Karin Bucha Classic 42 – Liebesroman. Karin Bucha
zu machen. Nicht noch einmal will sie dieser Frau begegnen, vor der sie sich plötzlich fürchtet.
Sie muß dreimal nach dem Boden laufen und ist ganz außer Atem. Dann wirft sie die Sachen in die Koffer, wahllos, ohne Sorgfalt.
Fort – denkt sie – nur fort!
Sie hetzt in die Diele, bestellt sich telefonisch eine Taxe, legt das Geld für das Gespräch auf den daneben stehenden Teller und rennt in ihr Zimmer zurück.
Vor dem Spiegel beginnt sie ihr Gesicht herzurichten. Alles geschieht mit zitternden Händen, die ihr nicht recht gehorchen wollen.
Es ist aber nicht nur die Angst vor der Wirtin. Es sind ein paar helle Männeraugen, vor Erstaunen geweitet, sie sie überallhin verfolgen.
Ich brauche Ruhe, sinnt sie dabei. Ich bin vollständig mit den Nerven fertig.
Sie wühlt in ihren Schriftstücken, immer hastiger, immer nervöser. Du lieber Gott! Sie braucht Geld. Endlich hat sie das Scheckheft gefunden. Gedankenvoll blättert sie darin. Sie sieht die steile energische Schrift Ulrichs, und etwas wie Scham kommt über sie. Wie er ihr vertraut hat. Wie oft hat sie für ihn die Bankgeschäfte erledigen müssen. Bedenkenlos hat er ihr Vollmacht erteilt.
Jetzt soll sein Vertrauen ihr zur Flucht verhelfen. Es soll eine Flucht ins Vergessen werden.
Dann ist alles vorbereitet. Am Fenster wartet sie, bis die Taxe vorfährt. Sie öffnet und winkt den Fahrer herauf. Der schleppt unermüdlich die Koffer. Ohne sich noch einmal umzusehen, verläßt sie die Pension.
»Zur Deutschen Bank«, sagt sie und nimmt aufatmend Platz. Jetzt ist alles an ihr in Unruhe und Nervosität. Wenn Ulrich die Vollmacht gesperrt hat, oder sein Anwalt das Konto?
Äußerlich gelassen geht sie zu dem ihr bekannten Beamten.
»Gnädige Frau«, begrüßt er sie. Sie reicht ihm den Scheck. Bis auf hundert Mark hebt sie das Guthaben Ulrich Karstens bedenkenlos ab, und anstandslos wird ihr die Summe ausgezahlt.
Erst als sie wieder im Wagen sitzt, verläßt sie der Druck. Sie hat sogar ein heimliches Triumphgefühl in sich.
Sie wird ein neues Leben beginnen. Alles wird sie vergessen. Sogar den Mann, der sie selbstlos geliebt hat und mit dem sie… Nicht weiterdenken, kommandiert sie sich selbst.
*
»Eva-Maria Harris, Kunstgewerblerin«, liest Rechtsanwalt Rauh und blickt grübelnd zu seinem Bürovorsteher auf. »Kommt mir bekannt vor, weiß aber nicht wohin damit. Na, lassen Sie die Dame eintreten und bringen Sie eine neue Akte mit.«
»Jawohl, Herr Doktor!« Paul Fricke, der Bürovorsteher, verschwindet und läßt kurz darauf eine Dame eintreten. Die Akte legt er vor seinem Chef auf den Schreibtisch, dann zieht er sich zu-rück.
»Sie sind es!?« Mit diesem Ausruf erhebt Doktor Rauh sich und schiebt seiner Besucherin den Sessel ihm gegenüber zurecht. »Bitte, nehmen Sie Platz.«
Er öffnet die rechte Schublade und bietet Eva-Maria Zigaretten an.
»Danke!« Als er ihr Feuer reicht, sieht er, wie die schmale, feingliedrige Frauenhand leicht zittert.
»Kann ich etwas für Sie tun?« fragte er, und sein Blick ruht bewundernd auf ihrem blassen, schönen Gesicht mit den leuchtenden Augen.
»Für mich nicht, Herr Doktor.« Sie stockt, und er lauscht hinter der dunklen, wohllauten Stimme her. Er wartet geduldig, bis sie weiterspricht. »Es handelt sich um Ulrich Karsten.«
Wieder stockt sie und sieht ihn erwartungsvoll an. Aber sie vermag nichts in seinen Zügen zu lesen.
»Glauben Sie an die Schuld Ulrich Karstens?«
Er vermag seinen Blick nicht aus den leuchtenden Augen zu lösen. Als habe er sich diese Frage selbst schon längst beantwortet, sagt er:
»Nein!«
Sie lehnt sich zurück. Ihre Brust hebt sich in einem tiefen Atemzug. »Dafür danke ich Ihnen. Ich glaube auch nicht daran.«
»Was kann man tun, um diese Unschuld zu beweisen?«
»Sind Sie deshalb zu mir gekommen?«
Sie nickt.
Er lächelt. »Sie sollten sich an einen tüchtigen Detektiv wenden.«
»Das könnte ich wohl, doch ich will es nicht«, widerspricht sie heftig. »Sie haben ein so menschliches Interesse an Ulrich Karsten genommen, daß es überhaupt nur Sie gibt, der mir helfen könnte.«
»Ihnen?« verwundert Doktor Rauh sich. »Ich denke Ulrich Karsten?«
»Doch, auch mir«, bestätigt sie ernsthaft. Ruckartig hebt sie den Kopf. »Was halten Sie von dieser – dieser Marion Wendland?« Jetzt zittert ihre Stimme etwas.
»Gar nichts!« antwortet er, und seine Züge, soeben noch aufgeschlossen, verhärten sich. »Diese Frau hat den denkbar ungünstigsten Eindruck hinterlassen. Nicht nur bei mir, auch beim Gericht. Trotzdem sie kein Wort gesprochen hat.«
»Man müßte den Hebel bei ihr ansetzen«, sinnt sie.
»Leider hat sie auf unbestimmte Zeit die Stadt verlassen. Auf Reisen«, erklärt er ihr.
Sie ist überrascht.
»Woher wissen Sie das?«
Er lächelt geheimnisvoll. »Ich weiß noch so allerhand.«
»Wußten Sie das schon vor dem Prozeß?« forscht sie mit Spannung.
Er wiegt den Kopf. »Teil – teils. Leider hat mir der Mann alles aus der Hand gewunden – durch sein hartnäckiges Schweigen.«
»Und – und wenn Sie sich jetzt mit ihm in Verbindung setzen würden. Glauben Sie, daß er dann noch schweigt?«
»Möglich! Alles was für ihn spricht, sind Vermutungen. Er ist verdammt stolz – und sehr sensibel.«
»Wollen Sie ihm auch heute noch helfen?« fragt sie atemlos.
»Natürlich!« kommt prompt seine Antwort. Da tritt wieder dieses hoffnungsvolle Strahlen in ihre Augen.
»Weiß Karsten, daß Sie so viel Anteil an seinem Geschick nehmen?«
»Nein! Er wird mich kaum mehr kennen. Ich will zu Ihnen ganz ehrlich von unserer Bekanntschaft sprechen. Damals suchte ich für mein Geschäft einen guten Architekten. Man empfahl mir Ulrich Karsten. Er kam mit seinen Plänen. Wir waren damals viel zusammen. Ich glaube –«, jetzt lächelte sie in ihrer reizenden, hilflosen Art, »ich glaube, er hat nicht einmal bemerkt, daß ich eine Frau bin. Aber wir haben großartig harmoniert, und ich fand seine Pläne einmalig. Nun ja, er hat den Umbau vollendet. Ich war sehr zufrieden damit. Dann verloren wir uns aus den Augen.«
Sie stockt, und wieder erglüht sie. »Das heißt, ich habe ihn nie ganz aus den Augen verloren. Er interessierte mich. Seine Art nahm mich gefangen. Als ich den Prozeß miterleben mußte, war ich erschüttert. Nun wissen Sie Bescheid.«
»Ja, nun weiß ich Bescheid«, wiederholt er und denkt dabei: Die Hauptsache hast du mir natürlich verschwiegen. Nämlich, daß du diesen Mann liebst.
»Sie halten mich sicher für sehr – albern.«
»Nein – für sehr liebenswert.«
Erschreckt weiten sich ihre Augen. Er kommt um den Schreibtisch herum und stellt sich vor ihr auf.
»Wie oft habe ich für Menschen arbeiten müssen, die ich sehr unsympathisch fand. Erschrecken Sie bitte nicht, wenn ich Ihnen ehrlich bekenne, daß es mir Freude bereitet, für Sie und Ulrich Karsten arbeiten zu dürfen.«
»Also – sind wir Verbündete?« strahlt sie und streckt ihm impulsiv die Hand entgegen.
»Das soll ein Wort sein.« Er drückt die feine Frauenhand und nimmt seinen Platz wieder ein. Er dreht ihre Besuchskarte zwischen den Fingern. »Ich darf Sie doch anrufen, wenn ich Ihrer Hilfe bedarf?«