Kinderärztin Dr. Martens 66 – Arztroman. Britta Frey

Kinderärztin Dr. Martens 66 – Arztroman - Britta Frey


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sah Rachel Anni Köhler an, während sich Pola ängstlich an ihren Arm klammerte.

      Anni Köhler sah betreten zur Seite. Was sollte sie auf die bettelnden Blicke antworten?

      Sie hatte ja nicht allein zu entscheiden. Ihr Mann wollte es nicht, er war nun mal dagegen.

      Rachel schien zu fühlen, was in diesem Augenblick in den Erwachsenen vor sich ging. Maßlos enttäuscht nahm sie ihre kleine Schwester an die Hand und sagte traurig: »Komm, Pola, wir müssen wohl mit Frau Jünte mitgehen. Frau Köhler kann uns nicht brauchen. Ich lasse dich aber ganz bestimmt nicht allein. Ich verspreche es dir.«

      Die Hand der kleinen Pola festhaltend, sagte Rachel mit zitternder Stimme: »Wir können jetzt fahren. Bringen Sie uns in das Kinderheim.«

      So leid Elke Jünte die beiden Mädchen taten, sie durfte sich ihr Mitleid nicht anmerken lassen. Es war auch so schon schwer genug, diese Kinder in ein Kinderheim zu bringen.

      *

      Kurz vor elf Uhr fuhr Elke Jünte mit ihrem Wagen vor dem Kinderheim vor. Noch bevor sie den beiden Mädchen aus dem Wagen helfen konnte, war Marion da.

      »Guten Tag, Frau Jünte. Sie bringen uns die Kinder? Wir sind schon vom Jugendamt über den Zuwachs informiert worden.«

      »Guten Tag, Marion. Es war wie immer keine leichte Aufgabe für mich. Aber einer muß sie ja durchführen.«

      Marion beugte sich nun ins Innere des Wagens und sagte mit fröhlicher Stimme: »Guten Tag, ihr beiden, ich bin Marion. Kommt mit ins Haus, damit ich euch alles zeigen kann. Wollt ihr mir nicht eure Namen sagen?«

      »Ich heiße Rachel Degersen, und meine kleine Schwester heißt Pola«, entgegnete das ältere der Mädchen und legte dabei einen Arm um ihre Schwester.

      »Fein, Rachel, dann kommt mal mit. Frau Jünte wird zu Frau Wittmer gehen. Ihr könnt euch etwas später von ihr verabschieden. Es wird euch ganz bestimmt gut bei uns gefallen. Da drüben unter den Bäumen seht ihr ja die vielen Kinder spielen. Heute nachmittag könnt ihr schon mitspielen. Kommt, gehen wir hinein. Sie wissen ja Bescheid, Frau Jünte. Ich komme nach dem Rundgang mit den Kindern in Frau Wittmers Büro.«

      Die letzten Worte galten der jungen Sozialarbeiterin, die zustimmend nickte, danach die Sachen der Mädchen aus ihrem Wagen holte und den anderen ins Haus folgte.

      Marion zeigte den verschüchtert wirkenden Mädchen fast sämtliche Räume im Haus und beobachtete dabei verstohlen, wie sie auf alles reagierten. Bevor sie mit ihnen zum Büro ging, fragte sie lächelnd: »Nun, Rachel, Pola, gefällt es euch hier bei uns? Ihr habt ja gesehen, wie es hier aussieht, wie viele Betten in den Zimmern sind. Möchtet ihr gern in einem Zimmer schlafen, in dem viele Kinder schlafen oder in einem, wo nur ein paar sind? Du bist doch schon vernünftig, Rachel, kannst du es mir sagen?«

      »Ist egal, Marion. Wir bleiben sowieso nicht lange hier. Wenn unsere Omi wieder gesund ist, dürfen wir wieder nach Hause. Frau Jünte hat es uns gesagt.«

      »Und du, Pola?«

      »Ich will nicht hierbleiben. Will zu meiner Omi. Hier findet die Omi uns ja nicht, wenn sie aus dem Krankenhaus kommt.«

      »Geh, Pola, du bist ein kleines Dummchen. Wir sagen es doch eurer Omi, wo ihr seid. Sie muß euch nicht suchen, wenn sie wieder gesund ist. Du brauchst keine Angst zu haben.«

      »Dann ist es ja gut, dann bleiben wir so lange hier bei dir.«

      Es klang so drollig aus dem Mund der Kleinen, daß Marion ihr sanft über den schwarzen Lockenkopf fuhr und mit einem weichen Lächeln sagte: »Bist ein liebes Mädchen, Pola.«

      Dann folgte die Begrüßung bei der Heimleiterin und der Abschied von Elke Jünte. Das war der Einzug von Rachel und Pola im Kinderheim »Haus Maria«.

      *

      Wider Erwarten lebten sich Rachel und Pola rasch im Kinderheim ein. Es gab keinerlei Streitereien mit den anderen Heimkindern, und was die Betreuerinnen sagten, wurde sofort befolgt. So war ungefähr eine Woche vergangen.

      Es war Samstag, früher Nachmittag. Cordula Wittmer befand sich in ihrem Büro, um einige Unterlagen durchzugehen. Hin und wieder sah sie auf die Uhr, denn sie erwartete an diesem Nachmittag noch ganz bestimmten Besuch, ein Ehepaar, das ein kleines Mädchen als Pflegekind zu sich nehmen wollte. Es würde zwar noch keine endgültige Entscheidung fallen, aber auch die ausführlichen Vorgespräche waren bei diesem Vorgang sehr wichtig. Sonntage waren an den Nachmittagen Besuchstage, und das Ehepaar Beutlar war schon einige Male dagewesen und seitdem rein vernarrt in die fünfjährige Vollwaise Paola Gunther.

      Es klopfte an der Bürotür, und Cordula Wittmer rief: »Herein, bitte!«

      Eine der Betreuerinnen betrat das Büro und sagte: »Da ist gerade das Ehepaar Beutlar eingetroffen, Frau Wimmer.«

      »Danke, Corinna, wo sind die Herrschaften?«

      »Sie warten vorn im Besucherzimmer, Frau Wittmer.«

      »Gut, Corinna, führen Sie Herrn und Frau Beutlar bitte gleich in mein Büro.«

      Einen Augenblick später betraten die Besucher das Büro der Heimleiterin und wurden herzlich begrüßt. Erika und Ralf Beutlar waren sehr sympathische Menschen, die nach einem Unfall des Mannes keine eigenen Kinder bekommen konnten und den Weg, über eine Pflegestelle ein Kind adoptieren zu können, eingeschlagen hatten.

      »Wie steht es in unserer Sache, Frau Wittmer? Wir können es kaum noch erwarten, die kleine Paola endlich mit uns nehmen zu dürfen. Bei uns ist alles bereit. Wird es noch lange dauern, bis es soweit ist?«

      »Sie kennen doch unsere Bürokratie, Frau Beutlar. Ein paar Tage Geduld noch, dann können wir die kleine Paola in Ihre Obhut übergeben. Ich warte noch auf den endgültigen Bescheid des Jugendamtes. Ihnen beiden ist sicher wohl klar, daß es sich zunächst nur um eine Pflegestelle handelt. Es könnte ja sein, daß sich die Kleine nicht an Sie gewöhnt.«

      »Natürlich wissen wir das, Frau Wittmer. Trotzdem sind wir zuversichtlich. Von unseren Besuchen hier wissen wir ja selbst, daß zwischen meiner Frau und Paola ein gewisser Funken übergesprungen ist. Das Mädel wird sich bei uns einleben und nichts vermissen. Es ist doch etwas Wunderbares, so ein Kind zu umsorgen und zu behüten«, sagte nun Ralf Beutler und sah von Cordula Wittmer zu seiner Frau, die ihm mit leuchtenden Augen zunickte.

      Ein paar Minuten zuvor hatte Marion Rachel zu sich gerufen und zu ihr gesagt: »Hör mal, Rachel, ich kann im Augenblick nicht fort. Bist du so lieb und bringst diese Mappe hier zu Frau Wittmer ins Büro?«

      »Mach ich doch gern, Marion. Soll ich sofort gehen?«

      »Natürlich, Rachel, hier, diese Mappe.« Marion reichte Rachel eine Unterlagenmappe, und leichtfüßig eilte die Siebenjährige davon. Gerade als das Mädchen anklopfen wollte, hörte es die Worte von Frau Wittmer: »Ich denke, daß es in ein paar Tagen soweit ist, daß Sie Paola abholen können.«

      Für Rachel klang der Name Paola wie Pola, und im selben Augenblick begann ihr kleines Herz zu rasen. Sie war vor Entsetzen so schockiert, daß sie einen Augenblick nicht fähig war, auch nur eine einzige Bewegung zu machen. Man wollte Pola, ihre kleine Schwester, einfach aus dem Heim fortholen. Nein, das durfte sie doch nicht zulassen. Sie hatte Pola ganz fest versprochen, sie nie allein zu lassen.

      Was Rachel da gehört hatte, war ein Irrtum, der sich noch sehr verhängnisvoll auswirken sollte. Erst als Rachel nun hörte, daß sich im Büro jemand verabschiedete, kam Leben in sie, und sie lief ein Stück den Gang entlang.

      Doch plötzlich fiel Rachel die Mappe ein. Sie sollte doch diese für Marion zu Frau Wittmer bringen. Aber es durfte niemand merken, daß sie etwas von dem gehört hatte, worüber sich die Erwachsenen unterhalten hatten. Die Omi hatte immer gesagt, daß sie klug sei. Während Rachel noch überlegte, wie sie die Mappe ins Büro bringen sollte, hörte sie hinter sich Schritte. Sie drehte sich um und sah die Heimleiterin, Frau Wittmer, und eine fremde Frau und einen Mann auf sich zukommen.

      »Hallo, Rachel, wolltest du zu mir?« fragte Cordula Wittmer und


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