr weitersprechen. Ein trockenes Schluchzen schüttelte ihn.
»Ich werde Ihnen Beruhigungstropfen geben«, sagte Dr. Laurin mitfühlend.
»Ich hoffe, von Ihnen einige Auskünfte zu bekommen«, sagte Dr. Laurin nun sehr bestimmt. »Bitte, fassen Sie sich jetzt, Herr Höhne. Ihrer Frau können Sie jetzt nicht helfen, aber mir, wenn ich mehr über sie erfahre. Sie sehen, daß ein Arzt und eine Schwester bei ihr sein werden. Sie wird keine Minute aus den Augen gelassen. Ich verstehe Ihre Verzweiflung, aber jetzt bitte ich Sie, mir einige Fragen zu beantworten. Es muß sein. Es gibt nichts Schlimmeres für einen Arzt, der helfen möchte, als im Dunkeln zu tappen.«
»Können