Der kleine Fürst Classic 41 – Adelsroman. Viola Maybach
kürzester Zeit waren alle anderen Interessenten ausgestiegen und verfolgten mit wachsender Verwunderung das Duell zwischen der schönen Clara und dem russischen Grafen. Es dauerte nicht lange, da war die gebotene Summe bereits Schwindel erregend hoch, doch weder Clara noch Leonid machten Anstalten, sich zurückzuziehen.
»Clara!« Sofia legte ihr behutsam eine Hand auf den Arm. »Das ist völlig verrückt! Lass ihn das Bild doch kaufen – warum willst du so viel Geld dafür ausgeben?«
Clara schien die Baronin nicht einmal zu hören, sie gab ein neues Gebot ab. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Augen sprühten zornige Funken. Er machte sich über sie
lustig, dieser russische Graf! Auf Geld kam es ihm offenbar nicht an, aber er wollte unbedingt als Sieger aus diesem Duell hervorgehen, doch genau das war auch ihr Ziel.
Er ging jetzt gleich um zehntausend hoch mit seinem neuen Gebot, und plötzlich wurde es mucksmäuschenstill im Saal, während sich alle Augen auf Clara richteten. Wie würde sie reagieren? Längst hatte der Preis des Bildes jede vernünftige Grenze überschritten, nie im Leben war es so viel wert, wie nun einer von ihnen dafür würde bezahlen müssen.
Mit einem Mal stellte sich bei Clara Ernüchterung ein. Es war eine verrückte Idee gewesen, dieses Portrait Irina Mahler zu schenken, mehr nicht. Es wäre schön gewesen, ihrer älteren Freundin eine Überraschung zu bereiten – aber dermaßen viel Geld war diese Überraschung dann wohl doch nicht wert. Sie schüttelte also nur den Kopf, und damit ging das Bild an Leonid von Zydar, der seinen Sieg mit unbewegtem Gesicht quittierte. Dennoch hätte sie ihm am liebsten eine Ohrfeige verpasst vor lauter Zorn darüber, dass er ihr diese Freude kaputt gemacht hatte. Was konnte er schon für ein Interesse an dem Bild haben?
»Nicht traurig sein, Clara«, bat die Baronin, als wenig später eine Pause ausgerufen wurde.
»Traurig? Das bin ich nicht, ich bin wütend. Er hat doch gemerkt, wie wichtig mir das Bild ist – warum konnte er es mir nicht überlassen?«
»Vielleicht ist es ihm auch wichtig«, gab der kleine Fürst zu bedenken.
Clara sah ihn erstaunt an, schüttelte dann jedoch den Kopf. »Das glaube ich nicht«, erklärte sie.
»Aber sicher sein kannst du nicht. Vielleicht wollte er es genau so gern haben wie du.«
Doch Clara schüttelte erneut den Kopf, sie hielt das für ausgeschlossen. Der russische Graf hatte nur gewinnen wollen, das war ihre feste Überzeugung. Sie schimpfte nach allen Regeln der Kunst über ihn, was Sofia und Friedrich aber eher amüsierte, sie kannten ja Claras Temperament. Und da ihr nun die Laune gründlich verdorben worden war, hatte sie es plötzlich eilig, die Auktion zu verlassen. Abgesehen von dem Bild hatte sie alles bekommen, was sie hatte haben wollen, und so gab es keinen Grund, noch länger zu bleiben.
Als sie sich bereits von der jungen Frau verabschiedet hatten, nahm die Baronin sie noch einmal beiseite. »Willst du uns nicht bald wieder einmal besuchen, Clara?«, fragte sie. »Wir würden uns freuen, und du warst lange nicht mehr bei uns. Heute hatten wir ja kaum Gelegenheit, in Ruhe miteinander zu reden.
Clara nickte. »Das ist eine gute Idee, danke für die Einladung, Sofia.«
»Komm doch gleich am nächsten Wochenende«, schlug Sofia vor. »Mir scheint, du könntest eine kleine Luftveränderung gut gebrauchen.«
»Es tut mir leid, dass ich meinem Unmut so deutlich Ausdruck verliehen habe«, sagte Clara, nun doch ein wenig verlegen. »Aber ich habe einen solchen Zorn auf diesen … auf diesen …«
»Schon gut«, versuchte Sofia sie zu besänftigen. »Also bis zum nächsten Wochenende, Clara.«
»Danke, Sofia.« Clara gab der Baronin einen Kuss und machte sich auf den Weg zum Ausgang. Als sie an Graf Leonid vorbeikam, würdigte sie ihn zunächst keines Blickes, dann jedoch blieb sie stehen und fauchte ihn an: »Sie sind einfach ein kulturloser Banause! Ihnen ging es doch in Wirklichkeit überhaupt nicht um das Bild, sondern Sie wollten bloß zeigen, dass Sie sich nicht von einer Frau besiegen lassen. Wie jämmerlich!« Mit diesen Worten rauschte sie hinaus.
*
»Warum wollte sie das Bild unbedingt haben?«, wunderte sich Anna. »Da war doch bloß eine Frau drauf, die kein Mensch kannte.«
»Vielleicht wusste Clara ja, wer die Frau war«, vermutete der kleine Fürst. »Und der russische Graf wusste es vielleicht auch.«
»Glaubst du?« Annas Augen fingen an zu glitzern, wie immer, wenn sie ein Geheimnis vermutete. Sie dachte über Christians Worte nach und nickte schließlich. »Das könnte sein, Chris. Oder eigentlich muss es so sein, mir fällt keine andere Erklärung ein.«
»Ich habe gehört, dass Tante Sofia Clara eingeladen hat fürs nächste Wochenende, da können wir sie fragen.«
»Sie wird es uns bestimmt nicht verraten«, meinte Anna. »Sonst hätte sie es uns doch heute schon erzählen können, warum sie so hinter dem Bild her war.«
Johannes von Thalbach tauchte auf. »Habt ihr Graf Leonid gesehen?«
»Eben war er noch hier«, meinte Anna. »Er hat mit Papa geredet, ich glaube, sie sind nach draußen gegangen.«
»Danke, Anna.« Johannes verschwand.
»Versuchen wir, es rauszukriegen?«, fragte Anna.
»Du meinst, auch wenn Clara uns nichts erzählen will?«
Anna nickte.
»Interessieren würde es mich schon«, sagte Christian langsam. »Aber weißt du was, Anna? Genauso gern möchte ich herausfinden, warum der russische Graf das Bild unbedingt haben wollte.«
Sie sahen die Baronin winken, und das war das vorläufige Ende ihres Gesprächs über das rätselhafte Bild, das trotz seines vermutlich bescheidenen Werts eine Rekordsumme auf dieser Auktion erzielt hatte.
*
»Warum besuchen Sie uns nicht mal, lieber Graf?«, fragte Friedrich. Er war mit Leonid ins Gespräch gekommen – über Pferde. Erfreut hatte er festgestellt, dass der junge Russe davon erstaunlich viel verstand. Leonid wiederum hatte sich sofort für Friedrichs Pferdezucht auf Sternberg interessiert.
»Ja, warum nicht?«, wiederholte Leonid nachdenklich. »Ich bin kein sehr geselliger Mensch, Baron von Kant, das hat sich sicherlich schon bis zu Ihnen herumgesprochen.«
»Gerüchte interessieren uns nicht«, erklärte Friedrich. »Man hört so vieles, und so weniges davon stimmt. Wir hätten viel zu tun, wenn wir uns mit dem auseinandersetzen würden, was die Leute erzählen.«
Ein erstaunter Blick traf ihn. »Mit dieser Haltung dürften Sie ziemlich allein dastehen«, meinte Leonid.
»Mag sein. Wir halten es jedenfalls so, und dabei werden wir auch bleiben. Auf diese Weise lebt es sich nämlich entspannter.«
Leonids dunkle Augen lächelten. »Sie glauben nicht, wie gern ich solche Worte höre.«
»Sie nehmen meine Einladung also an? Ich kann es nur wiederholen: Unsere Pferde allein sind einen Besuch wert.«
»Daran zweifele ich nicht, aber ich würde dennoch nicht kommen, wenn mir die Besitzer der Pferde unsympathisch wären«, erwiderte der junge Graf charmant. »Ja, ich komme sehr gern, Baron von Kant, aber vielleicht sollten Sie zuvor Ihre Gattin fragen, ob diese Einladung auch in ihrem Sinne ist.«
»Das muss ich nicht, denn das weiß ich auch so«, erklärte Friedrich.
»Da bist du ja!«, rief Johannes von Thalbach. »Ich suche dich schon überall, Leo. Du weißt, dass wir noch eine Verabredung haben?«
»Nein, das hatte ich vergessen«, gab Leonid zu. »Dann darf ich mich jetzt von Ihnen verabschieden, Baron von Kant?« Die beiden Männer wechselten einen kräftigen Händedruck, auch Johannes verabschiedete sich, dann gingen sie.
Friedrich machte sich auf die Suche nach seiner Frau. »Ich habe den russischen Grafen fürs nächste Wochenende zu uns eingeladen, Sofia«, sagte er, als