Der kleine Fürst Classic 41 – Adelsroman. Viola Maybach
ungefähre Jahreszahl vermerkt, die durchaus stimmen konnte. Ihr Herz klopfte wie wild, ihr Entschluss stand bereits fest: Dieses Bild wollte sie haben, und sie würde es Irina Mahler schenken. Natürlich war nicht sie die Frau, die da gemalt worden war, aber sie würde die Ähnlichkeit erkennen und sich über das Bild sicherlich freuen. Und da es offenbar kein bekannter Maler war, konnte es auch nicht allzu teuer sein.
Und selbst wenn, dachte Clara, dann schadet es auch nichts, ich bin ja nicht arm. Rasch sah sie sich um, niemand achtete auf sie. Sie durfte ihr Interesse an dem Bild nicht so deutlich zeigen, sonst kam vielleicht jemand anders auf die Idee, es sich ebenfalls genauer anzusehen und später dafür mitzubieten. Je unauffälliger sie sich verhielt, desto besser. Sie schlenderte weiter. Ein dunkelhaariger Mann mit markanten Gesichtszügen stand einige Bilder weiter, ganz in den Anblick dessen, was er betrachtete, vertieft. Sie hatte ihn nie zuvor gesehen, obwohl sie ihr Gedächtnis gründlich durchforstete. Aber wenn sie ihm bereits einmal begegnet wäre, hätte sie ihn sicherlich nicht wieder vergessen, denn er war eine auffallende Erscheinung, hochgewachsen und elegant.
Hinter sich hörte sie eine Frau tuscheln: »Das ist er, der Dunkle da vorn.«
»Wer denn?«, fragte eine zweite Stimme.
»Na, der Graf aus St. Petersburg, Leonid von Zydar.«
Von dem freilich hatte auch Clara schon gehört, er galt als undurchsichtig und wenig vertrauenswürdig. Als hätte er gespürt, dass man über ihn sprach, wandte er jetzt den Kopf und blickte Clara direkt an. Kohlschwarze Augen, dachte Clara, und ein Blick, als wollte er einem auf den Grund der Seele gucken.
Sie wandte sich eilig ab. Die übrigen Bilder konnte sie sich auch später noch ansehen, beschloss sie, wenn der russische Graf nicht mehr in der Nähe war. Sie fand ihn … beunruhigend.
Gleich darauf erblickte sie Baronin Sofia von Kant, die ihr zuwinkte. Clara war froh, ein bekanntes Gesicht erspäht zu haben und machte sich auf den Weg, die Baronin und ihre Familie zu begrüßen.
*
»Ich bin fertig, Frau Mahler«, sagte Lili Ganghofer. »Oder haben Sie noch etwas für mich zu tun?«
»Nein, ich denke nicht, Lili«, erwiderte Irina lächelnd. Die zwanzigjährige junge Frau kam jeden Vormittag zu ihr, um den Haushalt zu besorgen und zu kochen. Danach ging sie nach Hause, um dort das Gleiche zu tun. Sie war schüchtern, redete nicht viel, arbeitete dafür aber umso mehr. Irina war heilfroh, sie gefunden zu haben. Lili störte sie nicht, irgendwie schaffte sie es immer, ihre Arbeit so zu tun, dass Irina kaum etwas davon mitbekam.
»Wenn Sie einmal Urlaub machen möchten, Lili, dann müssen Sie mir das sagen – für eine Weile könnte ich sicherlich allein zurechtkommen, obwohl ich für den Haushalt leider überhaupt kein Talent habe.«
»Urlaub?«, fragte Lili geradezu erschrocken. »Ich möchte keinen Urlaub machen, Frau Mahler.«
»Dann bin ich froh, denn mit Ihnen ist mein Leben viel schöner als ohne Sie, aber das wissen Sie ja, Lili.«
Lili, die sonst kaum den Mund aufmachte, sagte daraufhin einen erstaunlichen Satz: »Mein Leben ist mit Ihnen auch viel schöner, Frau Mahler.«
»Tatsächlich? Aber Sie arbeiten doch so viel hier!«
»Das ist leichte Arbeit«, fand Lili, »außerdem ist Ihre Wohnung so schön, ich bin gerne hier. Hier kann ich mich erholen von … von zu Hause.«
Irina ließ das Buch sinken, das sie gerade übersetzte – sie tat das nur für sich, weil es ihr Freude machte und weil es von dem Buch noch keine Übersetzung ins Deutsche gab. Vielleicht würde sie es einem Verlag anbieten, wenn sie fertig war. »Tatsächlich?«, fragte sie.
Lilis runde Wangen waren mittlerweile feuerrot. »Ich habe fünf jüngere Geschwister«, erklärte sie, »meine Eltern arbeiten beide, weil das Geld sonst nicht reicht – und Platz haben wir in dem winzigen Häuschen sowieso nicht genug. Immer ist es laut, weil eins der Kinder eigentlich immer schreit und tobt. Sie sind alle viel jünger als ich, zwei von ihnen gehen noch nicht einmal zur Schule, und die anderen kommen nicht gut mit, weil es bei uns keine Ruhe zum Lernen gibt. Ich war auch eine schlechte Schülerin früher, aber jetzt habe ich die Schule zum Glück hinter mir, und im Haushalt bin ich gut. Das ist sowieso das, was ich am liebsten mache – Haushalt und Kochen.«
Sie brach ab, betrachtete verlegen ihre roten, rissigen Hände. »Unsere Möbel sind alt und angestoßen. Bei Ihnen dagegen ist alles schön, und es ist ruhig. Niemand schreit, niemand macht etwas kaputt, niemand weint. Ich kann arbeiten, wie ich es für richtig halte, und dabei stört mich kein Mensch. Etwas Schöneres kann ich mir nicht vorstellen. Wenn ich Urlaub hätte, könnte ich sowieso nicht wegfahren. Dann müsste ich den ganzen Tag zu Hause sein …« Sie brach ab. »Ich … ich sollte wieder an die Arbeit gehen«, murmelte sie und floh.
Danach konnte Irina sich nicht mehr auf ihr Buch konzentrieren. Sie kommt schon seit einem Jahr zu mir, und ich hatte keine Ahnung, wie ihr Leben aussieht, dachte sie erschüttert. Es wird Zeit, dass ich aufhöre, ständig um mich selbst und mein eigenes Schicksal zu kreisen.
Sie dachte noch länger über das nach, was Lili ihr soeben erzählt hatte – und am Ende fasste sie einen Entschluss.
*
Leonid blieb vor dem Bild, das seine Aufmerksamkeit fesselte, nicht länger stehen als vor allen anderen Bildern auch. Nichts an seinem Gesicht verriet sein Interesse an diesem speziellen Gemälde, obwohl ihn der Anblick der abgebildeten Frau wie ein Blitzschlag getroffen hatte. Die Bildlegende gab keine brauchbaren Informationen her, aber die brauchte er auch nicht, er kannte das Bild gut genug.
Verstohlen sah er sich um. Die unbekannte Schöne, die sich das Bild vorhin ebenfalls angesehen hatte, stand jetzt bei den Sternbergern, die sie offenbar gut kannte, der herzlichen Begrüßung nach zu urteilen. Ihr Blick war kühl gewesen, vielleicht sogar ein wenig herausfordernd. Natürlich, sie wusste, wer er war, und sie hatte bereits eine festgefügte Meinung über ihn – wie viele andere Menschen auch, denen er noch nie begegnet war. Sie war eine bemerkenswerte Schönheit, das war ihm nicht entgangen, besonders, wenn sie sich bewegte, denn das tat sie mit großer Eleganz und Geschmeidigkeit.
Kümmere dich nicht weiter um sie, Leonid, sagte er streng zu sich selbst. Du kannst keine Ablenkung gebrauchen, du musst dich auf dein Ziel konzentrieren, und diesem Ziel bist du heute ganz offensichtlich einen Schritt näher gerückt.
»Wen guckst du denn so interessiert an?«, erkundigte sich Johannes von Thalbach und folgte seinem Blick. »Etwa die schöne Clara von Bethmann?«
»Ist das die Dunkelhaarige da drüben, die mit den Sternbergern spricht?«, fragte Leonid betont beiläufig.
»Ja, das ist sie, und du brauchst gar nicht den Gleichgültigen zu spielen, ich habe dich beobachtet, mein Freund.«
Leonid lächelte. »Ertappt«, gab er zu. »Sie hat so einen funkelnden Blick – und sie bewegt sich wie eine Raubkatze. Das war es wohl vor allem, was mir aufgefallen ist.«
Johannes versagte sich eine Erwiderung, er lächelte nur still in sich hinein.
*
Das Collier war zunächst heiß umkämpft, doch ganz plötzlich sprangen die Konkurrenten von Baron Friedrich von Kant ab – sie hatten wohl begriffen, wie ernst es ihm war. Als der Auktionator nach einem gedehnten: »Zum Ersten … zum Zweiten … meine Damen und Herren, letzte Möglichkeit für dieses wundervolle Collier …. niemand mehr? Zum Dritten!« den Hammer niedersausen ließ, hatte Friedrich um einiges weniger bieten müssen als befürchtet. Nun strahlte er, nahm Küsse und Glückwünsche seiner Familie entgegen und freute sich, dass es ihm gelungen war, ein ehemals zum Sternbergschen Vermögen zählendes Schmuckstück zurückzukaufen.
Eigentlich gab es danach keinen Grund mehr, der Auktion noch länger beizuwohnen, doch da Clara bei etlichen Stücken eifrig mitbot, beschlossen sie, zumindest noch eine Weile zu bleiben und ihr Gesellschaft zu leisten.
Zu Sofias und Friedrichs Erstaunen stieg Clara auch bei einem Portrait ein, das zwar gut gemalt war und eine sehr schöne