Leni Behrendt Classic 52 – Liebesroman. Leni Behrendt

Leni Behrendt Classic 52 – Liebesroman - Leni Behrendt


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> Leni Behrendt Classic – 52 –

      »Herr Baron, hier ist ein Einschreibebrief.«

      Hellersen, der arbeitend am Schreibtisch saß, nahm der alten Barbe den Brief ab und setzte seinen Namen auf den Zustellungsschein, mit dem die Alte wieder hinausging. Gleich­gültig öffnete er das Schreiben; doch schon bei den ersten Zeilen trat ein Ausdruck höchster Überraschung in sein Gesicht. Der Bogen trug links oben die Anschrift eines Notars, und der Inhalt des Schreibens lautete dann:

      Baron von Hellersen, Verwalter auf Rittergut Lorren, wird gebeten, nach Empfang dieses Schreibens unverweilt nach Waldwinkel zu kommen. Die Aufforderung geschieht auf ausdrücklichen Wunsch des Herrn Leopold von Hellersen, des Besitzers von Waldwinkel, der schwer erkrankt ist.

      Unten stand der schlecht leserliche Namenszug des Notars. Swen schüttelte zweifelnd den Kopf: Wenn dem Herrn Justizrat da nur nicht ein Irrtum unterlaufen war!

      Waldwinkel, das sagenumwobene. So konnte man es wohl nennen, weil viele davon sprachen, wenige es jedoch mit eigenen Augen erschaut hatten. Ein wundervoller Besitz sollte dieses Waldwinkel sein, zu dem noch einige Vorwerke und die Güter Jagen und Trollen gehörten. Es war der Stammsitz der Hellersen, der immer auf den erstgeborenen Sohn vererbt wurde.

      Das war im letzten Falle der verwachsene Leopold von Hellersen gewesen. Seinem jüngeren Bruder Ewald waren das naheliegende Rittergut Hirschhufen und die beiden Nebengüter Wallen und Lutzen als Erbteil zugefallen. Er hatte jedoch ein so verschwenderisches Leben geführt, daß sein Besitz unter den Hammer gekommen war. Sein Bruder Leopold hatte die Familiengüter ersteigert, weil er sie nicht in fremde Hände übergehen lassen wollte. Ewald erschoß sich, und seine Familie, die nun mittellos dastand, wurde von Leopold von Hellersen unterhalten. Er fühlte sich dazu verpflichtet, weil sie seine nächsten Anverwandten waren. Swen von Hellersen entstammte einer entfernten Seitenlinie. Er hatte Leopold von Hellersen nur einmal gesehen und ihn als unfreundlichen, stark verwachsenen und grundhäßlichen Mann in Erinnerung, der einsam auf seinem herrlichen Besitz lebte und nicht einmal seine nächsten Verwandten und Erben um sich duldete.

      Und da sollte der alte Herr ausgerechnet ihn, Swen, der so entfernt mit ihm verwandt war, daß er eigentlich nur den Namen mit ihm gemein hatte, zu sich rufen?

      Das war doch wohl kaum denkbar.

      Es war wohl am besten, wenn er den Notar anrief; seine Telefonnummer stand ja auf dem Briefbogen.

      Der Justizrat war jedoch nicht in seinem Büro zu erreichen. Er wäre in Waldwinkel, erhielt Hellersen als Auskunft. Und erst, als er dort anrief, bekam er den Herrn an den Apparat.

      Nein, es wäre absolut kein Irrtum, lautete der Bescheid. Das Kommen des Barons wäre dringend, sehr dringend. Es hinge der Frieden eines Sterbenden davon ab; denn Leopold von Hellersen erwartete ihn mit Ungeduld.

      Swen wurde die Angelegenheit immer rätselhafter. Was hatte er mit dem Frieden dieses fremden Mannes zu tun?

      Nach Waldwinkel mußte er fahren, das konnte er wohl nicht umgehen. Es hieß also zuerst den Reiseplan aufstellen; er wußte ja nicht einmal, wohin er eigentlich zu fahren hatte, mußte erst die Station ausfindig machen.

      Nach einiger Mühe war sein Plan fertig. Bis Königsberg konnte er mit dem D-Zug fahren, dann einige Stationen mit der Nebenbahn, dann mit der Kleinbahn, und schließlich hatte er noch ungefähr vier Kilometer zu Fuß zu gehen. Dieses Waldwinkel schien ja ein ganz gottverlassener Winkel zu sein. Gut, daß die Anschlüsse paßten, sonst käme er heute überhaupt nicht mehr ans Ziel.

      Hellersen packte einen kleinen Koffer und ging dann nach dem Herrenhause hinüber, um sich Urlaub zu erbitten.

      Als Hellersen sein Anliegen vorbrachte, sagte Herr Hungold: »Den Urlaub sollen Sie selbstverständlich haben.«

      »Gehorsamsten Dank für die Urlaubsbewilligung. Ich komme wieder, sobald es mir möglich ist.«

      Der alte Herr reichte seinem Verwalter mit betonter Herzlichkeit die Hand.

      »Kommen Sie recht bald wieder!« verabschiedete er ihn.

      *

      Der Zug lief in einen Bahnhof ein, und Hellersen fuhr aus seinen Gedanken auf. Er spähte hinaus und las den Namen der kleinen Station, an der er zum zweitenmal umsteigen mußte. Rasch verließ er den Zug und wollte sich gerade nach dem Weg zur Kleinbahn erkundigen, als ein Herr auf ihn zutrat.

      »Ich habe wohl Herrn Baron von Hellersen vor mir?« fragte er höflich, und der Gefragte war überrascht.

      »Woher kennen Sie mich denn, mein Herr?«

      Ein leichtes Lächeln ging über das ausdrucksvolle Gesicht des Mannes.

      »Es steigen nicht viele Menschen auf dieser Station aus, und da dürfte es nicht schwerfallen, einen Hellersen herauszufinden. Gestatten: Roger Wieloff, Sekretär des Herrn von Hellersen-Waldwinkel«, stellte er sich mit einer respektvollen Verbeugung vor. Swen streckte ihm die Hand hin.

      »Das freut mich, Herr Wieloff«, sagte er herzlich. »Sind Sie gekommen, um mich nach Waldwinkel zu holen?«

      »Jawohl, Herr Baron. Eile tut nämlich not.«

      Dabei schritt er schon auf ein elegantes Auto zu, neben dem der Fahrer in gestraffter Haltung stand.

      »Darf ich den Herrn Baron bitten, Platz zu nehmen?« bemerkte Wieloff höflich und wollte sich neben den Führersitz setzen; doch Hellersen winkte ihn an seine Seite.

      »Kommen Sie zu mir, Herr Wieloff. Sie müssen mir erzählen, was eigentlich in Waldwinkel los ist.«

      Der Wagen sprang an. Obgleich aber Swen den Sekretär, der nun neben ihm saß, vieles fragen wollte, blieb er doch sehr schweigsam, erkundigte sich nur nach belanglosen Dingen, und Wieloff gab höfliche und klare Antworten.

      Aufmerksam sah Swen sich um. Zuerst ging es durch das Städtchen, das einen erstaunlich großstädtischen Eindruck machte. Jetzt ging es ungefähr fünfzig Meter durch einen alten Park, und dann hielt der Wagen endlich vor dem Schloß. Ein alter Diener öffnete den Schlag. Swen stieg zögernd aus, und seine Blicke gingen an dem stattlichen Gebäude hoch. Mit einem Gefühl der Ehrfurcht betrachtete er den wundervoll zusammengefügten Bau. Soviel er von diesem Schloß auch schon gehört hatte, so bedeutend hatte er es sich doch nicht vorgestellt. Und dann die ganze Umgebung, einfach unvergleichlich schön! Vor dem Schloß, nur durch einen breiten Kiesweg getrennt, streckten sich gepflegte Rasenflächen mit Baum­gruppen, Ziersträuchern und prachtvollen Blumenrabatten hin. Dahinter leuchteten die roten Dächer der hiesigen Wirtschaftsgebäude. Kleine Häuser lagen überall zerstreut; es waren wohl die Häuser der Gutsarbeiter. Und alles das eingerahmt von Wald – Wald und wieder Wald, so weit das Auge reichte. Herrlich, hier leben und schaffen, dieses Paradies sein eigen nennen zu dürfen. Beneidenswerter Leopold von Hellersen.

      Mit einem leisen Seufzer ging Swens Blick wieder zum Schloß zurück und blieb an zwei männlichen Gestalten haften, die unter der Portaltür standen – still und stumm wie ja alles hier ringsum war. Er stieg die breiten Stufen empor und stand nun vor den Herren, die sich tief vor ihm verneigten.

      »Justizrat Glang« – »Sanitätsrat Melch«, stellten sie sich vor. Schweigend gab Swen ihnen die Hand. Er wurde aus zwei Augenpaaren gemustert, sehr scharf, sehr eingehend, und fühlte sich beunruhigter von Minute zu Minute.

      »Sie sind wohl der Herr, der mich brieflich hierhergerufen hat?« wandte er sich höflich an den Justizrat, und der nickte.

      »Ganz recht, Herr Baron. Der Herr Onkel erwartet Sie schon ungeduldig. Wollen Sie mir bitte folgen.«

      Sie betraten die riesengroße Halle des Schlosses, und Hellersen überwältigte fast der durch einige Stockwerke gehende, feierlich wirkende Raum. Er hatte ein kirchenartiges Gepräge, und dieser Eindruck wurde noch durch die buntgemalten Glasfenster erhöht. Es ging über weiche Teppiche, die zum größten Teil den kunstvoll eingelegeten Steinboden bedeckten, und an sehr hohen und sehr breiten geschnitzten Türen vorbei. Swen er­schien das alles so unwirklich, beinahe märchenhaft. Er hatte das Gefühl, als ginge er schon stundenlang durch diese feierliche Stille, und er atmete wie befreit auf, als der Justizrat eine Tür öffnete und ihn mit einer höflichen Handbwegung einzutreten


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