Dr. Laurin Classic 41 – Arztroman. Patricia Vandenberg
geboren hat. Wo ist es geboren worden?«
Helmut blickte zu Boden. »Patrick ist drei Monate und ein ganz gesundes Kind«, erwiderte er geistesabwesend. »Verzeihen Sie, Herr Doktor, daß ich mich so gehenließ, aber Katja bedeutet mir doch soviel.«
»Ich kann das sehr gut verstehen«, sagte Leon teilnahmsvoll. Er hätte ihm sagen müssen, wie gering die Chance war, aber er brachte es nicht über die Lippen.
Wieder einmal klammerte er sich an das winzige Fünkchen Hoffnung, das man nie aufgeben durfte, solange Atem in einem Menschen war.
Endlich hatte sich Helmut Höhne so weit beruhigt, daß er Dr. Laurins Fragen beantworten konnte.
*
»Wir sind erst nach der Geburt des Kindes umgezogen«, sagte Helmut Höhne stockend, als wolle er sich dafür entschuldigen, daß seine Frau das Kind nicht in der Prof.-Kayser-Klinik zur Welt gebracht hatte. Wir suchten die Klinik aus, die unserer früheren Wohnung am nächsten lag. Katja ist zwar sehr zierlich, aber die Schwangerschaft verlief normal. Katja sagte immer, daß sie sich noch nie so wohl gefühlt hätte, und es sah auch so aus. Sie war fröhlich, und wir haben uns so sehr gefreut.«
»Sie hatten doch wohl auch Grund zur Freude, denn Ihre Frau bekam einen gesunden Sohn«, sagte Dr. Laurin beiläufig. »Und es war eine normale Entbindung, wie ich feststellen konnte.«
»Ja, es stimmt. Es hat gar nicht so lange gedauert, wie ich befürchtet hatte. Nachmittags gegen vier Uhr brachte ich sie in die Klinik, und um neun Uhr durfte ich Patrick schon sehen. Zu Katja durfte ich allerdings nicht gleich. Die Schwester sagte, daß sich die Nachgeburt verzögere. Ich verstehe ja nichts davon. Ist das öfter der Fall?«
»Ja, es kommt schon vor. Man kann nachhelfen«, bemerkte Dr. Laurin beiläufig. »Das wird Dr. Schollmeier doch wohl auch getan haben.«
Helmut Höhne schien zu überlegen. »Er kam und gratulierte mir, dann aber wurde er dringend abgerufen. Sein Assistenzarzt blieb bei Katja. Meine Mutter hat sich darüber ziemlich aufgeregt, aber…« Er unterbrach sich. »Vielleicht ist das so üblich«, fuhr er dann zögernd fort.
Dr. Laurin äußerte sich nicht dazu. Er hatte sich nebenbei Notizen gemacht, aber das merkte Helmut Höhne gar nicht.
»Nach wie vielen Tagen holten Sie Ihre Frau heim?« fragte er.
»Nach einer Woche.«
»Wie war der Allgemeinzustand?«
»Anfangs ganz gut. Sie hatte wohl die üblichen Begleiterscheinungen. Katja ist nicht wehleidig. Sie hat immer lächelnd abgewinkt, wenn ich sagte, daß sie öfter zum Arzt gehen solle. ›Ach was‹, hat sie gesagt, ›er schaut mich an und sagt, es ist alles in Ordnung‹. Herr Doktor, sagen Sie mir jetzt doch bitte, was meiner Frau fehlt.«
»Sie hat eine Sepsis, Herr Höhne. Die Nachgeburt ist nicht ordnungsgemäß gelöst worden. Ich kann Ihnen leider nicht verschweigen, daß der Zustand Ihrer Frau bedenklich ist.«
*
Antonia Laurin mußte heute wieder einmal vergeblich auf ihren Mann warten. Das geschah nur noch sehr selten, seit Dr. Petersen eingestellt worden war. Er hatte die Erwartungen, die in ihn gesetzt worden waren, nicht enttäuscht. Das Ärzteteam ergänzte sich außerordentlich harmonisch.
Es mußte schon etwas Besonderes vorliegen, wenn Leon mittags nicht heimkam, denn seit er in den Elternbeirat der Schule gewählt worden war, kümmerte er sich auch weit mehr darum, was die Zwillinge zu berichten hatten.
Heute war das eine ganze Menge, und so waren Konstantin und Kaja schwer enttäuscht, ihren Papi nicht vorzufinden.
»Gerade, wo wir so was Wichtiges mit ihm zu bereden haben«, maulte Konstantin. »Da muß nämlich sofort was getan werden.«
»Dann erzählt es mir«, meinte Antonia nachsichtig.
»Du bist bloß eine Frau«, sagte Konstantin. »Auf die hören sie nicht. Fränzis Mutter war ja schon in der Schule und hat sich beschwert, aber genützt hat es gar nichts.«
»Worüber hat sie sich beschwert?« fragte Antonia interessiert.
»Daß die Vera mit Pocken in die Schule kommt. Schon den zweiten Tag«, erklärte nun Kaja.
»Mit Pocken?« fragte Antonia entsetzt. »Das ist doch wohl nicht möglich!«
»Ich sage dir, mit Pocken«, erklärte Konstantin. »Lauter Pusteln hat sie im Gesicht, heute noch mehr als gestern. Das wäre bloß allergisch, hatte ihre Mutter gesagt, und deswegen braucht sie die Schule nicht zu versäumen. Papi ist Arzt, der muß was machen. Wenn sie uns nun alle ansteckt? Sie ist sowieso immer so schmuddelig.«
»Dann werde ich eben etwas unternehmen«, sagte Antonia energisch. »Schließlich bin ich ja auch Ärztin.«
»Du warst eine«, sagte Konstantin. »Jetzt bist du unsere Mami, und gegen Frau Remke kommst du sowieso nicht an.«
»Frau Remke ist die Mutter von der Vera«, fügte Kaja hinzu. »Die Vera ist sowieso ordinär. Sie sagt, daß wir feine Pinkel sind.«
Seit sie zur Schule gingen, mußte Antonia sich an manches gewöhnen, aber Ausdrücke waren etwas anderes, als eine möglicherweise doch ansteckende Krankheit.
Da sie den Lehrer Roth, dessen Frau unter recht dramatischen Umständen ihr Kind in der Prof.-Kayser-Klinik zur Welt gebracht hatte, auch persönlich gut kannte, beschloß Antonia, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Aber damit die hellwachen Zwillinge ihre Nasen nicht in alles steckten, wollte sie ihn aufsuchen.
Sie rief an und fragte, ob sie ihn sprechen könne. Selbstverständlich war er sofort bereit dazu. Er war den Laurins zu tiefstem Dank verpflichtet.
»Jetzt machst du es wieder hinter unserem Rücken«, beschwerte sich Konstantin. »Papi wäre gleich zum Rektor gegangen und hätte ihm den Marsch geblasen.«
»Man muß sich alles erst einmal anhören«, erklärte Antonia. »Ihr wolltet doch heute sowieso mit Biggi und Ronald spazierengehen.«
»Was ist denn hier für eine Aufregung?« fragte Karin, die Seele des Hauses.
»Das werden Ihnen die Trabanten haarklein erzählen«, sagte Antonia. »Ich fahre mal für eine halbe Stunde weg.«
»Zum Lehrer Roth«, klärte Kaja Karin gleich auf. »Weißt du, Karin, da ist was los in der Schule.«
»In der Schule ist immer was los«, sagte Karin ungehalten. »Sind ja auch keine Zustände, wenn so viele Kinder aufeinander hocken.«
Während also Dr. Leon Laurin um das Leben seiner neuen Patientin kämpfte und außerdem noch mit Gewissenskonflikten rang, ob er dem Kollegen Dr. Schollmeier Pflichtverletzung vorwerfen konnte, warf sich Antonia Laurin für ihre Kinder ins Gefecht.
Bei dem Lehrer Jürgen Roth fand sie ein geneigtes Ohr.
Zuerst hatte sie Tamara Roth guten Tag gesagt und den kleinen Clemens gebührend bewundert, der prächtige Fortschritte machte und dem man heute schon nicht mehr ansah, daß er ein äußerst gefährdetes Rhesusbaby gewesen war.
Jürgen Roth sah man allerdings noch immer an, daß er einen schweren Unfall gehabt hatte. Die Narben in seinem Gesicht würden ihm bleiben, aber sie beeinträchtigten den sympathischen Eindruck nicht.
»Es ist eine ganz dumme Geschichte, Frau Dr. Laurin«, sagte er, denn er wußte ja, warum Antonia ihn sprechen wollte. »Selbstverständlich ist es keine ansteckende Krankheit, wie wir durch die Schulärztin feststellen ließen. Es sind Mangelerscheinungen, dazu kommt noch mangelnde Sauberkeit, aber wie soll man einer solchen Mutter beikommen? Und dann ist da noch etwas, was ich gerade Ihnen nicht verschweigen möchte, da man ja nicht weiß, wie Frau Remke jetzt reagiert. Sie ist nämlich Putzfrau in dem Haus, in dem Dr. Petersen wohnt.«
»Was hat das mit diesen Zuständen zu schaffen?« fragte Antonia verwundert.
»Sie hat dumme Bemerkungen über den kleinen Ronald gemacht. Ich möchte die Ausdrücke gar