Fürstenkrone Classic 42 – Adelsroman. Viola Marquardt

Fürstenkrone Classic 42 – Adelsroman - Viola Marquardt


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wiederholte Ditscha heftig. »Es ist so ungerecht! Egon durfte Offizier werden, wenn auch nur auf Zeit, weil er später ja doch das Gut übernehmen muss – aber ich? Mein ganzes Glück wäre es, zu lernen, zu studieren! Alle meine Lehrer sagen, ich hätte den Kopf dazu. Aber Vater findet weibliche Ärzte unschicklich und meine Wünsche verdreht, und daher muss ich das nutzlose Leben einer höheren Tochter führen, obwohl alles in mir nach Betätigung schreit!«

      Trotz aller Bedenken musste Dr. Lowitz lächeln. »Der ganze Vater! Ich höre ihn förmlich! Der gleiche Heißsporn! Nur ruhig Blut, Ditscha, es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.«

      »Ja, das sagen Sie. Aber wenn ich mich nicht mit Gewalt auf eigene Füße stelle, bleibt ja doch alles beim alten. ›Die Frau gehört ins Haus‹, punktum! So war es und so soll es bleiben. Und keiner versteht einen – keiner!«, brach es heiß aus Ditscha hervor.

      »Keiner?«, fragte da eine jugendliche Männerstimme von der Tür her.

      Ditscha fuhr herum.

      Eine zarte Röte färbte ihre Wangen, und ihre blauen Augen leuchteten auf.

      »Axel – Sie! Ja, Sie sind mein Bundesgenosse, mein einziger Freund. Wenn Sie mich nicht meiner Unwissenheit erbarmten …«

      »Unwissenheit? Dass ich nicht lache!« Der junge Mann, stud. med. Axel Lowitz, trat neben das Mädchen, das er noch um Haupteslänge überragte. Ein blonder blauäugiger Enakssohn war er, kräftig gebaut, sonnengebräunt, ein Sportler und Turner, kein bleichsüchtiger Bücherwurm und Stubenhocker.

      »Manche meiner Kommilitonen könnten froh sein, wenn sie Ihre rasche Auffassungsgabe, Ihr Gedächtnis und Ihre Ausdauer besäßen, Fräulein Ditscha«, ganz feurig klang es, bewundernd und begeistert.

      »Axel!«, mahnte Dr. Lowitz erschrocken. »Es heißt nicht Fräulein Ditscha, es heißt …«

      »Ach was«, unterbrach ihn Ditscha mit dem ihr eigenen Ungestüm. »Soll er mich vielleicht Baronesse titulieren? Mein alter Freund Axel, mit dem ich gespielt habe, als ich noch ein kleines Mädchen war? Nein, das erlaube ich nicht, das würde mich zu sehr kränken.«

      Dr. Lowitz seufzte wieder.

      »Ich sollte nicht zulassen, dass Axel hinter dem Rücken Ihres Vaters mit Ihnen Latein treibt, Ditscha! Sie hätten mir die Erlaubnis nicht abpressen dürfen. Sie wissen, das ich ein schwacher Mensch bin und Ihnen keine Bitte abschlagen kann, und das nutzen Sie nun weidlich aus. Wenn Ihr Vater uns erwischt …«

      »Werden Sie gevierteilt und gebraten, Onkel Doktor«, lachte Ditscha. Sie wirkte auf einmal ganz vergnügt. »Aber er wird schon nicht. Sie halten dicht, und Axel hält dicht, und wir tun ja schließlich nichts Unrechtes«, fügte sie hinzu. »Ich würde wahrhaftig lieber mit Vaters Erlaubnis hierherkommen, aber das geht nun mal nicht.«

      »Weiß es denn Ihre Mutter?«, fragte der Arzt.

      Ein warmer Ausdruck trat auf das junge Gesicht. »Muttchen? Ich glaube, sie ahnt etwas, aber sie hütet sich, mich direkt zu fragen. Muttchen brächte es nie über sich, dem Vater etwas zu verschweigen. Sie ist noch dazu erzogen worden, im Mann den Herrn und Gebieter zu sehen, dem die Frau zu gehorchen hat. Wir Jungen denken anders darüber, nicht wahr, Axel?«

      »Ja, wir sehen in der Frau die Kameradin, der wir die gleichen Rechte zugestehen«, bestätigte der junge Mann und umfasste Ditscha mit einem aufleuchtenden Blick. »Die Leibeigenschaft der Frau muss abgeschafft werden, sie ist ein unwürdiger Zustand. Warte nur, Vater, wenn das neue Jahrhundert anbricht …«

      »Ich weiß, Junge«, der Arzt schüttelte den Kopf. »Das neue Jahrhundert! Von dem erwartet ihr wohl Wunderdinge. Aber die Menschen ändern sich nicht so schnell.«

      »Dann muss man eben die Zustände ändern, in denen sie leben!« Axel Lowitz ritt sein Steckenpferd. »Lass du uns nur erst an die Macht kommen, Vater. Wir werden mit den verstaubten Traditionen schon aufräumen, was, Fräulein Ditscha?«

      Die beiden strahlend blauen Augenpaare tauchten ineinander. Man spürte: Hier standen zwei, die sich verstanden, die von den gleichen Gedanken und Empfindungen, den gleichen Hoffnungen und Sehnsüchten bewegt wurden.

      Ein schönes Paar! dachte der alte Arzt unwillkürlich. Doch sogleich erschrak er vor seinen eigenen Gedanken. Wohin verirrte er sich da? Ditscha war eine Baronesse Born – und Axel nur der Sohn eines bürgerlichen Arztes.

      »Dürfen wir jetzt anfangen, Onkel Doktor?«, fragte Ditscha. »Ich bin gut präpariert und brenne darauf, es meinem Lehrmeister zu beweisen!«

      »Ich gehe ja schon.« Der Arzt wandte sich seufzend zur Tür. »Aber recht ist es nicht, und ich sollte es euch nicht erlauben.«

      »Onkel Doktor! Sie wollen mich doch nicht schrecklich unglücklich machen, oder?«

      Lowitz sah das schöne junge Mädchen an, dessen blaue Augen vor Lebenslust und Tatendrang leuchteten.

      »Nein, Ditscha«, antwortete er mit einem tiefen Atemzug. »Das will ich nicht.«

      *

      An dem runden Wohnzimmertisch wurde nun fleißig gebüffelt.

      Zwei Stunden lang wechselten Axel Lowitz und Ditscha kein privates Wort. Erst Schlag zwölf klappte Ditscha die Bücher zu und sagte mit einem bedauernden Blick auf die große, altmodische Uhr: »Wir müssen leider Schluss machen, Axel. Wenn ich zu spät zum Essen komme, steht Muttchen Todesqualen aus, und das will ich nicht. Ich werde ihr ohnedies noch genug Kummer bereiten müssen«, fügte sie leiser hinzu.

      Axel sah Ditscha bewundernd an.

      »Sie wollen es also wirklich durchsetzen, dass Sie nach Berlin gehen und Medizin studieren dürfen?«

      Ditscha hob stolz den rassigen Kopf. »Es ist mein fester Entschluss, Axel! Ich will etwas leisten, meinen Platz im Leben ausfüllen. Vater kann mir mein Erbe nicht verweigern. Davon will ich mir eine Praxis als Kinderärztin einrichten. Ich habe alles bis zum letzten durchdacht. Ich werde es schaffen.«

      »Das werden Sie!«

      »Aber nur dank Ihrer Hilfe, Axel!« Die spröde Mädchenstimme klang auf einmal weich. »Was würde ich ohne Sie anfangen? Es ist schon so, wie ich Ihrem Vater sagte: Sie sind mein einziger Freund auf dieser Welt, der einzige Mensch, der mich versteht.«

      Der junge Mann errötete vor Freude.

      »Aber, Fräulein Ditscha – Sie haben doch Ihre Eltern und Geschwister.«

      »Ja, die habe ich«, entgegnete Ditscha fest und sah ihm ruhig in die Augen, »und Gott möge sie mir lange erhalten. Aber … Muttchen ist ein Engel, doch sie würde nie wagen, einen selbständigen Gedanken zu denken. Sie ist innerlich und äußerlich vollständig abhängig von Vater. Und er … Sie wissen ja, wie er ist! Nur sein Wunsch und sein Wille zählen für ihn. Wie ein kleiner König herrscht er über seine Untertanen, zu denen er auch seine Familie rechnet. Bornhagen ist für ihn die Welt, und diese Welt ist ihm untertan. Sicher meint er es gut, aber gut ist eben nur, was er für gut befindet. Ich liebe ihn, gewiss, aber ich räume ihm nicht das Recht ein, über mein Schicksal zu bestimmen. Egon denkt ähnlich wie ich, aber er fängt es schlauer an. Egon ist der geborene Diplomat. Er setzt meistens seinen Willen durch, weiß es aber so zu drehen, dass Vater glaubt, es wäre der seine. Er würde nie offen gegen Vater auftreten oder sich gar im schroffen Gegensatz zu ihm stellen. Im Grunde hat er nämlich eine Heidenangst vor ihm!«

      »Und Fräulein Marianne?«

      »Muck?« Ditscha lächelte. »Muck ist ein Kind, ein liebes, gutes Kind, das sorgenlos ins Leben lacht und erwartet, dass es zurücklacht. Vielleicht fände sie meine Pläne spannend, aber ein tieferes Verständnis kann ich auch von ihr nicht erwarten. Nein, nein, Axel, es ist schon so: Sie sind mein bester Freund. Ohne Sie …«

      Ditscha brach ab. Eine Blutwelle färbte ihr Gesicht. Rasch erhob sie sich und begann ihre Bücher einzupacken. Dabei brauchte sie Axel nicht anzusehen – und das war ihr gerade recht.

      Als sie fertig war, hatte sie auch ihre Befangenheit überwunden.


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